Rhythmen des Lebens - Die erste Genesis-Autobiografie. Mike Rutherford

Rhythmen des Lebens - Die erste Genesis-Autobiografie - Mike  Rutherford


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Stahlschläger benutzten. Als er den ersten Schlag mit solch einem Elan ausführte, dass er noch nicht mal den Ball traf, hätte ich mir am liebsten ein Loch gebuddelt, um mich selbst einzuputten.

      Unbeeindruckt holte Dad zum nächsten Schlag aus und ließ sich von nichts abhalten, meiner Verlegenheit überhaupt nicht gewahr. Glücklicherweise steigerte er sich danach. Obwohl wir letztendlich nicht gewannen, hatte ich viel Spaß.

      Die Sonntage zählten während meiner Zeit in The Leas zu den Höhepunkten, denn dem Lunch mit meinen Eltern außerhalb des Internats folgte Pick of the Pops. Sonntags die Vorschule zu verlassen glich dem Freigang eines Gefängnisinsassen: Draußen sahen die Farben klarer aus, die Luft roch besser … und es gab Roastbeef. Meine Eltern kamen früh morgens an, um an dem Gottesdienst in der Kapelle teilzunehmen. Dad trug Hosen aus Twill, nahm eine aufrechte und gefasste Körperhaltung ein, während Mum winkte und mich freudig und lautstark begrüßte. Dann ging es nach Hoylake, wo wir den Lunch in einem Hotel zu uns nahmen. Danach setzte sich mein Vater hin und führte sich ausgiebig die Times zu Gemüte. Im Sitzbereich hockte ich mich nahe an das Radio. Ich trug immer noch die kurzen grauen Schulhosen und die blaue Mütze – und drängelte andere Jungs aus The Leas weg, falls sich möglicherweise welche dort aufhielten.

      Aus der heutigen Perspektive betrachtet, ist es schwierig, ein damaliges Ereignis wie Pick of the Pops zu erklären. Mittlerweile ist es möglich, sich alle musikalischen Wünsche überall zu erfüllen: In jedem Restaurant läuft Musik, in jedem Geschäft, am Flughafen und in jedem Fahrstuhl. 1963 beschränkte sich Popmusik auf drei Stunden jeden Sonntagnachmittag. Die Vorfreude darauf war einfach unglaublich. Man zählte die Tage bis zur Veröffentlichung eines Beatles-Albums, und wenn Alan Freeman dann endlich „She Loves You“ oder „Please Please Me“ spielte, war die Aufregung riesengroß – ich kann das Gefühl heute noch nachempfinden. (Das Gitarren-Riff von „You’ve Really Got Me“ der Kinks fällt auch in diese Kategorie. Seitdem hat es nie wieder so etwas Großartiges gegeben.) Die damalige Popmusik lässt sich mit einer weißen Leinwand vergleichen. Es gab keine Vorläufer. Alles war neu, einzigartig und aufregend. Ich liebte sie alle: The Who, die Stones, die Small Faces, Joan Baez, Arthur Brown … jedoch war mein erster Held zweifellos Cliff Richard.

      Nicky entfachte meine Begeisterung für Cliff.

      Obwohl Dad das Theater und das Varieté liebte, waren meine Eltern nicht musikalisch. Zuhause beobachtete ich ihn, wie er The Good Old Days mit Leonard Sachs sah und so tat, als würde er die Stücke dirigieren. Doch Mum und Dad besaßen keine Schallplatten (angesichts der durch die Marine bedingten Umzüge besaßen sie allgemein wenige Habseligkeiten). So gab es nur einen Plattenspieler, der im Zimmer meiner Schwester stand, was mich ständig nervte.

      Nicky lauschte hautsächlich den Songs von Tommy Steele und Elvis – dem Balladen-Elvis –, der mich überhaupt nicht berührte. Erst als ich „Move It“ von Cliff und den Shadows hörte, diesen wilden, auf einer Gitarre basierenden Sound, packte mich die Musik, und zwar am ganzen Körper. Und dann war da noch Cliff als Person: Seine schnittigen Anzüge, das nach hinten gegeelte Haar, die Bewegungen – und dazu noch der packende Sound. Cliff begeisterte alle.

      Mein erstes Konzert – ich überredete meine Eltern, mich dorthin zu bringen – fand im Apollo in Manchester statt: Es waren Cliff und seine Shadows. Wenige Tage davor kaufte ich Brylcreem, und kurz vor der Abfahrt geelte ich mir eine Art Tolle, um so cool wie Cliff auszusehen. Mum fand meinen Look nicht sonderlich toll, marschierte mit mir nach oben und steckte meinen Kopf unter den Wasserhahn.

      Witzigerweise wirkte sich die unfreiwillige Haarwäsche nicht auf das Erlebnis aus. Cliff trug ein weißes Jackett sowie ein schwarzes Hemd und war so gut, wie ich gehofft hatte. Dennoch dachte ich nicht im Entferntesten daran, selbst Musiker zu werden, denn als Erwachsener repräsentierte er eine Welt, die außerhalb meiner Reichweite lag.

