Bon - Der letzte Highway. Jesse Fink
der AC/DC-Diskografie sah, dass Back In Black von den Young-Brüdern und Brian Johnson geschrieben sein soll. Ich glaub das nicht.“
Außerdem gab ich einem persönlichen Bedürfnis nach. Ich wollte die Leser in eine Zeit mitnehmen, in der AC/DC die aufregendste Rock-’n’-Roll-Band auf dem Planeten waren und nicht das, was sie heute verkörpern: ein eingetragenes Markenzeichen mit einem letzten verbliebenen Gründungsmitglied aus den Siebzigern, Angus Young. Es war mir ein Anliegen, einen kleinen Teil dessen wiederauferstehen zu lassen, was ich für die beste Ära der Rockmusik halte, nämlich die späten Siebzigerjahre – jene Zeit, in der das Genre, das wir heute als „Classic Rock“ kennen, seinen Ursprung hat. In Musikläden wurde Vinyl verkauft. MTV gab es noch nicht. Das Internet, das mit seinen Angeboten wie YouTube, Pandora, Spotify oder iTunes das Angesicht der Popmusik verändern sollte, lag noch Jahrzehnte in der Zukunft. So viele der phänomenalen Bands der Siebziger haben entweder ganz aufgehört oder treten nach dem Ausstieg etlicher Originalmitglieder in Casinos, Weinkellereien oder auf Kreuzfahrten auf. Eine für die Musik besondere Zeit ist für immer verloren.
Um mein Vorhaben, diese Epoche wiederaufleben zu lassen, so erfolgversprechend wie möglich anzugehen, musste ich in alles, was mir zur Verfügung stand, kopfüber eintauchen. Doch AC/DC sind eine Band, die Außenstehenden keinen Zutritt gewährt, und ehemalige Bandmitglieder und Angestellte fürchten den Reichtum und Einfluss der Youngs. Es ist daher nicht leicht, an Informationen heranzukommen. Ein Freund von Brian Johnson warnte mich etwa: „Sie haben nicht einmal ansatzweise mehr Verständnis dafür, dass ihre Aussagen oder Handlungen verzerrt dargestellt werden, damit sich eine Story gut verkauft.“ Ein weiterer Insider flüsterte mir, dass die Geheimniskrämerei um die Band „schlimmer ist als bei der CIA, schlimmer als bei Scientology“.
Das war kein Scherz.
„Es ist gar nicht schlecht, dass du nicht an sie herangekommen bist“, sagt Grahame „Yogi“ Harrison, ein legendärer australischer Roadie, der 1977 für AC/DC bei ihrem Abschiedskonzert in Sydney arbeitete und mit Bon persönlichen Umgang pflegte. „Du könntest schließlich nie wissen, ob das, was sie dir erzählen, auch die Wahrheit ist. Sie halten ihre Ärsche bedeckt bis ins Grab.“
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So wie ich die Sache sehe, bekommen Biografen keinen richtigen Zutritt zur Band gewährt, da die Wahrheit für manche Leute unbehaglich wäre. Würden sie sich auf Gespräche mit Biografen einlassen – also mit Leuten, deren Aufgabe es ist, unter der Oberfläche nach so etwas wie Wahrheiten zu suchen –, hätten sie damit im Endeffekt alles legitimiert, was dabei zutage treten könnte. Es ist viel leichter, die Schlussfolgerungen eines Buches zurückzuweisen, wenn man sagen kann, dass man nicht mit dem Autor zusammengearbeitet hat. Ebenso lässt sich leicht prophezeien, dass AC/DC-Fans sich um ihre Helden scharen werden, um sie in Schutz zu nehmen, sobald der eine oder andere Heiligenschein schief gerückt wurde.
Selbstverständlich gibt es für das Schweigen auch finanzielle Gründe. Verlagshäuser in London und New York bieten für Enthüllungsautobiografien und „offizielle“ Biografien von großen Stars zig Millionen Dollar. Niemals zuvor waren solche Erzählungen gefragter, wie wir an den Vorschüssen in Millionenhöhe ablesen können, die etwa Phil Collins, Elton John und Bruce Springsteen kassiert haben. Fast ebenso viel Kohle wird im Marketing ausgegeben. Der Wert dieser Buchprojekte wird geschmälert oder überhaupt auf Ramschniveau gesenkt, wenn diese Prominenten ihre Geschichten bereits andernorts zum Besten gegeben und sich detailliert zu einem kontroversen Thema geäußert haben.
Daher sind sich Musiker und ihre Agenten in zunehmenden Maße bewusst, wie viel ihre Worte wert sind. Sie werden also keinen Fremden – einen Biografen – bei seinen Recherchen unterstützen, wenn sie doch direkt von Reminiszenzen profitieren können, indem sie selbst ein Buch veröffentlichen. Phil Rudd, AC/DCs ehemaliger Schlagzeuger, beabsichtigt etwa, ein eigenes Buch zu verfassen. Vorausgesetzt, sie müssen sich nicht an Stillschweigevereinbarungen halten, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, könnten sowohl Brian Johnson als auch der frühere Bassist Cliff Williams, nachdem sie nun die Band verlassen haben und deren Zukunft in den Sternen steht, schon bald ihre Memoiren vorlegen.
