Es begann in der Abbey Road. George Martin

Es begann in der Abbey Road - George Martin


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Oscar leitete für gewöhnlich die Sessions mit Robert Wilson. Auch standen bei uns die Akkordeonisten Mickey Ainsworth und Jimmy Blue unter Vertrag, und ich musste nach Schottland reisen, um sie aufzunehmen.

      Die beiden waren leidenschaftliche Whiskey-Trinker. Wir begannen die Aufnahmen um 10 Uhr morgens, und schon nach eineinhalb Stunden meinten die beiden betrübt: „Wir arbeiten so hart, dass uns der Durst plagt, George. Lass uns uns doch kurz einen genehmigen.“ Und so ließen wir alles stehen und liegen und begaben uns in die Bar an der Ecke. (In Schottland gibt es an jeder Ecke eine Bar.) Dort bestellten sich die beiden ihre „Erfrischungen“, immer doppelte, hochprozentige Whiskeys.

      Johnny Walker oder Bell waren verpönt. Es war wohl Pride of Methlane oder eine andere unbekannte Marke mit dem Effekt reinen Feuerwassers. Ich konnte mich nicht vor den Umtrunken drücken, bei denen sich die beiden die Drinks hinter die Binde kippten, ähnlich Desperados in einem stilechten Western. Stand ein Glas erst mal vor ihnen, wurde es augenblicklich runtergekippt und sofort mit einer dringenden Bitte zum Barmann zurückgeschoben: „Ach, bitte noch einen.“

      Doch was mich am meisten verblüffte – der Alkohol schien ihnen nichts anhaben zu können. Sie tranken während einer Session jeder eine halbe Flasche, wodurch ihre Finger noch schneller über die Tastatur des Akkordeons flitzen. Diese Fähigkeit stellte ich auch bei Annie Shand fest, einer Pianistin mit einer kleinen Band in Aberdeen. Ich nahm sie im dortigen Theater auf. Ungefähr zur Mitte der Aufnahmen hielt sie plötzlich inne, kramte in der Handtasche und zog eine große Whiskeyflasche heraus. „Möchte hier einer ’nen heißen Schluck?“, fragte sie beim Abschrauben des Verschlusses ihres Medizinfläschchens. „Heiß“ bedeutete in dem Fall, einen großen Schluck, der dem Format ihrer Handtasche nahezu gleichkam, die sie offensichtlich als persönliche Bar bei sich trug. In Annies Leben zählte der Whiskey zu den Grundnahrungsmitteln.

      Mal abgesehen von diesen Künstlern, die ich eher als Leichtgewichte bezeichnen möchte, hatten wir den großartigen Jimmy Shand (nicht mit Annie verwandt) unter Vertrag. Ich arbeitete häufig mit ihm und wurde mit schottischer Musik regelrecht „geimpft“, wogegen man sich gar nicht wehren konnte. Damals feierte schottische Tanzmusik in Großbritannien einen Erfolg nach dem anderen, und Jimmy wäre es beinahe gelungen, mich für die Musik zu begeistern. Jedes Mal, wenn ich zu ihm reiste, nahmen wir ungefähr 48 Titel auf – 12 oder 14 täglich – was dem Vorrat für ein Jahr entsprach, in dem wir sie nach und nach auf den Markt brachten.

      Jimmy war ein schüchterner und zurückhaltender Mensch – und, was ungewöhnlich für einen schottischen Musiker ist, abstinent –, der mit einem starken, pfeifenden Akzent sprach. Ich würde ihn als sehr höflich beschreiben, obwohl er Menschen generell misstraute, was aber möglicherweise an dem generellen Argwohn der Schotten gegenüber „Fremden“ lag. Allerdings teilten wir eine Gemeinsamkeit. Ich hatte mir gerade mein erstes motorisiertes Vehikel zugelegt, eine alte Ariel VB 600 mit einem Seitenmotor und einem Beiwagen. Wie sich herausstellte, mochte Jimmy, dem alles Technische eine Riesenfreude bereitete, besonders Motorräder – und das mit einer beispiellosen Leidenschaft. Er besaß eine alte, zerbeulte Maschine, die er mit viel Liebe pflegte. Seine Lieblingsbeschäftigung, mal abgesehen von seiner Musik, die er sehr wichtig nahm, bestand darin, auf dem Motorrad mit einer Geschwindigkeit von vielleicht 90 Meilen die Stunde durch die ländlichen Gefilde Schottlands zu flitzen, dabei die Mütze tief ins Gesicht gezogen.

      Dann gab es noch unseren „lateinamerikanischen“ Schotten Roberto Inglez, der tatsächlich Bob Ingles hieß. Er hatte seine Lektionen gelernt und war der umsatzstärkste Interpret des Latin in Lateinamerika! Er spielte „Einfinger-Piano“ (wie wir es scherzhafterweise nannten) vornehmlich auf den tiefen Tönen und achtete stets auf luxuriöse Orchestrierungen, die im Vergleich zu Edmundo Ross geschickter gesetzt waren, aber auch kitschiger klangen. Er setzte Streicher ein, ja sogar ein Horn, welches Dennis Brain für ihn einspielte.

      Seine exotische Tarnung hätte nicht besser sein können. Eines Tages spielte er im Studio 2, als uns einige Vertreterinnen besuchten, die einen Eindruck von der Plattenproduktion gewinnen wollten. Sie standen mit offenen Augen und Mündern im Regieraum, als Bobs Stimme mit einem starken Glasgower Akzent über das Raummikro erklang.

