Es begann in der Abbey Road. George Martin
mir noch einen Job suchen musste. Ich ging also zur BBC Music Library im Yalding House in der Great Portland Street. Um bestimmte Partituren zu prüfen und einzuordnen, wurde ein Mindestmaß an musikalischem Verständnis vorausgesetzt, doch im Grunde genommen unterschied sich die Tätigkeit nicht sonderlich von der eines Büroangestellten – ohne Dienstgrad.
Dann, im September 1950, nachdem ich schon einige Monate bei der BBC gearbeitet hatte, erhielt ich einen Brief von einem Herrn, der anfragte, ob ich mir eine Anstellung bei ihm vorstellen könne. Es war Oscar Preuss. Ich konnte dem Briefkopf entnehmen, dass er für die EMI tätig war, und zwar bei einer Adresse in der Abbey Road.
1 Anm. d. Übersetzers: Gemeint sind die auf dem Quintenzirkel basierenden Akkorde.
2 Anm. d. Übersetzers: kapern = to pinch
Da in diesem Buch Musik den Themenschwerpunkt bildet, scheint jetzt die Zeit gekommen, um kurz zu pausieren und Ihnen meine Ansichten und Gefühle zur Musik generell, der Komposition und der Orchestrierung darzulegen.
Wenn ich Ihnen ein einziges Werk nennen müsste, das mir als Jugendlichem die Musik näherbrachte, würde ich Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ antworten. Mit 15 hörte ich in meiner Schulaula eine Aufführung des BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Adrian Boult. Ich konnte kaum glauben, dass Menschen in der Lage waren, so ergreifende, wunderschöne Klänge zu schaffen. Ich beobachtete die Männer im Frack, wie sie manisch mit tierischen Eingeweiden und Rosshaar hantierten und in lustige Instrumente bliesen, an deren Ende ein Holzblättchen angebracht zu sein schien. Die rein mechanischen Vorgänge, die ich beobachtete, standen scheinbar in keiner Beziehung zu dem traumähnlichen Klang. Ich empfand es als pure Magie und fühlte mich vollkommen verzaubert.
Meine Neugier war geweckt. Ich besorgte mir eine vereinfachte Partitur des Werks, studierte sie und erkannte den Aufbau. Ich sah, welche Melodielinien die Flöten übernahmen und welche die Klarinetten, entdeckte die Stelle, an der das Waldhorn einsetzte. Auch das besondere Sforzando, also die übermäßige Betonung der Streicher, blieb mir nicht verborgen. Ich betrachtete und analysierte die Noten. Heute weiß ich genau, wie die Atmosphäre der Musik erzeugt wird und warum das Werk als so intelligent einzuordnen ist. Trotz des technisch-harmonischen Verständnisses ist es für mich immer noch die magischste und wundervollste Komposition der Musikgeschichte.
Obwohl ich heutzutage ähnlich aufgebaute Musik komponieren kann, beschäftigte ich mich anfänglich nicht mit solchen Herausforderungen – ganz im Gegensatz zu Debussy. Das wahre Wunder der Musik und der Umsetzung mit einem großen Orchester liegt darin, mit Klängen zu malen. Trotzdem würde kein moderner Künstler, der etwas auf sich hält, den Versuch unternehmen, einen Botticelli zu imitieren. Die klassische Musik war meine erste Liebe, und ich werde oft gefragt, warum ich im Pop-Kontext arbeite. Eine typische Frage lautet: „Lassen Sie sich da nicht zu einer niedrigeren Kunstform herab?“ Die typische Antwort ist ein Nein, und das aus diversen Gründen.
Mit dem Begriff „Klassik“, so wie er im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird, bezeichnet man Musik, die mindestens 50, doch meist mehr als 100 Jahre alt ist. Natürlich gibt es auch die sogenannte zeitgenössische Klassik. Fast alle Hörer empfinden diese Melodien als dissonant. Ich persönlich kenne niemanden außerhalb des Berufs, der solche Werke tatsächlich genießt.
Doch ich möchte nicht unfair klingen. Die meiste Komponisten „moderner Klassik“ stecken in einer Zwickmühle. Sie dürfen die schon ausgebildeten Stilistiken nicht zitieren, da sonst der Vorwurf erhoben wird, sie seien romantisch-verbrämt, gefühlsduselig oder kopierten ganz einfach oder stählen sogar. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma besteht in der Komposition neuer und oft radikaler Klangwelten – und bitte denken Sie daran, dass sogar die Zwölftonmusik mittlerweile ein alter Hut ist und schon als romantisch eingestuft wird. Und so schreiben junge Komponisten Musik, die sich niemand anhören kann, oder in einem nostalgischen Anflug Symphonien im Stil von Brahms. Und worin liegt da noch der Sinn? Die Klassik ist also eine Einbahnstraße, und genau an dem Punkt setzt Popmusik an, da sie die Möglichkeit zur Kreativität bietet.