Vielleicht als Vorboten für alles, was noch folgen wird, veröffentlichten AC/DC 2017 ihr erstes offizielles Fotoalbum. Besser situierten Sammlern bot sich die Gelegenheit, eine in Leder und Metall gebundene Version mit beleuchtbarem Schutzumschlag zu erstehen. Während sich Ghostwriter, Hagiografen und Zuschussverlage auf der Überholspur befinden, finden sich traditionelle Musikbiografen auf der Liste der bedrohten Arten wieder. Dieses Buch sollte jedoch ohnehin nie die Perspektive der Band oder jene von Bons beiden Brüdern und deren Familien repräsentieren. AC/DC haben sich bereits gegenüber den Medien über Bon geäußert. Bons Familie ebenso. Uns liegen diese Aussagen vor und sie werden sich auch nicht mehr ändern.
Eigentlich profitierte Bon – Der letzte Highway sogar davon, sich nicht auf ihre Beteiligung, Aufsicht oder Zustimmung verlassen zu müssen. Das liegt wohl daran, dass die tatsächliche Geschichte – nicht die bevorzugte schöngefärbte, dem Ansehen der Band zuträgliche Version davon – sich irgendwo abseits des Einflusses der Gruppe, der Familie Scott und all ihrer Anwälte abspielt. Es ist nicht die Art von Erzählung, wie sie manchen Leuten vorschwebt.
Das ist auch der Grund, warum so viele hypothetische Spielfilmprojekte letztlich im Sande verliefen. Solange die Band nicht die Darstellung kontrollieren kann, werden sie niemals ihre Musik dafür zur Verfügung stellen. Auch wird man nie die Wahrheit über AC/DC in irgendeinem Magazin lesen oder in einem Radio- oder Fernsehinterview zu hören bekommen, wenn die Band gerade ein Album promotet. Die speziell indoktrinierten Journalisten, Radioansager und TV-Moderatoren halten sich an die Spielregeln, sowohl an die offiziellen als auch die unausgesprochenen. Angus nuschelt sich dann durch irgendein Tour-Interview, ohne dabei Wesentliches preiszugeben, und die Fans, die nach authentischen Einblicken lechzen, saugen jegliche Info gierig auf.
Es ist schon erstaunlich, wie lange die Wahrheit über die letzten Jahre in Bons Leben unter Verschluss gehalten werden konnte. Mein Ziel war von Anfang an, Bons Geschichte völlig unvoreingenommen niederzuschreiben und dabei keine Rücksicht auf irgendjemandes Interessen zu nehmen. Vor allem wollte ich mich dem Thema völlig offen nähern.
Bon gehört zu den umjubeltsten Rockmusikern aller Zeiten, vor allem auch außerhalb Australiens, wo er womöglich mehr als jeder andere australische Entertainer – tot oder lebendig – gefeiert wird. 2004 setzte ihn das Magazin Classic Rock auf Platz #1 seiner Hitparade der „100 Greatest Frontmen of All Time“, noch vor Freddie Mercury von Queen, Jim Morrison von den Doors und Robert Plant von Led Zeppelin.
Doch Bon war nicht der Danny Kaye der Rockmusik, wie uns Figürchen aus Zinn und diverse andere Devotionalien, die auf eBay erhältlich sind, vielleicht vorgaukeln wollen.
Doug Anderson vom Sydney Morning Herald beschrieb ihn einst als „gefährliches Individuum, das den Eindruck machte, nicht zu wissen, wer es war und wohin es gehörte“. Schon 1984 gab derselbe Journalist den Hinweis, dass nicht nur Alkohol zu Bons Untergang beigetragen hätte: „Bon Scott ist an Rauschgift zugrunde gegangen.“
Anderson lag damit näher an der Wahrheit, als er sich selbst vielleicht gedacht hätte. Bon konnte unberechenbar und zerstörerisch sein. Er konsumierte Drogen, etwa Kokain, Quaaludes und Heroin. Wenn diese Feststellung AC/DC oder ihr Management, die Fans der Band oder die Nachlassverwalter von Bon Scott irritiert, ist das natürlich schade, aber die Beweise dafür liegen auf dem Tisch. Es kann doch nicht als Verrat gewertet werden, wenn man die Wahrheit berichtet. Vielmehr ist es ein Privileg und eine Pflicht. Biografien können mitunter unbequeme Fakten über unsere Helden ans Tageslicht fördern.
Unter Bons Freunden und Bekannten in Australien ist es zu einer Art Trend geworden, damit anzugeben, ihn am besten gekannt zu haben. Und doch verbirgt sich dahinter zumeist nur leere Rhetorik. Live Wire: Bon Scott, a Memoir by Three of the People Who Knew – Mary Renshaws Buch über Bon – ist ein gutes Beispiel dafür. Renshaw lernte Bon 1968 kennen und blieb bis zu seinem Tod mit ihm befreundet. Sie behauptet, ihr Buch – 2015 in Australien erschienen und in Zusammenarbeit mit Bons Freunden John und Gabby D’Arcy entstanden – wäre „ein Weg, sich an den echten Bon zu erinnern, geschrieben von den Leuten, die ihn am besten kannten, um mit dem ganzen Mist,