      „Oh“, meinte eins der Mädchen erstaunt. „Das ist ja tatsächlich ein Ausländer, nicht wahr?“

      Bob gehörte zu den ersten Künstlern, deren Platten ich „pflanzen“ wollte – zumindest versuchte ich das. Oscar hatte sich entschieden, dass das ein Teil meiner Ausbildung sei. Ich musste also die Platte bewerben, was bedeutete, die BBC zu besuchen, damit sie dort gespielt wurde. Es wurde leider kein atemberaubender Erfolg. Ich schnappte mir eine von Bobs Platten und traf mich mit Jack Jackson, der sie in seiner Saturday Night Show spielen sollte, der Sendung mit Tiddles the Cat. Er zeigte sich sehr zuvorkommend, aber unbeeindruckt von meinen Überzeugungsversuchen. „Bringen Sie mir doch Platten von Guy Mitchell, Mitch Miller oder ähnlichen Interpreten. Das interessiert mich.“ Ärgerlicherweise konnte ich ihm keine vergleichbaren Künstler anbieten.

      „Sehen Sie mal, mein Sohn“, erklärte er mit nachgiebiger Stimme. „Ich möchte mich Ihnen gegenüber nicht unhöflich verhalten. Wenn Sie mir eine für mein Programm passende Platte bringen, werde ich sie gerne vorstellen. Aber Roberto Inglez! Na, hören Sie mal …!“

      Ich war am Boden zerstört.

      Godfrey Winn war einer der Männer, die meine Platten in ihrer Sendung spielten, und zwar bei Housewives’ Choice. Über die Zeit entwickelte sich zwischen uns eine angenehme Beziehung. Eines Tages lud ich ihn zum Mittagessen in ein nobles Restaurant in der Ebury Street ein. Zuvor hatte ich mir 5 £ Spesen geben lassen. Wie üblich fuhr ich mit dem Motorrad zum Treffpunkt, um die Taxikosten zu sparen.

      Nach der Mahlzeit bot er mir an, mich in seiner Edelkarosse, ich glaube, es war ein Bentley oder ein anderes Gefährt gleichen Kalibers, zum Studio zurückzubringen. Was sollte ich jetzt bloß machen? Ich hatte, ohne mit der Mine zu zucken, die 5 £ hingeblättert. Meine Bestrebungen, ihn zu beeindrucken, wären zunichtegeworden, hätte ich ihm von meiner Ankunft auf dem Motorrad erzählt – obwohl das heutzutage natürlich einen gewissen Schick ausdrücken würde. „Nein, mach dir keine Mühe. An der Ecke kann ich problemlos ein Taxi heranwinken. Trotzdem vielen Dank.“ Doch ich konnte ihn nicht abhalten. Höflicher Mensch, der er nun mal war, bestand er darauf, mir ein Beförderungsmittel zu organisieren. Und er wartete sogar, bis ich Platz nahm. Ich stand nun vor der peinlichen Aufgabe, ans Glas zu klopfen und den Fahrer zu bitten: „St. John’s Wood Studios, bitte.“

      Hundert Yards die Straße hinunter – Godfrey befand sich nun in sicherer Entfernung – klopfte ich wie ein Wahnsinniger an die Scheibe und schrie: „Lassen Sie mich bitte raus. Bitte lassen Sie mich raus!“ Zweifellos dachte der Fahrer, ich sei übergeschnappt. Was macht man nicht alles, um das gute Image der Firma aufrechtzuerhalten!

      Das stand für mich an erster Stelle und mag einer der Gründe dafür gewesen sein, warum ich mich beim Platten-Pflanzen nicht sonderlich geschickt anstellte. Ich war ein Schaf unter Wölfen und bemerkte das nicht. Damals gab es einige große Skandale in Bezug auf der Verhältnis Plattenindustrie/Radiomoderatoren, und so setzte die meisten Firmen Strohmänner ein, die den Job für sie erledigten, doch das war niemals Oscars Stil. Er zählte zu den rechtschaffenen Menschen, und somit dachte er nicht im Entferntesten daran, mithilfe zwielichtiger Gestalten zu arbeiten. Dadurch erfuhr ich erst relativ spät von diesen fragwürdigen Zuständen. Und mal ganz davon abgesehen, empfand ich die EMI als hoch seriös.

      Für die Firma zu arbeiten ließ sich wohl mit einer Anstellung bei Rolls Royce in den Dreißigern vergleichen. Sie waren unglaublich stolz auf ihr „By Appointment“-Zeichen, auf das Hund-und-Grammophon-Label von HMV und weitere unverkennbare Charakteristika. Die Entlohnung bei der EMI kann nur als abgrundtief schlecht bezeichnet werden, aber man durfte sich des Privilegs rühmen, zu einer solchen Firma zu gehören, vergleichbar mit der Zugehörigkeit zur BBC heutzutage, allerdings noch ausgeprägter.

      Was die Formalitäten anbelangte – da gab es keinen großen Unterschied zum öffentlichen Dienst. Jeder musste einen Anzug mit Krawatte tragen und konnte sich nicht erlauben, in schlabberigen Jeans aufzutauchen. Sogar im Studio durfte die Krawatte nicht abgelegt werden, und die Tontechniker arbeiteten


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