Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson

Unbestreitbare Wahrheit - Mike  Tyson


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denn wenn ich versagte, würde Cus mich fallenlassen und ich würde verhungern.

      Cus hatte mir ein Buch zum Lesen gegeben, In This Corner. Ich konnte es nicht aus der Hand legen. Ich sah, wie diese Boxer mit ihren Emotionen umgingen, wie sie sich auf die Kämpfe vorbereiteten. Dieses Buch vermittelte mir tiefe Einblicke in die Psychologie des Menschen. Es faszinierte mich, wie hart die Boxer damals gearbeitet hatten, wie hungrig sie waren. Ich las, dass John L. Sullivan trainierte, indem er fünf Meilen joggte und dann diese Strecke zurücklief und 20 Sparringsrunden absolvierte. Ezzard Charles trainierte, indem er nur drei bis vier Meilen pro Tag joggte und sechs Runden boxte. Ich dachte: Verdammt, Sullivan trainierte in den 1880ern härter als der Typ in den 1950ern. Ich fing also an, die zwölf Meilen bis zur Sporthalle zu Fuß zu gehen, absolvierte mein Sparring und ging dann wieder zu Fuß zurück nach Hause. Ich fing an, den Typen der alten Schule nachzueifern, da sie richtig cool waren. Und sie hatten eine lange Karriere hinter sich.

      Ich machte Cus verrückt, weil ich ihn ständig nach diesen alten Boxkämpfen ausfragte. Ich weiß, er liebte es, übers Boxen zu reden, aber manchmal übertrieb ich es wohl auch. Ich las alle Bücher übers Boxen, die Cus hatte. Wenn wir also beim Essen saßen, und Cus den anderen Jungs die Boxgeschichte näher brachte und nach einem Namen oder einem Datum suchte, beendete ich den Satz für ihn.

      „Dieser Junge weiß alles“, sagte er. „Man könnte meinen, er sei dabei gewesen.“

      Ich nahm die Boxgeschichte so ernst, weil ich so viel von den alten Boxern lernte. Was musste ich tun, um so zu sein? Was konnte dieser oder jener Boxer Besonderes? Cus klärte mich darüber auf, wie böse und gemein sie außerhalb des Rings waren. Aber wenn sie im Ring standen, waren sie entspannt und ruhig. Ich war ganz aufgeregt, wenn Cus über diese Jungs redete, und erkannte, dass er sie sehr schätzte. Ich wünschte mir, dass jemand so über mich sprach. Ich wünschte mir so sehr, Teil dieser Welt zu sein, schaute mir die Kämpfe im Fernsehen an und sah, wie die Boxer mit verzerrter Miene ihre Schläge austeilten und dass ihre Körper sehr muskulös waren. Ich wünschte mir, es würde sich um mein Gesicht und meinen muskulösen Körper handeln.

      Wir unterhielten uns über die Boxsportgrößen. Ich schwärmte für Jack Johnson. Was für ein mutiger Kerl. Er war tatsächlich der erste Junge, der stolz darauf war, schwarz zu sein. Und ich mochte seine Überheblichkeit. Er wurde um die Jahrhundertwende wegen eines Strafzettels von der Polizei angehalten und sollte zehn Dollar bezahlen. Er gab dem Polizisten 20 Dollar und sagte: „Nehmen Sie das, denn ich werde auf dem Rückweg nochmal hier vorbeikommen.“

      Er war ein Meister der Manipulation. Wenn er trainierte, umwickelte er seinen Penis, bevor er seine Boxerhosen anzog, um ihn größer und die Weißen minderwertiger erscheinen zu lassen. Während der Boxkämpfe demütigte er seine Gegner. Er war ein richtiger Maulheld. „Ich gebe dir 10.000 Dollar, wenn es dir gelingt, meine Lippe aufzureißen“, sagte er. Während einer Runde lachte er seinem Kontrahenten ins Gesicht, sprach mit seiner Frau und erklärte ihr, wie sehr er sie liebe, während er dem Kerl, gegen den er antrat, die Seele aus dem Leib prügelte. Gern hätte ich mit ihm herumgehangen. Er beherrschte mehrere Sprachen und feierte mit den königlichen Familien von Russland und England.

      Dempsey war der erste Ein-Million-Dollar-Champ. Er führte Showbusiness und Glamour in den Boxsport ein. Ich fühlte mich ihm am meisten verbunden, weil er ein sehr unsicherer Junge war. Er hatte immer Angst, überwand sie aber stets, um sein Ziel zu erreichen.

      Cus’ Favorit war Henry Armstrong. Der griff seinen Gegner konstant an und zermürbte ihn. „Konstanter Angriff, keine Unterbrechung“, erklärte Cus mir. „Armstrong bewegt immer seinen Kopf und hat eine gute Abwehr. Brich den Willen des Gegners, zerstöre seinen Kampfgeist, lass all seine verdammten Anstrengungen ins Leere laufen.“

      All seine verdammten Anstrengungen ins Leere laufen lassen? Wow! Dann starrte Cus mich an.

