Es begann in der Abbey Road. George Martin
Ein neuer Chatschaturjan, gesetzt dem Fall, er hat das nötige Talent, wird also Symphonien komponieren und Musik für das Ballett verfassen.
Das ist nicht zu kritisieren, denn in dem Land herrscht eine große Nachfrage bezüglich dieser Stilistiken. Im Westen sehen sich große Orchester dem Druck wirtschaftlicher Gesetze ausgeliefert. Niemand kann sich auf normalem Wege ein Orchester zur Umsetzung seiner oder ihrer Musik leisten. Komponisten erhalten natürlich Aufträge, doch das Medium für den großen Orchester-Stil ist unweigerlich die Filmmusik. Es ist eine unverkennbare Tatsache, dass ein Komponist, der ausschließlich Symphonien schreibt, sich mit den unerbittlichen Marktgesetzen auseinandersetzen muss. Eine Antwort auf solch eine Bestrebung würde lauten: „Sie schreiben nur Symphonien? Na, dann mal viel Glück! Sie werden sie niemals aufgeführt hören.“ Der beste Beweis der Theorie ist Havergal Brian, der als Urheber eines enorm großen Werkes gilt, von dem nur wenige Symphonien von einem Orchester umgesetzt wurden.
Diese Beschränkungen sind auch bei Musikaufnahmen zu beobachten.
Als ich meine Tätigkeit für die EMI aufnahm, bestand die Arbeit überwiegend in der Aufnahme klassischer Musik. Doch erst durch die Verlagerung ins kreative Popsegment lohnte sich der Job und wurde darüber hinaus hochinteressant. Es ist gut möglich, dass sich in einhundert Jahren niemand mehr an meinen Namen erinnert, aber ich bin mir sicher, dass ich als Aufnahmeleiter einer weiteren Fassung von Beethovens Fünfter völlig in Vergessenheit gerate. Es wurden schon so viele Mitschnitte dieser und vergleichbarer Arbeiten gemacht, dass sich kein Weg mehr eröffnet, neue Elemente oder Variationen beizusteuern.
Es gibt keinen einzigen klassischen Künstler, der auch nur annähernd Musik in dem Umfang schafft, der bei Popmusikern zur Normalität gehört.
Ein Großteil der Popmusik ist unweigerlich mit dem Arrangieren und Orchestrieren verknüpft – und das sind schwer zu erlernende Fähigkeiten. Der älterer Herr, der mich in Guildhall unterrichtete, erteilte mir für gewöhnlich Hausaufgaben: „Nun, ich möchte, dass Sie sich bis zur nächsten Woche den zweiten Satz von Beethovens Großer Sonate für das Hammerklavier zu Gemüte führen und die Passage für ein Symphonieorchester notieren.“ Ich verbrachte gefühlte Jahre mit der Aufgabe, die komplexe Passage für ein Orchester auszunotieren, doch konnte ich sie niemals hören und wusste somit nicht, wie sie letztendlich klang. Doch mein Lehrer griff auf einen großen Erfahrungsschatz zurück, sah sich die Noten an und riet mir: „Oh ja, sehr gut. Mir gefällt die Arbeit. Doch ich würde das Fagott nicht auf die Drei setzen. Dadurch wirkt das gesamte Klangbild im Bassbereich zu voluminös.“ Er erklärte mir, was ich machen und was ich vermeiden sollte, doch da ich es niemals hörte, konnte ich seine Ratschläge nicht im ganzen Umfang aufnehmen. Heute bin ich in der Lage, solche Partituren mit meinem „inneren Ohr“ zu hören, doch damals war es mir schlichtweg unmöglich.
Ich hatte zwar schon meine eigenen Stücke für das Klavier geschrieben und gespielt, doch die Erfahrung lässt sich schwerlich auf komplexere Zusammenhänge übertragen. Meine Kompositionen entstanden durch eine Art intuitiver Spielerei. In dem Fall übernehmen die Finger das Komponieren, wodurch das Ergebnis einer ständigen Kontrolle unterliegt. Ich kann mich stundenlang vor einen Flügel setzen und spiele kein konkretes Stück, sondern lasse den Fingern freien Lauf. Das lässt sich mit dem automatischen Schreiben vergleichen, denn die Finger suchen sich ihren Weg. Doch es ist weit entfernt vom bewussten Komponieren.
Die Orchestrierung, die von der reinen Komposition zu unterscheiden ist, setzt einen bewussten Gedankenprozess voraus. Durch eine geschickte Orchestrierung werden die schon bestehenden Noten und Melodien sozusagen belebt, ihnen wird eine Farbe gegeben. Voraussetzung für diese Kunstform ist die nötige Erfahrung. Bestimmte Instrumentensätze bilden ein eher klar umrissenes Klangbild, doch wenn man sie nur leicht modifiziert, entsteht dabei ein vollkommen unterschiedliches Klangerlebnis. Es gibt keine Ausbildung, durch die man eine „richtige“ Methodik erlernen kann, die automatisch für immer und ewig gilt und demzufolge umgesetzt wird. Natürlich bestehen bestimme Grundregeln, denen man folgt, um nicht direkt in eine musikalische Fallgrube zu tappen, doch um das Handwerkszeug des Orchestrierens zu erlernen, sind konkrete Erfahrungen unabdingbar. Die Komposition ist eine bewusste Verschmelzung einer Melodie mit den entsprechenden Harmonien, egal ob sie später von einem Synthesizer oder einem 100-köpfigen Orchester gespielt wird. Die Grundkomponenten ändern sich nicht. Durch die Orchestrierung wird die Musik belebt. Die Rezeption des Publikums hinsichtlich der zugrunde liegende Melodielinie ändert sich fundamental, wird entweder die eine oder eine andere Klangfarbe ausgewählt.
