Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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‚perfekt‘ gewesen waren. Dazu trug er eine Art Teewärmer mit Armlöchern und Sandalen – das Ganze mit Schnüren zusammengehalten. Ich dachte: Mein Gott, was werden die davon halten?“ Offenbar halten sie nicht wenig davon. Ein Mann, der es wagt, der Chance seines Lebens in derartigen Lumpen und ohne Socken zu begegnen, muß wohl eine große Portion von dem besitzen, was Deep Purple bislang fehlt: Underground-Coolness. Oder, in Ian Gillans Worten: „Plötzlich mußten wir uns nicht mehr bemühen, nett zu wirken, sondern konnten einfach die Zunge rausstrecken und loslegen. Ich denke, das war’s, was Purple wollten.“

      Roger Glover indes will eigentlich was anderes und jedenfalls seine Band nicht im Stich lassen. Um ihn zu erweichen, schlägt Gillan vor, Deep Purple lediglich ein paar ihrer gemeinsam komponierten Songs anzubieten. Am Sams­tag, dem 7. Juni 1969, trifft sich die noch nicht ganz embryonale Neubesetzung zu diesem Zweck in Jon Lords Haus. „Er war ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte, ein richtig sympathischer Mann, und seine Genialität haute mich aus den Socken“, erzählt Roger Glover, der ein paar Ideen vorspielt – „über Affen und Löwen. Affen kamen damals in unseren Texten immer vor.“ Jon Lord kann aber nur mit einem Ohr zuhören, denn gleichzeitig ist er damit beschäftigt, den weiteren Tagesverlauf zu koordinieren: Am Nachmittag soll sich die „alte“ Mannschaft im Studio treffen, um für eine eventuelle neue Single eine Nummer namens „Hallelujah“ einzuspielen, die die Tin-Pan-Alley-Songwriter Roger Greenaway und Roger Cook – einst unter dem Duonamen David & Jonathan, später mit der Sessiongruppe Blue Mink höchst erfolgreich – als Demo an Derek Lawrence geschickt haben. Glover und Gillan vertreiben sich irgendwie die Zeit, während sich Blackmore, Paice und Lord im Studio mit Evans und Simper irgendwie die Zeit vertreiben. Nach zwei Stunden „Arbeit“ trennt man sich schließlich – und eine halbe Stunde später sind Deep Purple wieder im Stu-dio, diesmal mit Gillan und Glover, um die Sache ernsthaft anzugehen. Dabei erweist sich, daß Roger Glover möglicherweise nicht so punktgenau und verläßlich wie Nick Simper mit dem Baß umgehen kann, dafür aber eine ganze Menge mehr Gespür für freie Melodieführung, Ahnung von Arrangements und der Studio­arbeit insgesamt hat als selbst Blackmore und Lord. Und Ian Gillan sorgt für einen im wahrsten Sinn des Worts einschneidenden Moment in der Band­geschichte, als er den ersten seiner markerschütternden Schreie losläßt, die bis heute Deep-Purple-Fans aller Generationen vor Begeisterung die Haare zu Berge stehen lassen.

      „Jon Lord fragte: ‚Wärst du bei der Band dabei?‘“ erzählt Glover später. „Und ich antwortete: ‚Schönen Dank, aber nein, denn Ian verläßt meine Band, und wenn ich auch gehe, sind alle arbeitslos, und diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen.‘ Aber ich spürte, daß an Deep Purple was dran war. Ich weiß nicht, was – die Musik war’s nicht –, irgendwie so ein instinktives Gefühl, daß der Zeitpunkt gekommen war, was Neues zu machen. Am Sonntag rief ich von Ians Wohnung aus bei Jon Lord an. Es war ungefähr zehn Uhr morgens, und da ich nicht wußte, daß er nie vor zwei Uhr nachmittags aufsteht, sagte ich enthusiastisch: ‚Jon, hier ist Roger!‘ Er sagte bloß: ‚Yeah.‘ Und ich: ‚Roger – Roger Glover, der Bassist!‘ Dann bekam ich mitgeteilt, daß ich drei Monate lang bloß probeweise dabeisein würde – auf Bewährung, wie er das nannte.“

      Am Montag ruft Jon Lord Tony Edwards an und berichtet ihm von der Umbesetzung: „Wir haben jetzt diesen Kerl, der nicht singt, sondern schreit.“ Die einzigen, die nach wie vor nichts von der Entwicklung wissen, wahrscheinlich nicht einmal ahnen, sind Rod Evans und Nick Simper – sie werden noch gebraucht, denn bis Ende Juni stehen Konzerte an, und auch Gillan und Glover sind noch einige Zeit an Episode Six gebunden. Während also die laut Ian Paice „wie die Spice Girls zusammenmontierte“ Neubesetzung in getrennten Bandbussen durch die Lande kutschiert, wollen wir uns die beiden Bald-Exmitglieder noch mal ein bißchen näher anschauen.

