Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson
andere Besucher. Ich schlüpfte in eine hübsche Hose, ein Hemd mit Weste und band mir eine Krawatte um. Ich saß ganz entspannt da, und die Damen bemerkten: „Mike, du siehst gut aus.“ Und dann kam Cus herein.
„Wie bist du denn herausgeputzt? Deine Hose ist so eng, dass sich deine Eier und dein Arsch abzeichnen. Was ist los mit dir?“
Camille wollte mich verteidigen, aber Cus fiel ihr ins Wort.
„Verschone mich mit deiner Meinung. Camil-lee, bitte. Dieser Aufzug ist unmöglich.“
Aber Cus bedachte mich nie mit Schimpfworten wie „Hurensohn“. Er nannte mich lediglich faule Tomate oder Penner. Das hieß in der Boxersprache, dass ich ein schmutziger, versiffter Nigga sei. Ich heulte jedes Mal wie ein Baby. Er wusste, dass ich am Boden zerstört war, wenn er das zu mir sagte.
Ich empfing von ihm so viele unterschiedliche Botschaften, dass ich unsicher wurde, wie er mich in Wirklichkeit als Boxer einschätzte. Einmal, als Tom Patti und ich gerade aus der Sporthalle kamen, verspätete sich Cus einen Moment. Ich schlüpfte auf den Rücksitz und versteckte mich.
„Sag Cus, ich sei zu Fuß heimgegangen. Und wenn er einsteigt, frag ihn bitte, wie er eigentlich zu mir steht.“ Tom war dazu bereit. Dann stieg Cus ein.
„Wo zum Teufel steckt Mike?“, fragte er.
„Ich glaube, er bleibt in der Stadt“, erwiderte Tom.
„Okay, dann fahren wir. Er wird später nachkommen.“ Also fuhren wir los. Ich lag auf dem Rücksitz und flüsterte mit Tom, da Cus halb taub war und schlecht hörte.
„Hör zu, Tom, frag Cus, ob er findet, dass ich harte Schläge verpasse“, sagte ich.
„He, Cus, findest du, dass Mike hart zuschlägt?“, fragte Tom.
„Tut er. Ich will dir mal was sagen: Dieser Junge schlägt so hart zu, dass er eine Ziegelmauer entzweischlagen könnte. Er schlägt nicht nur hart zu, sondern auch effektiv. Er kann sowohl mit der rechten als auch mit der linken Hand den Gegner k.o. schlagen“, sagte Cus.
„Frag Cus, ob er glaubt, ich könne in Zukunft wirklich ein großer Boxer werden“, flüsterte ich.
Tom stellte Cus die Frage.
„Tommy, wenn Mike seine fünf Sinne beisammenhält und sich auf das angestrebte Ziel konzentriert, wird er einer der größten Boxer, wenn nicht gar der größte Boxer in der Geschichte des Boxsports.“
Das hörte ich gerne. Inzwischen waren wir bei Cus’ Haus angelangt. Als wir ausstiegen, entdeckte mich Cus auf dem Rücksitz.
„Du hast gewusst, dass er mit uns fuhr?“, wandte er sich an Tom.
Tom spielte den Unschuldigen.
„Versuch nicht, mich zu verschaukeln. Du hast genau gewusst, dass er hinten auf dem Rücksitz lag. Ihr beide seid wirklich nicht auf den Kopf gefallen, das kann ich euch sagen.“
Cus fand es nicht lustig, aber wir schon.
Das Lustige daran war, dass er seine eigenen Emotionen nicht kontrollieren konnte. Cus war einfach ein total verbitterter Mann, der nach Rache sann. Roy Cohn, Kardinal Spellman, diese Männer verfolgten ihn im Schlaf. J. Edgar Hoover? „Oh, wenn ich ihm nur eine Kugel in den Kopf jagen könnte, denn das verdient er.“ Er faselte ständig davon, wie er jemanden umbringen würde, und dabei waren einige der Kerle bereits tot. Aber er hasste sie abgrundtief.
Als ich einmal etwas Nettes über Larry Holmes sagte, geriet Cus außer sich.
„Was glaubst du denn? Er ist ein Nichts. Man muss diesen Mann demontieren. Es ist unser Ziel, ihn auseinanderzunehmen und ihm die Meisterschaft abzunehmen. Er ist nichts für dich.“
Manchmal brüllte Cus bei einem Fernsehauftritt wie ein Tier. Eigentlich wirkte er nicht wie ein bösartiger alter Mann, doch er war es. Wenn man nicht bereit war, sein Sklave zu sein, hasste er einen abgrundtief. Er war immer auf Konfrontation aus. Den größten Teil des Tages hörte man ihn sagen: „Oh, dieser Hundesohn, oh, ich kann es nicht glauben, dieser Kerl aus, du weißt schon, wen ich meine … Was für ein Dreckskerl!“
Die arme Camille sagte dann: „Cus, beruhige dich. Dein Blutdruck steigt.“
Cus herrschte in dem Haus mit eiserner Faust und beherrschte sogar Camille, obwohl es ihr Haus war. Cus besaß keinen Cent. Er hat sich nie richtig um Geld gekümmert und das meiste einfach weggegeben. Camille wollte das Haus verkaufen, weil es so teuer war, es zu unterhalten, doch Cus überredete sie, es zu behalten. Er wies sie darauf hin, dass er eines Tages einen Stall guter Kämpfer haben und dann alles besser werden würde. Er hatte aber schon fast die Hoffnung verloren, als ich des Weges kam.
