Es begann in der Abbey Road. George Martin

Es begann in der Abbey Road - George Martin


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einem Regierungszuschuss in Aussicht musterte ich bei der Navy ab und begab mich auf Jobsuche, um die Zeit bis September zu überbrücken. Mir gelang es, eine kurzfristige Anstellung bei der Iron and Steel Federation in Park Lane zu ergattern, die allerdings so langweilig war, dass die wenigen Wochen bei Mr. Coffin rückblickend wie ein knallbuntes Feuerwerk wirkten. Ich empfand die „faszinierende“ Überprüfung von Lohnabrechnungen und Stempelkarten als eine charakterbildende Ausdauerübung. Um nicht bei der Arbeit abzustumpfen, versuchte ich die Aufgabe so effizient wie möglich zu bewältigen. Ich hätte nicht dümmer sein können, da ich vergaß, dass sich die Zeiten nach dem Krieg grundlegend geändert hatten.

      An einem Tag gelang es mir, 72 Bögen zu kontrollieren, die ich um 17.30 Uhr gewissenhaft und ordentlich auf meinem Schreibtisch ablegte. Augenblicklich stand ein aufgebrachter Kollege vor mir.

      „Willst du hier den Witzbold abgeben?“

      „Was meinen Sie damit?“ Ich sah weder einen Anlass für einen Witz, noch betrachtete ich meine Person als witzig.

      „Weißt du nicht, dass die durchschnittliche Bearbeitungszahl in unserem Büro bei 30 liegt? Du versuchst wohl, uns wie Volltrottel dastehen zu lassen?“

      Ich hütete mich davor, den Anpfiff mit einer frechen Antwort abzublocken, und beschwichtigte: „Nein. Ich habe nur versucht, einen klaren Kopf zu bewahren – und nicht mehr.“

      Er starrte mich empört und ungläubig an. Mit gepresster Stimme drohte er mir: „Pass bloß auf, mein Bürschchen.“

      An dem Tag wurde ich zum ersten Mal mit den komplexen Verflechtungen des Arbeitslebens konfrontiert, woraufhin ich mein Tempo eingeschüchtert dem der Kollegen anpasste. Gesetzt den Fall, dass es mit der Musik nichts wird, konnte es gut sein, dass ich eines Tages die Arbeit eines älteren Mitarbeiters übernehmen musste. Die anstrengende und bedeutsame Aufgabe dieses Mannes bestand darin, rosa, weiße und blaue Papiere auf drei Stapel zu verteilen. Doch es gab da eine Schwierigkeit, die allerdings nur ihn persönlich betraf: Er war farbenblind. Und so wurde die gähnende Langeweile ab und an unterbrochen, denn der arme Mann hielt – unsere Hilfe benötigend – einen rosa Bogen in die Luft und schrie „Blau!“, was wir ihm im Chor mit einem „Nein!“ beantworteten. Das lief so lange, bis er die richtige Farbe geraten hatte.

      Während dieser Lebensphase höchster intellektueller Aktivität wohnte ich bei meinen Eltern, doch traurigerweise begann sich die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir rapide zu verschlechtern. Wir standen uns immer sehr nahe, doch meine Dienstzeit bei der Navy hatte unser Verhältnis belastet. Die Streitigkeiten drehten sich um meine Beziehung zu Sheena, auch eine ehemalige Marineangehörige. Mutter hegte eine große Ablehnung gegen sie, meinte, Sheena habe sich aus den falschen Gründen für mich entschieden, was eigentlich unsinnig war, bedenkt man, wie wenig ich ihr zu dem Zeitpunkt bieten konnte. Aus der Abneigung entwickelte sich schnell eine regelrechte Besessenheit. Ich weiß, dass Mum nur das ihrer Ansicht nach Beste für mich wollte, doch es ging zu weit. Eines Tages fand ich heraus, dass sie meine Post geöffnet hatte. Darauf folgte ein heftiger Streit, woraufhin ich mit der Unbesonnenheit eines jungen Mannes unverzüglich auszog.

      Zuerst wohnte ich bei einigen Freunden in Winnersh in Berkshire. Dort wohnte ich noch, als ich der Iron and Steel Federation und den rosa Papierbögen Adieu wünschte und von nun an durch die einladenden Türen der Guildhall School of Music schritt, abgesichert durch ein Stipendium von 160 £ jährlich. Doch mein Aufenthalt in Winnersh erstreckte sich nur bis zur Hälfte des ersten Semesters, denn am 3. Januar 1948 (mein 22. Geburtstag) heirateten Sheena und ich.

      Auf eine bestimmte Art und Weise trieb uns Mutters unbeugsame Haltung in die Ehe. Ich würde es fast als ein Statement der Auflehnung interpretieren. Meine Mutter wohnte zwar der Hochzeit bei, doch unglücklicherweise bestand nur noch ein unterkühltes Verhältnis zwischen uns. Ein Jahr zuvor war Mum schwer gestürzt und hatte sich dabei den Kopf angeschlagen. Ich glaube, sie war nicht mehr sie selbst, der Mensch, dem ich einst so nahestand. Drei Wochen nach der Hochzeitszeremonie verstarb sie infolge einer Gehirnblutung im Krankenhaus.

