Es begann in der Abbey Road. George Martin

Es begann in der Abbey Road - George Martin


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und zwar das Ausmusterungskleidungsstück, das ihm die dankbare Nation spendierte! Er kam Tag für Tag in dieser schäbigen Kluft zur Arbeit.

      Der Kleidungskodex galt auch für Musiker. Sogar die Jazz-Schlagzeuger spielten in einem Anzug mit einer eng geschnürten Krawatte. Es war schon eine recht dümmliche Form des Snobismus, die zu lächerlichen Zwischenfällen führte. Eines Tages wollte Eddie Fisher, damals ein Riesenstar, die Studios durch den Haupteingang betreten. An dem Tag standen Plattenaufnahmen auf dem Programm, doch er trug seine amerikanische Uniform. Unglücklicherweise bekleidete er nicht den Rang eines Offiziers, und so bat ihn der Portier, die Studios bitte doch durch den Hintereingang zu betreten. So bewertete man also nach dem Krieg den Dienstgrad einer Person!

      Allerdings behandelte man die ganz großen Stars in der Regel zuvorkommend, denn sie umgab Glamour und der Hauch der großen, weiten Welt. Sie wurden in Limousinen zum Studio gebracht, und man reichte ihnen neben geräuchertem Lachs zur Erfrischung Champagner. Die Ankunft eines Stars war beinahe körperlich zu spüren, denn die Atmosphäre des Studios schien sich elektrisch aufzuladen. Und wenn sich eine Künstlerin wie Jane Morgan zeigte, war das auch gerechtfertigt, denn sie sah fantastisch aus. Jane Morgan hatte einen unvergleichlichen und tadellosen Stil und trug einen mit Diamanten besetzten, glitzernden Pelz. Doch daran erinnert sich heute anscheinend niemand mehr. Die großen Stars tragen alte und ausgebeulte Jeans und unterscheiden sich nicht von anderen Personen.

      Meist wurden die Stars bei ihrer Ankunft von Oscars Sekretärin Judy Lockhart-Smith unterhalten. Der schottische Tenor Robert Wilson erwartete immer ein Glas Whiskey. Unglücklicherweise mochte unser Nachtwächter auch einen guten Schluck, bediente sich an der Flasche und füllte sie wieder mit Wasser auf. Judy wusste nichts davon und reichte Wilson eines Tages ein Glass des verdünnten Drinks. Er trank ein wenig und spuckte den Whiskeyverschnitt sofort aus. Wilson konnte kaum glauben, was seine Geschmacksknospen da ertragen mussten.

      Judy, wie schon erwähnt, verhielt sich mir gegenüber eine lange Zeit äußerst unterkühlt. Ich fand sie attraktiv, jedoch leicht arrogant und eindeutig überheblich. Als Judy mich das erste Mal sah, musterte sie mich wie einen Hund, den jemand mitgebracht hatte. Trotz ihrer Jugend zählte sie zu den „Oldtimern“, und ich war das kleine Balg. Wir arbeiteten in einer angespannten Atmosphäre, begleitet von gegenseitiger Antipathie, was sicherlich ein recht ungewöhnlicher Beginn für zwei Menschen war, die später eine wunderbare Ehe führen sollten.

      Judy verstand sich gut mit unseren Künstlern, und neben der normalen Arbeit blätterte sie die Noten während der Aufnahmen um, für Persönlichkeiten wie Kentner, Gerald Moore, Yehudi Menuhin, Rawicz und Landauer sowie Solomon, den Pianisten. Allerdings liefen nicht alle Aufnahmen harmonisch ab. Ray Martin, auch ein Künstler, der bei der Firma unter Vertrag stand, besaß einen kleinen Dackel, der kurz vor Solomons Mitschnitt einer Sonate in das Studio tapste. Unglücklicherweise war das Tier nicht „studiorein“ und hinterließ unter dem Piano ein kleines Häufchen. Solomon stellte einen Fuß auf das Klavierpedal und trat – kkkksch – direkt rein. Er humpelte aus dem Studio, wobei er darauf achtete, dass er den Dreck nicht weiter verbreitete, und weigerte sich, an dem Tag noch weiter aufzunehmen.

      Ärgernisse in der Art waren von Sir Thomas Beecham nie zu erwarten. Der nette Mann wohnte ganz in der Nähe und nahm gelegentlich bei uns auf. Zum Mittagessen ging er zu McWhirters, dem Arbeiterimbiss nebenan, und nicht in das Nobelrestaurant die Straße hoch. Dort servierte man Hausmannskost. Der Lunch kostete 3 Schilling und 9 Pence und 3 Pence extra, wenn man die Fleischbeilage wünschte.

      An einem dieser Tage bat er die Serviererin um die Weinkarte. „Wir haben keinen Wein, mein Lieber. Ich kann Ihnen aber gerne eine gutes Glas Tizer holen.“ Ihn störte es nicht, denn er war ein bodenständiger Mensch, ganz im Gegensatz zu Malcolm Sargent. Der forderte stets Sandwiches mit geräuchertem Lachs und Champagner. Als Star mochte er es, sich vom Fußvolk abzuheben, wohingegen Beecham es genoss, sich unter den „einfachen“ Menschen zu bewegen.