      „Wenn du auf mich hörst, dann gehörst du bald zu den Göttern. Schau, wie interessiert du bist und wie du über all diese alten Boxer sprichst. Der einzige Grund, weshalb die Menschen von diesen Jungs erfahren, ist der, dass du ihr Andenken lebendig hältst. Du wirst alle diese Boxer überstrahlen. Als Junge habe ich mal Jack Dempsey gesehen. Ich habe diese Boxer kennengelernt und ihnen die Hand geschüttelt. Sie können dir aber nicht das Wasser reichen. Du bist ein Riese, ein Koloss unter den Männern.“

      Ich verschlang diesen Scheiß. Aber all das Gerede über Engagement, Disziplin und harte Arbeit reichte nicht aus, mich davon abzuhalten, nach Brooklyn zurückzukehren und wieder zu klauen und Leute auszurauben. Ich spielte ein doppeltes Spiel. In Catskill mimte ich den Chorknaben und in Brooklyn den Teufel.

      Dem Himmel sei Dank, dass ich nie festgenommen wurde. Das hätte Cus das Herz gebrochen.

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      Cus verstand es, mir ein gutes Gefühl zu vermitteln, ein Gefühl, als könnte ich die Welt erobern. Aber er wusste auch, wie er mir das Gefühl vermitteln konnte, ein Stück Scheiße zu sein. Manchmal sagte er zu mir: „Du lässt deinen Verstand die Oberhand gewinnen.“ Das war sein ungeschriebener Geheimkode, um zu sagen: „Du bist ein scheiß Schwächling. Du besitzt nicht genug Disziplin, um einer der Großen zu werden.“ Die großen Boxer konnten den besten Kampf ihres Lebens abliefern, auch wenn gerade ihr Kind entführt oder ihre Mutter umgebracht wurde. Die Großen sind emotional völlig eigenständig. Auch Sänger und Schauspieler sind so, nicht nur die Boxer. Wie ich gelesen habe, waren einige der legendärsten Künstler fähig, eine rekordverdächtige Performance hinzulegen, auch wenn sie high von irgendwas waren. Manchmal konnten sie nicht mal mehr gehen und fuhren direkt von der Bühne in die Klinik, aber sie besaßen extrem viel Disziplin und Entschlossenheit. Ich wollte einer dieser Boxer und Performer werden.

      Vom ersten Tag an, als ich bei Cus einzog, fing er an, mich entsprechend zu bearbeiten und zu testen, wie weit er mich ohne ersichtlichen Grund drangsalieren konnte. Zum Beispiel tauchte er in meinem Zimmer auf und fragte: „Was hast du heute in der Schule gemacht? Nun, du musst ja wohl was gemacht haben, denn du warst den ganzen Tag in der Schule. Was hast du gelernt? Wo sind deine Hausaufgaben? Hast du welche auf?“

      Die anderen Jungs behaupteten immer, Cus bevorzuge mich, aber sie wussten nicht, wie er mit mir redete, wenn wir allein waren.

      Ich hatte immer Gewichtsprobleme. In meiner Vorstellung war ich ein fettes Schwein, auch wenn die anderen bei meinem Anblick nicht auf den Gedanken kamen. Wenn ich trainierte, schmierte ich mir Abolene, ein Mittel zum Fettabbau, auf die Haut und trug ein bis zwei Wochen lang einen Saunaanzug, den ich lediglich abends zum Baden auszog. Damit konnte ich noch ein paar Pfunde zum Schmelzen bringen. Dann ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen streifte ich ihn wieder über, ging zum Joggen und trug ihn den ganzen Tag. Mein Gewicht war ebenfalls ein Punkt, der Cus Anlass zum Kritteln gab.

      „Dein Arsch wird immer fetter“, sagte er. „Du verlierst wohl das Interesse, oder? Du willst das alles wohl nicht mehr mitmachen, denn es ist zu anstrengend für dich, nicht wahr, Mike? Du hast dir wohl vorgestellt, dass wir hier oben Spielchen machen, oder? Hast gedacht, du bist wieder in Brownsville, rennst herum und treibst deine Spielchen?“ Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich das anhören. Und zwar genau in dem Augenblick, wenn Sie sich ein Eis gönnen, was Sie sich sowieso nur am Wochenende zugestanden, müssten Sie das über sich ergehen lassen. „Nicht viele Kids können das tun, was wir hier machen, deshalb ist es etwas ganz Besonderes. Ich hatte wirklich angenommen, du könntest es“, fuhr er fort.

      Teilweise tadelte mich Cus, und ich hatte keinen Schimmer, weshalb. Er nahm mich auseinander und machte mich nieder. „Mit deinem kindischen Getue und Verhalten wirst du nie den Gipfel erreichen, nach dem wir streben.“ Manchmal, wenn Cus mich mal wieder niedergemacht hatte, konnte ich nicht anders als verzweifelt zu schreien: „Ihr könnt mir alle gestohlen bleiben. Aggh!“

      Ich konzentrierte mich dann auf die positiven Dinge, die er zu mir sagte, und erklärte ihm: „Ich werde alles daransetzen zu gewinnen. Ich würde mein Leben opfern, um Champion zu werden, das darfst du mir ruhig glauben, Cus.“ Und statt zu erwidern: „Mike, du schaffst es“, musste er mir unbedingt noch einen Seitenhieb versetzen: „Überleg dir genau, worum du


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