      Ich war am Boden zerstört. Zusätzlich zu der tiefen Trauer quälten mich Schuldgefühle. Die gesamte Situation ließ sich wohl schwerlich als ein gelungener Auftakt zu einer Ehe beschreiben. Dazu kamen noch Sheenas mentale Probleme, denn sie litt an psychosomatischen Verdauungsstörungen und einer Form der Agoraphobie. Egal wo sie sich draußen auch aufhielt – Sheena ertrug es nicht, allein zu sein. Das Problem des „Draußen“ wurde zudem durch die Schwierigkeit des „Drinnen“ verstärkt, denn damals war es so gut wie unmöglich, eine anständige Unterkunft zu finden. Ein Haus zu mieten war ausgeschlossen, und für eine Mietwohnung musste man sich bei der Stadtverwaltung vormerken lassen und Ewigkeiten darauf warten. Voller Verzweiflung gab ich ein Inserat in allen Londoner Zeitungen in der Gegend von Willesden auf. „Mit einem Donnerschlag wieder zurück auf der Erde. Offizier der Marineflieger findet keine Wohnung.“ Das Glück war mir hold, und ein Mann, dessen Sohn bei der Marineluftwaffe gedient hatte, entdeckte die Annonce und bot uns eine notdürftige Behausung in Acton an. Sie war billig, schrecklich und unser erstes Zuhause.

      Ich studierte drei Jahre lang in Guildhall. Mein Schwerpunkt lag auf der Komposition und den entsprechenden Nebenfächern – Dirigieren und Orchestrieren, Musiktheorie, Harmonielehre, Kontrapunktik und so weiter. Natürlich belegte ich Klavierunterricht, denn für mich stellte die magische Tastatur ein natürliches Ausdrucksmittel dar, doch ich musste ein zweites Instrument erlernen. Man schlug mir vor, ein Blasinstrument auszuwählen.

      Ich ließ die ganze Bandbreite dieser Instrumentengattung vor meinem geistigen Auge Revue passieren und entschied mich schließlich für die Oboe, eine Wahl, für die mehrere Faktoren den Ausschlag gaben. Zuallererst mochte ich die größeren Blechblasinstrumente nicht so sehr. Hinzu kam ein rein ökonomischer Faktor. Da meine drei Jahre schon bald vorüber waren, musste ich mich dringend um Arbeit kümmern. Ich brauchte also ein Instrument, das ich gut genug spielen konnte, um als Profi zu bestehen, und vorzugsweise ein Instrument, bei dem wenig Mitbewerber um eine Anstellung kämpften. Nahezu jeder spielte Klarinette, und so musste ich mich zwischen der Oboe und dem Fagott entscheiden. Die Oboe hatte einige Vorteile: Sie war billiger und weniger unhandlich beim Transport. Zudem gab es damals wenige Musiker, die das Instrument beherrschten, und so bestand einen hohe Wahrscheinlichkeit, dass Orchester mich anstellen würden. Und so wurde es die Oboe – eins der am schwierigsten zu erlernenden Musikinstrumente. Viele bezeichnen es als das „Instrument des bösen Atems“.

      Meine Frau und ich lebten von den jährlich 300 £ Stipendium für verheiratete Studenten, und so versuchte ich ein wenig nebenbei zu verdienen. Ich komponierte kleinere Stücke und spielte an einigen Abenden in der Woche Oboe, obwohl man mich sicherlich niemals als guten Bühnenmusiker bezeichnen konnte. Ich habe einfach nicht die Gabe, vor einem Publikum zu bestehen. Bei Auftritten war ich immer schrecklich aufgeregt. Das hat sich bis heute nicht gelegt. Als ich Eric Cundell damals meine Piano-Partituren vorspielen musste, ängstigte ich mich zu Tode, aber ich kannte ihn zumindest. Die Prüfung im Fach Oboe zählt zu meinen äußerst unangenehmen Erinnerungen. Ich stand vor Terence McDonagh und Peter Graeme, zwei der größten Oboisten in Großbritannien. Nur die beiden und ein völlig verängstigter George Martin hielten sich im Prüfungssaal auf. Die nackte Panik brachte mich so sehr zum Transpirieren, dass der Schweiß die Finger hinab und auf die Ventile lief. Ich konnte die Griffe kaum mehr kontrollieren und hatte das Gefühl, einen lebendigen Aal in den Händen zu halten.

      Egal, als die Zeit gekommen war, Guildhall zu verlassen, musste ich Geld verdienen, und dabei half mir die Oboe. Ich sicherte mir einige Engagements, die jedoch nicht über eine freiberufliche Tätigkeit hinausgingen – und ehrlich gesagt, war ich auch kein guter Oboist. Ich trat mit verschiedenen Bands in Parks auf. Wir standen in Pavillons und spielten vor Reihen älterer Damen, die es sich auf den Liegestühlen bequem gemacht hatten. Doch bei meinen Einsätzen schienen sie sich genötigt zu fühlen, aufzustehen und den Park zu verlassen. Das nehme ich ihnen aber nicht übel! Ich kannte einen Großteil der zu spielenden Musik gar nicht, und wenn man mit schwierigen Abschnitten konfrontiert wird, wie zum Beispiel der Ouvertüre zu Die seidene Leiter mit dem komplizierten Oboe-Teil, fühlte ich mich ziemlich verloren. Für jeden Auftritt erhielt ich 2 £ und 10 Schilling. In meinem Leben als Musiker kam das ungefähr


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