Doch nicht nur das! Viele klassische Komponisten sind offensichtlich „populär“ gewesen. Schubert zum Beispiel schrieb Popmusik, da die einfachen Menschen seine Stücke mit viel Freude sangen. Sogar ein Beethoven komponierte für kleinere Ensembles. Natürlich betrachten wir diese Größen mir Ehrfurcht, denn sie legten das Fundament für die grundlegende musikalische Kultur der westlichen Welt. Wäre Bach noch am Leben, dann ginge er – und da bin ich mir ganz sicher – genauso mit der Musik um, wie wir es heutzutage machen. Er war vornehmlich ein Arbeiter und Handwerker, dem in seinem Leben nicht die Anerkennung zuteilwurde, die er verdient hätte. Er arbeitete in allen Belangen sehr hart und reiste sogar Hunderte von Meilen zu Händel, um den berühmten Mann kennenzulernen, von dem er so viel gehört hatte und der zur oberen Gesellschaftsschicht Londons zählte, ja sogar ein Freund des Königs war. (Der arme, alte Bach verpasste ihn leider um einen Tag.) Bach lebte sorgenfrei, doch niemals luxuriös, was nicht überraschte, denn er musste zwanzig Kinder von seinen beiden Frauen durchfüttern. Es gab also keine andere Wahl, als hart zu arbeiten, einen Chor zu leiten, Orgel zu spielen und Musik für seinen Mäzen zu komponieren, den Herzog von „wo-auch-immer“, der gerade regierte.
Beispielsweise konnte der Herzog aus heiterem Himmel einen Auftrag erteilen: „Ich brauche eine Kantate für Sonntag in einer Woche, denn die Tante meiner Frau feiert ihren Geburtstag.“
Bach antwortete möglicherweise: „Die Komposition eines solchen Stückes erfordert einiges an Zeit, Eure Hoheit.“
Doch ein Aufschub lag im Bereich des Undenkbaren, denn die unvermeidliche Antwort hätte gelautet: „Das tut mir leid, Johann, aber ich brauche sie für den Tag, und du willst doch nächste Woche auch etwas zu essen haben, nicht wahr?“
Bach ging also nach Hause und dachte sich: „Gütiger Himmel! Was soll ich denn jetzt schreiben? Ah, da fällt mir schon was ein. Da war doch so eine nette Melodie in dem Stück für das Streichquartett, die ich vor drei Monaten komponiert habe. Ich kann sie für die Sopranstimme nutzen!“ Bach hat sich tatsächlich das eigene Material „geschnappt“, es neu arrangiert und dann womöglich zufrieden gedacht: „Das reicht! Ihm wird niemals auffallen, dass ich die Passage schon geschrieben habe.“
Und wenn er seinem Herzog die Kantate präsentierte, war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass seine Durchlaucht den Trick nicht erkannte und von den Melodien ganz und gar entzückt war. „Großartig. Du hast es wieder einmal geschafft, Johann. Beeindruckend.“
Bach komponierte wie am Fließband, schrieb wie ein heutiger Drehbuchautor, der von einer Deadline getrieben wird – und nur Gott weiß, wie viele fixe Termine ihn bedrängten. Eins ist sicher: Ob Bach in der heutigen Zeit regelmäßig in der Hitparade auftauchen würde oder nicht – er ließe nichts unversucht, um sein Material ständig in veränderter Form auszulegen. Allerdings stände er der Punkmusic abgeneigt gegenüber, denn er war ein musikalisch empfindender Mensch, was im Gegensatz zu dem Stil steht, den ich eher als separat einzuordnendes Phänomen bezeichne.
Natürlich arbeiten Komponisten in der Moderne im „klassischen Stil“ und sind auch erfolgreich, wofür es aber bestimmte Gründe gibt. Zum Beispiel möchte ich Chatschaturjan nennen, der erst vor einigen Jahren gestorben ist, nach einem Leben, das er der Komposition äußerst populärer „klassischer Musik“ widmete. Ich definiere seine Musik als „klassisch“, da er bevorzugt Symphonien schrieb und zudem für ein Orchester und keine Rockgruppe. Der wohl wichtigste Aspekt der sogenannten klassischen Ausrichtung bestand in der Entwicklung elektronischer Komponenten in der modernen Musik durch den Westen, die in Russland als dekadent und bourgeois verschrien waren. In dem Land gibt es nur wenige Rockbands, die aber höchstens Kopien unserer Gruppen sind. Aus diesem Grund, also der Originalität von zum Beispiel britischer Musik, ist die Nachfrage nach westlichen Schallplatten hinter dem Eisernen Vorhang so groß. Musiker, die