Es begann in der Abbey Road. George Martin

Es begann in der Abbey Road - George Martin


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und der Beziehungen zwischen den einzelnen Noten. Ich kann mich gut an die Aufregung und Begeisterung erinnern, wenn ich einen neuen Akkord entdeckte – besonders als mir bewusst wurde, dass es einen natürlichen Zyklus von Akkorden1 gibt. Ich fand heraus, wo man beginnt, spielte die harmonisch korrekten Griffe und befand mich wieder am Ausgangspunkt. Damals war mir noch nicht klar, dass ich mit dem absoluten Gehör gesegnet war, das mir sicherlich bei meiner Entdeckungsreise half. Ich fand heraus, dass in der ganzen Bandbreite nur drei verminderte Akkorde zu finden waren und diese verschiedene Umkehrungen hatten.

      Ich begann mit Stücken wie dem „Liebestraum“ von Franz Liszt und verschiedenen Kompositionen von Chopin – und das nur nach Gehör und ohne Hilfe von Notenmaterial. Woher die Begabung kam? Ich weiß es nicht. In der ganzen Familie gab es keinen einzigen Profimusiker. Daraufhin wurde ich für die Position auserkoren: „George ist der Musikalische bei uns … lass ihn mal weitermachen.“

      Das soll nicht heißen, dass ich in einer kulturlosen Wüste verdorrte. In der Schule kamen wir in den Genuss des BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Adrian Boult, denn Bromley konnte sich eines großen Musikvereins rühmen. Auch wurden Tanzveranstaltungen ausgerichtet. Ich erinnere mich speziell an einen Auftritt der Squadronaires. Ich trieb mich vor der Bühne herum, wo mich einer der Männer fragte, ob ich selbst Musiker sei. Ich ergriff die, Chance, die sich mir bot, und sagte leichtsinnig und ein wenig unverfroren: „Sicherlich. Ich spiele Klavier. Genau euren Stil.“

      Vermutlich hielten sie mich für einen jugendlichen Draufgänger, den man schnell wieder abschütteln konnte, doch sie gaben mir eine Chance: „Okay, wenn du dir sicher bist, dann komm hoch und versuch es.“ Die Einladung reichte mir, und schon saß ich vor den Tasten und spielte mit ihnen den „One O’ Clock Jump“. Es war ein unglaubliches Gefühl, eine unvergleichliche Erfahrung.

      Die Musik bestimmtes mein ganzes Leben. Ein anderes Ventil für meine Kreativität fand ich damals in einer kleinen, unbedeutenden Amateur-Theatergruppe namens The Quavers, deren Aktivitäten die Kirche in Bromley organisierte. Auftritte in Stücken von Noël Coward und ähnlichen Autoren machten Spaß, doch niemand – außer den Akteuren selbst – nahm davon Notiz. Auch die Quavers setzten sich für Tanzveranstaltungen ein, und zusammen mit einigen Freunden gründete ich dafür eine Band.

      Wir nannten uns The Four Tune Tellers und nach einem Neuzugang George Martin and the Four Tune Tellers. Endlich der ersehnte Ruhm! Mein Vater baute uns schmucke und ausladende Notenständer, und wir spielten Standards von Jerome Kern, Cole Porter und weiteren Größen, Stücke wie zum Beispiel „The Way You Look Tonight“. Damals stand der Quickstep hoch im Kurs, und so beendeten wir das Programm immer mit „The Goodnight Waltz“. Terry Hyland spielte bei uns Saxophon. Ich traf ihn einige Jahre später im Astoria, London. Er hatte sein Instrument immer noch nicht aus der Hand gelegt.

      Neben den obligatorischen Partys der Quavers gelang es uns, noch ein oder zwei weitere Auftritte wöchentlich zu ergattern. Mit dem dort verdienten Geld bezahlte ich die Klavierstunden in Bromley, die mir ein Schotte mit dem merkwürdigen Namen Urquhart gab.

      Ich muss damals 15 oder 16 gewesen sein. Mr. Urquhart besaß ein wunderschönes Bösendorfer, und bei ihm entdeckte ich meine Leidenschaft für die Musik. Plötzlich erkannte ich mein Talent, aber, um ehrlich zu sein, war diese Erkenntnis von einer gewissen Überschwänglichkeit geprägt. Ich träumte davon, dass ich – mit einer ordentlichen Ausbildung – ein zweiter Rachmaninow werden könne. Einige Jahre später verabschiedete ich mich von dem Hirngespinst, denn es dämmerte mir, dass ein gewisser Mr. G. Martin den Ruf eines Rachmaninow nicht bedrohte. Doch ich meiner Jugend sah ich mich gerne als klassischen Komponisten. Ein erstrebenswertes Ziel – zumindest glaubte ich daran – war für mich das Schreiben von Filmmusik. Ich hätte mir niemals träumen lassen, was das für eine verdammt harte Arbeit ist.

      Auch wenn ich noch meinen Phantasien nachhing, war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich für eine Laufbahn nach der Schule entscheiden musste. Ende der Schule – Aufbruch in die große, weite Welt. Meine Eltern versuchten ständig, meine Begeisterung für einen Beruf mit einer sicheren Perspektive zu wecken. Ich war immer gut in Mathematik und im Zeichnen gewesen, und so schlug mir Mutter vor, die Ausbildung zum Architekten anzustreben.

