Es begann in der Abbey Road. George Martin

Es begann in der Abbey Road - George Martin


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      Ich dachte über das verlockende und reizvolle Angebot nach. Doch das Engagement hätte bedeutet, all die Freunde im Geschwader im Stich zu lassen und die Marineluftwaffe komplett zu verlassen. Und so lehnte ich das Angebot ab. Ich frage mich oft, wie sich meine Zukunft bei einer Zusage gestaltet hätte, denn die Musik sollte mein Leben bestimmen und nicht das Fliegen von überdimensionalen Blechstücken mit diversen Drähten und Kabeln.

      Die Entscheidung, Flieger zu bleiben, führte mich als Nächstes nach Ronaldsway auf der Isle Of Man, wo wir fortgeschrittene Techniken erlernten und man uns zu einem operativen Geschwader zusammenschweißte. Da in Europa schon Frieden herrschte, sollten wir in den Fernen Osten verschifft werden. Während des Aufenthalts in Ronaldsway wurden die Atombomben abgeworfen. Ich wusste, dass mein Krieg beendet war, ohne dass ich einen Schuss im Gefecht abgeben musste. Ich muss gestehen, nicht allzu enttäuscht gewesen zu sein. Das Geschwader wurde aufgelöst, wir verabschiedeten uns mit einer „glorreichen“ und Alkohol-geschwängerten Feier, man entließ mich auf unbestimmte Zeit – und ich fuhr nach Hause zu Mum.

      Da ich formal noch zur Marineluftwaffe gehörte, fragte mich ein sehr guter Freund, der im Einberufungsausschuss saß, ob ich nach Schottland gehen wolle, um Wiedereingliederungsoffizier zu werden, ein Job, den man wohl kaum als aufreibend bezeichnen kann. Ich akzeptierte und nahm den Zug nördlich nach Donibristle, in Fife, das knapp über Edinburgh lag, in der Nähe der berühmten Forth Bridge. Dort verbrachte ich 15 Monate.

      Meine Aufgabe beim Royal Naval Air Service Geschwader 782 bestand darin, sicherzustellen, dass die Matrosen nach der Demobilisierung eine geregelte Arbeit fanden. Falls sich das nicht bewerkstelligen ließ, half ich ihnen mit Ratschlägen und klärte sie über die diversen verfügbaren Lehrgänge auf, um sie auf den Schock des Eintritts in die reale Welt vorzubereiten.

      Da der Krieg nun vorüber war, hätte ich mich am liebsten wieder ins normale Leben eingegliedert, doch im Moment gab es keine geeignete Möglichkeit. Und so musste ich mich mit dem miesen Job begnügen, nur durch das angenehme Leben in der Offiziersmesse relativiert und die vielen guten Freunde, die ich unter den weiblichen Militärangehörigen und meinen Kollegen gewonnen hatte.

      In unserer Kaserne gab es einen Gesangsverein, für den ich kleinere Kompositionen schrieb. Dort trainierte ich auch meine Stimmbänder – ohne, dass ich dabei ein großartiger Sänger wurde, wie ich mir leider eingestehen muss. Unter den weiblichen Mitgliedern des Chors befand sich ein Mädchen, sie sang die erste Sopran-Stimme und hatte eine äußerst klare und ausdrucksstarke Stimme, ähnlich der von Isobel Bailey. Sie hieß Sheena Chisholm. Unsere Begeisterung für die Musik führte uns zu vielen weiteren gemeinsamen Interessen.

      Diese Beziehung baute mich auf, denn der Erfolg in meinem Job bedeutete gleichzeitig, dass ich schon bald keine Arbeit mehr haben würde. Als die Anzahl der auszugliedernden Männer kontinuierlich schwand, wurden mir zusätzliche Aufgaben anvertraut. Zuerst ernannte man mich zum Officer des Fuhrparks und kurz darauf zum Entlassungsoffizier. Wie nicht anders zu erwarten, verließ ich 1947 den Dienst in den Streitkräften Seiner Majestät.

      Leider hatte ich überhaupt keine Vorstellung, welchen beruflichen Werdegang ich einschlagen sollte. Ich war auf mich allein gestellt, wie ein Arzt, der sich selbst diagnostizieren und heilen muss, und konnte auf keine Ausbildung zurückgreifen. Es war viel zu spät, um Flugzeugkonstrukteur zu werden. Für mich schien nur eine Möglichkeit zu bestehen. In einem Akt der Verzweiflung wandte ich mich der Musik zu.

      Und genau zu dem Zeitpunkt trat mein vom Schicksal ausgewählter Pate in mein Leben.

      In Bromley, als ich noch in der Band spielte und glaubte, ich sei Rachmaninow ebenbürtig, versuchte ich, meine Fähigkeiten durch das Notenlesen zu verstärken. Für mich bedeutete das eine mühselige und schwierige Aufgabe, denn als Kind hatte ich es nie richtig gelernt. Darüber hinaus komponierte ich kleinere Partituren und versuchte sie angemessen zu notieren.