Die Tatsache wurde mir nachdrücklich bei meiner Arbeit mit den Beatles bewusst. Zu Beginn gab es viele Hörer, die wegen der großen Lautstärke ihre Stücke nicht angemessen schätzen konnten. Sie ordneten die Beatles als eine laute und abstoßende Band ein, vergleichbar mit dem Publikum, das Punk ablehnt (allerdings ist das im Fall dieses Genres eher berechtigt). Damals hörte ein Mann mittleren Alters ihre Musik und meinte dazu: „Mein lieber Junge, was ist das für ein Krach!“ Daraufhin achtete er weder auf die Musik als Ganzes noch auf die Harmonien oder den Text.
Erst als sie bekannter wurden und Künstler wie Mantovani orchestrierte Versionen der Songs mit einlullenden und süßlichen Klängen einspielten, sagte dieselbe Person mittleren Alters: „Oh, das ist aber ein schönes Stück. Das sind doch die Beatles, nicht wahr? Sie schreiben hervorragende Musik!“ Diese Person hörte exakt die gleichen Stücke, die gleichen Harmonien und die gleichen Melodiebögen – aber auf eine Art arrangiert, die der Auffassungsgabe eines durchschnittlichen Mannes mittleren Alters mit einem dementsprechenden Hörempfinden entspricht.
Im Verlauf meiner Arbeit mit der Band beschränkte sich der Schaffensprozess nicht nur auf Stücke und Harmonien. Wir entwickelten uns zu einem Kompositionsteam, einem kreativen Team, das musikalische Bilder malt. Zuvor und zu dem Zeitpunkt gab es keine vergleichbaren Künstler. Ich möchte mich nicht überheblich ausdrücken und die Resultate als Äquivalent zu Bachs Messe in h-Moll bezeichnen, doch zumindest basierten sie auf einer ungestümen Kreativität, waren nicht steril und keine Reproduktionen älterer Werke.
Manchmal möchte ich die Orchestrierung mit einer Einkleidung vergleichen. Nimmt man zum Beispiel ein Streichquartett von Beethoven, das manche als staubtrocken empfinden, kann das Stück durch neue Kleidung vollständig verwandelt werden. Es ist immer noch die gleiche Musik, doch nun erfreuen sich die Zuhörer daran. Und genau das geschieht alle paar Jahre: Ein Arrangeur verkleidet eine Komposition der Klassik – und siehe da, sie steht an der Spitze der Hitparade.
In den Orchestrierungsseminaren in Guildhall musste ich die gegensätzliche Methode erlernen – und zwar eine Komposition, die für ein Orchester geschrieben wurde, auf die eingeschränkte Tastatur eines Klaviers zu übertragen. Natürlich haben das schon viele bekannte Komponisten gemacht. Rachmaninow übertrug Mussorgskys Bilder einer Ausstellung auf das Klavier, und seitdem gehört es zu den berühmten Stücken des Repertoires für das Instrument.
Mich verblüffte Ravel, ein Mann, bei dem wir sofort an üppige Orchester denken. Er war ein erstklassiger Pianist und schrieb – mit der Ausnahme seines Klavierkonzerts, soviel ich weiß – seine Stücke zuerst auf dem Klavier. Danach orchestrierte er sie, was mir recht kurios erscheint. Allerdings behandelte Ravel, einer der größten Arrangeure aller Zeiten und zugleich der Musiker, den ich am meisten schätze, all seine Kompositionen mit einer außergewöhnlichen Herangehensweise.
Jeder Künstler entwickelt eine spezielle Arbeitsweise, ähnlich den Meistern der Orchestrierung wie Debussy und Tschaikowsky (Letzterer vermittelte seinem Orchester das Wissen durch Beschreibungen), und im 20. Jahrhundert Strawinski, der von der Pieke auf gelernt hatte, wie man mit einem so großen Klangensemble umgeht.
Die Orchestrierung hat sich mittlerweile zu einer ausgefeilten Kunstform entwickelt, speziell in der Welt des Films, wo man vielen Meistern des Fachs begegnet. Zu meiner Anfangszeit klimperte ich ein kleines Stückchen auf dem Piano und dachte: „Das könnte sich auf einer Klarinette ganz nett anhören.“ Wenn ich heutzutage eine Filmmusik schreibe und mich mit einer bestimmten Passage auseinandersetze, denke ich in größeren Zusammenhängen: „Vielleicht könnte ich hier einen dreckigen Posaunenklang einsetzen. Möglicherweise benötige ich an der Stelle keine Streicher, sondern nur ein eher perkussives Element.“ Ich tendiere dazu, die Orchestrierung ähnlich