Ich glaube nicht, dass Cus damit rechnete, in absehbarer Zeit einen Boxweltmeister präsentieren zu können. Die meisten Boxer, die nach Catskill kamen, waren bereits etablierte, die den Mädchen und den Versuchungen der Stadt entfliehen wollten. Außerdem mochte zu der damaligen Zeit keiner seinen Boxstil. Sie fanden ihn überholt. Dann tauchte ich dort auf, völlig unwissend, jemand, der noch zu formen war. Ich konnte nicht begreifen, warum Cus sich dermaßen über mich freute. Wenn er mich ansah, fing er an, hysterisch zu lachen. Er griff nach dem Hörer und erzählte aller Welt: „Das Wunder ist zum zweiten Mal geschehen. Ich habe einen neuen Champ im Schwergewichtsboxen.“ Dabei hatte ich noch nie einen Amateurkampf ausgetragen. Ich habe keine Ahnung, was ihn bewog, so etwas zu sagen, aber irgendwie scheint er wirklich diesen Weltmeister in mir gesehen zu haben.
Nie werde ich meinen ersten Amateurkampf vergessen. Es war in einer kleinen Halle in der Bronx. Sie gehörte Nelson Cuevas, einem ehemaligen Boxer von Cus. Die Halle war ein Dreckloch. Sie befand sich im zweiten Stock eines Gebäudes direkt neben der Hochbahn. Die Gleise waren so nah, dass man die Hand aus dem Fenster strecken und beinahe die Bahn berühren konnte. Solche Kämpfe nannte man auch „Smoker“, da der Zigarettenrauch so dicht war, dass man kaum den Gegner erkennen konnte, der vor einem stand.
Smokers waren ungenehmigte Wettkämpfe, was im Grunde genommen bedeutete, dass sie illegal waren. Draußen standen keine Sanitäter und Krankenwagen. Wenn die Zuschauer den Kampf nicht mochten, äußerten sie dies nicht durch Buhrufe, sondern verprügelten sich gegenseitig, um dem Boxer zu zeigen, wie man es richtig machte.
Alle waren piekfein gekleidet, ob Gangster oder Drogendealer. Und jeder schloss eine Wette auf die Boxer ab. Ich erinnere mich, wie ich mal einen Typen fragte: „Kaufst du mir ein Würstchen in Blätterteig, wenn ich gewinne?“ Wer gewettet hatte und gewann, kaufte einem gewöhnlich etwas zu essen.
Kurz vor meinem Kampf bekam ich so große Angst, dass ich mich fast aus dem Staub gemacht hätte. Ich dachte an all die Vorbereitungen bei Cus. Selbst nach all dem Training hatte ich immer noch riesigen Bammel, gegen jemanden im Ring anzutreten. Was war, wenn ich versagte und verlor? Auf den Straßen in Brooklyn hatte ich unzählige Male gekämpft, aber dies hier war eine ganz andere Geschichte. Man kennt seinen Gegner nicht und hat nichts gegen ihn. Ich war dort mit Teddy Atlas, meinem Trainer, und ich erklärte ihm, ich würde kurz in den Laden runtergehen. Also ging ich hinunter und setzte mich auf die Treppe, die zur U-Bahn hoch führte. Eine Sekunde lang erwog ich, einfach in die verdammte Bahn einzusteigen und nach Brownsville zu fahren. Aber dann erinnerte ich mich ruckartig an alles, was Cus mir eingebläut hatte, und ich fing an, mich zu entspannen, und mein Ego und mein Stolz gewannen die Oberhand. Also ging ich wieder hinauf, zurück in die Halle.
Ich kämpfte gegen einen hochgewachsenen Puerto Ricaner mit Afro-Look. Er war 18, vier Jahre älter als ich. Zwei Runden lang traktierten wir uns gegenseitig mit harten Schlägen, aber in der dritten traf ich ihn voll, und er fiel gegen das untere Seil. Ich ließ noch einen Schlag folgen, der ihm buchstäblich das Mundstück herausriss, das in die Zuschauermenge geschleudert wurde. Ich hatte ihn k.o. geschlagen und war außer mir vor Begeisterung. Der Ring – das war mein Leben. Ich wusste nicht, wie ich den Sieg feiern sollte. Also trat ich auf ihn, stellte mich auf den flach am Boden liegenden Scheißkerl und