      Ungefähr drei Monate nach der Rekrutierung durch die Marineluftwaffe besuchte ich in Portsmouth das Konzert eines Pianisten namens Eric Harrison. Es wurde in der Messe eines Union Jack Club aufgeführt. Nach einem angenehmen Abend, an dem ich Chopin und Beethoven genießen durfte, hielt ich mich so lange in den Räumlichkeiten auf, bis alle anderen gegangen waren. Da sich mir nicht viele Möglichkeiten des Übens boten, setzte ich mich an den Flügel und erfreute mich am Spiel. Nach ungefähr einer halben Stunde bemerkte ich die Anwesenheit einer weiteren Person im Raum. Es war Eric Harrison.

      „Was spielen Sie da?“, fragte er mich.

      „Ein kleines Stück, das ich geschrieben habe.“

      „Oh, Sie komponieren?“

      „Tja, ich versuche es zumindest, obwohl ich nie viel Unterricht hatte.“

      „Sie sollten etwas daraus machen“, motivierte er mich.

      Ein wenig vor den Kopf gestoßen, fragte ich ihn, was er damit genau meine.

      „Ich möchte Ihnen raten, einige der Kompositionen dem Ausschuss zur Förderung moderner Musik vorlegen.“

      „Ich muss zugeben, noch nie etwas von so einem Komitee gehört zu haben.“

      „Es ist eine kleine, nicht-kommerzielle Organisation, die monatliche Treffen abhält. Mein Namensvetter Sidney Harrison sitzt in dem Ausschuss. Er ist ein liebenswürdiger Mann, und ich bin mir sicher, dass er Ihnen helfen wird.“

      Ich dachte darüber nach, nahm meinen ganzen Mut zusammen und schickte ihm schließlich die Debussy-ähnliche Komposition mit dem Titel „Fantasy“. Allerdings hoffte ich nicht auf eine nennenswerte Resonanz, und so war ich verblüfft und freudig überrascht, als mir Sidney Harrison einen langen Antwortbrief schickte. Er muss sich über drei DIN-A4-Seiten erstreckt haben. Er bedankte sich für die Zusendung des Stückes und begann mit der Analyse und der Kritik der Komposition. Nicht, dass er sie in der Luft zerrissen hätte. Er vermittelte mir die Fehler, erklärte, dass die Inspirationsquelle noch zu offensichtlich sei, dass ich mir mehr Eigenständigkeit zutrauen solle und so weiter und so fort. Gleichzeitig verfügte er über die Fähigkeit mir Mut zuzusprechen. „Sie müssen unbedingt mehr machen. Fahren Sie mit dem Komponieren der Musik fort und schicken Sie mir die Noten. Wir werden dann weiter korrespondieren.“

      Und so begegnete ich meinem musikalischen Paten – auf dem Postweg! Ich schickte ihm die Notenblätter, und er antwortete mir mit diversen Ratschlägen: „Gute Idee. Treffen Sie sich mit Ihrer Militärkapelle und schreiben Sie kleine Stücke für sie.“ Wir trafen uns niemals, doch der Briefwechsel hielt während der Zeit bei der Navy an. In seinen Briefen baute er mich er mich ständig auf und ermunterte mich: „Sie müssen die Musik ernsthaft als Beruf in Erwägung ziehen.“ Da sich mir nun aufgrund fehlender Alternativen fast gar keine andere Möglichkeit mehr bot, wurde mir die Entscheidung über mein zukünftiges Leben quasi abgenommen. Es war höchste Zeit, um Sidney Harrison persönlich zu treffen. Ich berichtete ihm von meinen Zweifeln, doch er zeigte sich hartnäckig. „Nein, nein, Sie müssen das Studium der Musik anstreben, denn Sie verfügen über Talent.“

      „Schauen Sie mal, ich bin einundzwanzig. Ist es möglich, in so einem Alter tatsächlich noch eine Musikerkarriere anzustreben?“

      „Natürlich können Sie das“, erwiderte Sidney, der als Professor für Klavier an der Guildhall School of Music in London unterrichtete. „Sie müssen ein dreijähriges Studium an einer Musikhochschule ins Auge fassen. Kommen Sie doch bitte nach Guildhall. Spielen Sie dem Direktor die Kompositionen vor. Wenn er die Stücke genau so mag wie ich, haben Sie die Aufnahmeprüfung schon bestanden.“

      Mein Bewerbungsgespräch mit Direktor Eric Cundell – das natürlich Sidney einfädelte – fand im Februar 1947 statt. Ich spielte ihm verschiedene Stücke vor, wonach er mir einige Fragen stellte. Dann sagte er: „Gut. Sie können im nächsten Semester beginnen.“ Das begann im September.

      Ich bedankte mich höflich bei ihm, äußerte aber trotzdem eine grundlegende Besorgnis. „Ich freue mich sehr, in Guildhall studieren zu dürfen, doch wie um Gottes Willen, soll ich die Ausbildung finanzieren?“

      „Na, hören Sie mal. Als Wiedereingliederungsoffizier


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