      Ebenso sehr wie den typischen Sound mochte ich die Form der Gitarre. Ich hatte vorher schon Fotos einer roten Höfner mit einem doppelten Cutaway gesehen, wobei ich speziell die Symmetrie mochte. Meine erste Gitarre – eine billige Konzertgitarre – war hingegen eher eine Enttäuschung, vergleichbar mit Bert Weedons Lehrwerk Play in a Day, denn genau das erhoffte ich mir. Allerdings schaffte ich es nicht an einem Tag. Auf dem Cover des Buches ist ein Foto von Bert, der einen Anzug trägt und eine Halbakustik in Händen hält, doch er verlor mich schon auf der dritten Seite.

      Aber ich ließ mich nicht so schnell von meinem Traum abbringen: Ich konnte ja immer noch eine Platte auflegen und vortäuschen, ich würde spielen. In Far Hills gab es dafür keine geeigneten Spiegel. In Nickys Zimmer stand ein Garderobentisch mit seitlichen Spiegeln, doch wenn ich die Dinger in eine Position bringen wollte, in der ich gut aussah, musste ich sie mit einem Buch festklemmen. Was mich noch mehr ärgerte – ich durfte ihr Zimmer nur betreten, wenn sie nicht da war. Bei den Ferienaufenthalten in der Morris Lodge fand ich dann einen großen, alten und dunklen Kleiderschrank mit zwei langen Spiegeln an den Türen. Ich verbrachte viel Zeit davor!

      Dad musste wohl Mitleid mit mir empfunden haben, denn er schickte mich für einige Stunden zu einem Gitarrenlehrer in Bramhall. Ausbildung und Lernen in jeglicher Form schienen seiner Meinung nach stets lohnenswert zu sein. Unglücklicherweise war der Unterricht nicht viel besser als die Tipps eines Bert Weedon. Ich wollte weder Tonleitern noch Noten von einem Typen in einem Tweed-Jackett lernen. Ich wollte Songs lernen! Nach einigen Wochen brach ich den Unterricht ab, was Dad sicherlich enttäuschte.

      Als Gitarrist – auch wenn man nicht so gut war – hatte man einen großen Vorteil, denn man hob sich automatisch von den anderen in The Leas ab. Dort spielte jeder Klavier oder Flöte.

      Mein erster Auftritt fand während des dritten Jahres bei einer Schulversammlung statt, wo ich eine Solo-Fassung von „Michael Rowed The Boat Ashore“ zu Gehör brachte. (Das Programm an dem Abend beinhaltete noch „Dry Bones – A Negro Spiritual“ und endete mit dem Schullied „Deo Parere Libertas“.)

      Ich gehörte zum Schulchor, obwohl meine Stimme nicht sonderlich gut klang. Als wäre das nicht schon schlimm genug, stieß so ein Idiot meine Gitarre – die ein Klassenlehrer für mich gestimmt hatte – vor dem Auftritt um. So musste ich die ganze Aufführung mit einer schrecklich verstimmten Gitarre bestreiten. Ich war ein eher introvertierter und schüchterner Mensch, doch noch zu jung, um mich von solchen Nichtigkeiten aus der Bahn werfen zu lassen. Unbeeindruckt kämpfte ich weiter. Der Erfolg des Abends übermannte mich so sehr, dass ich daraufhin eine Band gründen wollte.

      Die Chesters bestanden aus fünf Mitgliedern, obwohl nur zwei Instrumente spielten. Dimitri Griliopoulis und ich. Er war Schlagzeuger, und so lag es auf der Hand, dass wir uns zusammenschlossen. Wir machten uns natürlich keine Gedanken darüber, dass die drei anderen nur aus Spaß mitmachten. Hauptsache, man konnte damit angeben, in einer Band zu spielen – das war uns allen klar! Ein Instrument spielen zu können, darum ging es erst mal nicht.

      Wir leiteten den Gruppennamen von der Tatsache ab, dass The Leas nur 15 Minuten von Liverpool entfernt lag, einer Stadt, aus der die wichtigsten musikalischen Impulse kamen. The Liverpools klang nicht besonders gut, und so entschieden wir uns für Chesters, dem nächstgelegenen größeren Ort, dessen Namen wir mochten.

      Wir übten in der Haupthalle. Scheinbar jedes Mal schaute ein Musiklehrer vorbei und riet uns, dass wir einen Querflötisten oder Blockflötisten aufnehmen sollten, obwohl das für unser Image nicht hilfreich gewesen wäre – ebenso wenig wie die Kricketpullover, die Dimitri und ich auf den Promo-Fotos trugen.

      Während eines Ferienaufenthalts überredeten wir Nicky verzweifelt dazu, sich mit uns ablichten zu lassen. Sie sah tatsächlich so aus, als gehöre sie zu einer Band, was man von Dimitri und mir nicht gerade behaupten konnte.

      Dimitri und ich schrieben einige Songs mit Textzeilen wie: „We used to be so happy / We said one day we’d marry.“ Als er sich klammheimlich mit den Echoes, der anderen Band in The Leas verbündete, nahm ich ihm das nicht übel, denn ich hatte genug damit zu tun, das Spiel auf der neuen E-Gitarre zu erlernen.

      Mit Mum einen Gitarrenladen zu besuchen, mag nicht sonderlich vorteilhaft ausgesehen haben. Sie trug ein Kleid aus Tweed und ein Kopftuch, aber auch ich gab mit meinen Shorts und den Start-rite-Sandalen sicherlich


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