      Sargent hatte sich den Spitznamen „Flash Harry“ „eingefangen“. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem wir eins von Beethovens Werken probten. Als er nicht im Studio war, hatte jemand die Noten für „I’m Just Wild About Harry“ auf sein Notenpult gelegt. Er kam zurück, nahm sie in die Hand und sagte: „Ich schätze mal, dass bezieht sich auf einen berühmten Dirigenten, hier ganz in der Nähe, oder etwa nicht?“

      Ein weiterer Dirigent, mit dem ich arbeitete, war Charles Mackerras. Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als wir als Oboisten im Ensemble für Don Giovanni im berühmten Theater Sadler’s Wells spielten. Die Gruppe musste über die Bühne marschieren und unter den Augen des Publikums auf einem Balkon spielen, wurde aber vom Orchestergraben aus dirigiert. Wir trugen Perücken und ein Wams und erhielten dafür sogar zusätzlichen Lohn, was mir damals nur recht sein konnte. Charles und ich waren die einzigen Oboisten der Gruppe, mit dem Unterschied, dass er das Instrument um Längen besser beherrschte. Mein Spiel ließ sich höchstens als mittelmäßig umschreiben, doch er verhielt sich immer freundlich und hilfsbereit. Zu der Zeit befand er sich noch im Sadler’s Wells in der Ausbildung zum Dirigenten. In seiner Freizeit sammelte er die Musik von Gilbert and Sullivan, die er sehr mochte.

      Als die Rechte an den Werken von Arthur Sullivan gemeinfrei waren, machte Charles den brillanten Schachzug, verschiedene Stück aus diversen Opern zusammenzustellen und sie für ein Orchester zu arrangieren. Darüber hinaus engagierte er sich bei der Produktion eines Balletts, das auf Sullivans Musik basierte. Es hieß Pineapple Poll, wurde ein Riesenerfolg und unverzüglich von Len Smith für Columbia aufgenommen, der dabei das Covent Garden Orchestra einsetzte.

      Oscar war völlig aufgebracht: „Du kennst Charles Mackerras“, beschimpfte er mich anklagend. „Warum hast du uns nicht Pineapple Poll gesichert?“

      Ich fühlte mich schuldig und antwortete: „Ich wusste, dass er sich mit einer Produktion beschäftigte, dachte aber nicht näher darüber nach.“

      Oscar versuchte das Beste aus dem Missgeschick zu machen, indem er das Werk mit dem Sadler’s Wells Orchestra unter der Leitung von Charles Mackerras aufnahm, doch die Platte war nicht annähernd so gut.

      Es war typisch für die EMI, dass verschiedene Labels die gleichen Werke vertonen durften. Obwohl sich unsere Büros alle im selben Gebäude befanden – Len Smith arbeitete in Räumlichkeiten, die direkt über den Flur lagen –, bekämpften sich die Labels wie Rivalen. Alle vier Wochen trafen sich die Kontrahenten bei der sogenannten „Ergänzungs-Besprechung“, um sich darüber zu unterhalten, welche Aufnahmen für den kommenden Monat angesetzt wurden. Der eigentümliche Name dieser Meetings beruhte darauf, dass die in Frage kommenden Titel eine Ergänzung zum Gesamtkatalog darstellten. Oscar hegte ein unvergleichliches Misstrauen gegen Walter Legge von Columbia und wartete darauf, dass Walter den Produktionsplan vorstellte. Erst danach enthüllte er sein angepeiltes Programm. Und dafür gab es einen guten Grund. Falls Oscar kundgetan hätte, dass er eine Aufnahme des Sinfonia Concertante von Dittersdorf für den nächsten Monat plante, wäre folgende Antwort von Legge symptomatisch gewesen: „Das tut mir so leid, mein Lieber, jedoch ließ ich sie erst vor wenigen Tagen aufzeichnen. Ich habe sie nur noch nicht veröffentlicht, weil ich über stilistisch ähnliche Werke im Überfluss verfüge.“ Das war natürlich vollkommener Unfug. Hätte Legge die Idee so einer Aufnahme zugesagt, wäre er aus dem Konferenzzimmer geschlichen, hätte die Produktion durch einige schnelle Telefonanrufe fixiert und sich gleichzeitig eine Feder für seinen Kopfschmuck verdient. Da Oscar das Prozedere schon einige Male erlebt hatte, war er durch die Erfahrungen klüger geworden.

      Neben den Meetings versammelten sich die einzelnen Labels zu einem monatlichen Verlagstreffen. Dabei hörten wir die neuen Stücke. Damals verfügten Interpreten und Verleger über keine Homerecording-Möglichkeiten, und so besuchten uns die verschiedene Vertreter – gebucht von Judy in 15-minütigen Intervallen – und sangen und klimperten uns ihre aktuellen Werke auf dem großen Flügel (der stand in unserem Büro) im guten, alten Tin-Pan-Alley-Stil vor. Wir machten uns Notizen und behielten Kopien der Noten. Ich hatte meinen Spaß dabei, da es mich an die Zeit der Varietés erinnerte und in der Tradition von George Gershwin stand, der als unbekannter Künstler auch seine Stücke feilbieten musste. Es lässt sich überhaupt nicht mit den polierten und durchproduzierten Demobändern vergleichen, die man uns heute


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