      Mein Vater hingegen riet mir: „Wieso versuchst du es nicht mit einem Beamtenjob? Sie können dich nie rausschmeißen.“ Da er lange Zeiten ohne eine Anstellung erlebt und darunter gelitten hatte, stand für ihn verständlicherweise die Sicherheit an erster Stelle. Doch meine Eltern sahen meinen Werdegang durchaus ambivalent. Sie wünschten sich, dass es mir besser gehen solle als ihnen und dass ich eine geregelte Anstellung fände. Trotzdem waren sie auch stolz auf meine Auftritte und unterstützten die Musik.

      Doch ich war verrückt nach Flugzeugen und wollte – wie auch ein Freund – als Flugzeugkonstrukteur mein Geld verdienen. Ihm gelang es, mir nicht. Ich versuchte mir einen Ausbildungsplatz bei de Havilland zu sichern, doch die Firma verlange von jedem Anfänger 250 £ Lehrgeld. Im Jahr 1942 lag das Hauptaugenmerk der Firmen darauf, möglichst schnell möglichst viele bereits entworfene Maschinen aus den Hangars rollen zu lassen. Das Interesse an jungen aufstrebenden Konstrukteuren war, gelinde gesagt, minimal. Trotzdem erhielt ich ein Angebot von der Firma Short & Harland, was aber einen Umzug nach Irland bedeutet hätte, wogegen ich mich sträubte.

      Ich wurde also weder Architekt noch Flugzeugkonstrukteur und schlug auch keine Beamtenlaufbahn ein.

      Stattdessen arbeitete ich für Mr. Coffin in der Victoria Street, einen Bilanzbuchhalter. Die Friedhof-ähnliche Atmosphäre der Arbeit wurde dem Namen des Mannes gerecht. Sechs Wochen gähnender Langeweile überzeugten mich, dass mich die „grandiose“ Entlohnung von 2 £ und 5 Schilling wöchentlich nicht halten konnten. Ich gab meine Kündigung bekannt, doch Mr. Coffin wollte das Arbeitsverhältnis unbedingt fortsetzen. Er bot sogar an, den Lohn zu erhöhen, doch ich drückte ihm mit einer möglichst authentischen Stimme mein großes Bedauern aus: „Nein, Sir, es tut mir wirklich leid, doch die Arbeit sagt mir überhaupt nicht zu.“

      Als Nächstes bestimmte der Tee mein Leben. Ich bewarb mich beim Kriegsministerium, das mich nach einer Aufnahmeprüfung beim nicht-uniformierten Dienst einstellte, und zwar als „Bürokraft dritten Grades auf Zeit“. Und das bedeutete Teejunge. Das Dienstgebäude lag am Eaton Square. Das Personal behandelte mich freundlich und erlaubte mir sogar, einige Akten zu ordnen – neben der Zubereitung von Tee. Die Abteilung, in der ich arbeitete, beschäftigte sich mit der finanziellen Seite der Kriegsmaschinerie. Sie genehmigten zum Beispiel neue Feldartillerie für ein Regiment oder 15 £ für die Verschönerung der Offiziersmesse.

      Meine Arbeit als heldenhaft zu bezeichnen hieße zu lügen, doch ich hielt es dort acht Monate aus. Eines Tages im Sommer 1943 marschierte ich ins Rekrutierungsbüro im Stadtteil Hither Green, in der Nähe von Bromley, und erklärte dem Offizier, dass ich der Marineluftwaffe beitreten wolle. Sie fragten mich nach meinen Namen, und da ich den korrekt aussprechen konnte, gab es keine Probleme: „In Ordnung. Sie gehören von nun an zu den Streitkräften.“ Ich war 17.

      Ich ging nach Hause und überraschte Mum mit der Nachricht, dass ich von nun an zu den Marinefliegern gehörte. Sie wurde verständlicherweise leichenblass und regte sich ungeheuer auf. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Doch es stimmte – ich hatte den Schritt gewagt. Zuerst schickte man mich an Bord der HMS St. Vincent, des Schulschiffs, das bei Gosport vor Anker lag. Während der ersten 18 Monate durfte ich die Basis nicht verlassen, denn die Vorbereitungen für die Invasion in Frankreich liefen schon an, und so riegelte man die gesamte Südküste hermetisch ab. Ich konnte also nicht nach Hause, und meinen Eltern war ein Besuch in Gosport nicht gestattet, aber aus irgendeinem Grund stand einem Treffen in Winchester nichts im Wege. Dort trafen wir uns ungefähr alle drei Monate zu Tee und Gebäck.

      Nach einem Funkkurs in Eastleigh versetzte man mich mit einer ungewöhnlichen Dringlichkeit nach Glasgow, von wo aus es auf die Nieuw Amsterdam ging, ein Kreuzfahrtschiff, das zu einem Truppentransporter umgebaut worden war, mit dem Ziel New York. Das Schiff war – um es vorsichtig auszudrücken – mehr als überfüllt und platzte aus den Nähten. Als klassischen Kreuzer hatte man es für 1.500 Passagiere entworfen, und nun quetschten sich 8.000 Personen


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