      Rod Evans ist das vielleicht rätselhafteste aller ehemaligen und aktuellen Mitglieder von Deep Purple. Man weiß, daß er am 19. Januar 1947 im schottischen Edinburgh geboren ist, daß seine Eltern bald danach in den Londoner Westvorort Slough umzogen und daß er sich im Kindergarten mit dem späteren Deep-Purple-Roadie Mick Angus anfreundete. In seiner ersten Band The Horizons spielte er 1965 mit Lenny „Chip“ Hawkes zusammen, der später mit den Tremeloes bekannt wurde. The Horizons coverten hauptsächlich Curtis-Mayfield-Songs und Beat-Hits und waren viel unterwegs, selbstverständlich auch in Hamburg, wo sie sich nebenberuflich als Zechpreller durchbringen mußten, um nicht zu verhungern. Evans verdiente sich ein paar Scheine als Photomodell dazu und lernte dabei vielleicht, auch musikalisch in Rollen zu schlüpfen und fremde Kleider zur Schau zu tragen.

      Als Lenny Hawkes Mitte 1966 die Horizons verließ, warben die Übrig­geblie­benen Ian Paice von den lokalen Konkurrenten The Shindigs ab, nannten sich nach dem Geheimdienst Ihrer Majestät M. I. Five und beschlossen, Profis zu werden. Im September erschien die erste Single „You’ll Never Stop Me Loving You“ auf Parlophone, komponiert von Gitarrist Roger Lewis. Evans gab den croonenden Gene-Pitney-Klon auf der A-Seite ebenso überzeugend wie auf der B-Seite „Only Time Will Tell“ den psychedelischen Mod-Beat-Sänger. Kaufen wollte die Platte trotzdem (oder deswegen) kaum jemand, also benannte sich die Band in The Maze um, ließ sich von Robert Stigwood für sein Reaction-Label unter Vertrag nehmen und das versprechen, was er seinen anderen Schützlingen The Who und Cream schon verschafft hatte. Mehr als ein dreimonatiges Engage­ment in Mailand Anfang 1967 – in einer Inszenierung von Arnold Weskers Thea­terstück Chips With Everything – und eine anschließende Deutschlandtournee sprang aber nicht heraus. In Hamburg traf Schlagzeuger Ian Paice Ritchie Black­more wieder, den er auf der Reise nach Italien auf dem Schiff kennengelernt hatte, ließ sich von ihm aber nicht zum Ausstieg und einem Versuch mit Man­drake Root überreden. The Maze veröffentlichten vier Singles: „Hello Stranger“, „Aria Del Sud“ (eine Promoplatte für das Mailänder Theaterstück), eine nur in Frankreich erschienene EP mit „I’m So Glad“ von Skip James und im Dezember 1967 die italienische Ballade „Cateri Cateri“. Dann hatte Rod Evans genug von der wechselnden Musikmaskerade, vor allem aber von den fünfzehn Pfund, die er mit The Maze wöchentlich verdiente, und bewarb sich, dem Beispiel seines Freundes Mick Angus folgend, auf die Melody Maker-Anzeige hin bei Deep Purple – um erneut die musikalischen Vorstellungen anderer Leute vokal umzusetzen.

      Rätselhaft an Rod Evans ist vor allem seine Rolle in der Band. Er war nie ein wirklicher „Rocker“ (ob er je einer sein wollte, wissen wir nicht), und so wirkte er während seines kurzen Jahres bei Deep Purple auf der Bühne stets wie ein etwas überforderter Charakterdarsteller, der nicht recht weiß, welchen Charakter er gerade darstellen soll. Andererseits hat er einige der erstaunlichsten Texte für die Band geschrieben, und auch die Tatsache, daß auf den ersten drei Alben recht wenig gesungen wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie sehr wesentlich von seiner Stimme geprägt sind, die weniger deplaziert wirkt als manch anderes Element. Am Ende flog Evans sang- und klanglos und wohl auch weitgehend klaglos raus, ging in die USA, um ein ganz anderes Leben zu beginnen, und verschwand nach einer äußerst unrühmlichen Episode, von der wir noch berichten werden, so komplett von der Bildfläche, daß zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buchs nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden kann, ob er noch lebt.

      Das zweite „Opfer“ des Bandumbaus, Nick Simper, kam am 3. November 1945 in Norwood Green in der – wir ahnen es – Westlondoner Vorstadt Southall zur Welt und fing schon 1960, mit vierzehn, als Gitarrist der Schülerband The Renegades an. Nach der Schule spielte er bei The Delta Five, die zumindest der Legende zufolge 1962 im Hanwell Community Center im Vorprogramm von Jerry Lee Lewis auftreten durften und Nicks erste Band waren, „die gut genug war, um nicht mit Cola-Flaschen beworfen zu werden“. Unterwegs auf den Bühnen Westlondons kreuzten sich immer mal wieder die Wege von The Delta Five und Screaming Lord Sutch & The Savages, deren Gitarrist Ritchie Blackmore Simper enorm beeindruckte. Noch mehr begeistert war er aber von der ruppigen Haudrauf­kapelle Johnny Kidd & The Pirates; weil in The Delta Five nicht genug Aggres­sionspotential steckte, stieg er aus, wechselte von der Gitarre zum Baß und zu der Band Some Other Guys. Ein paar Türen weiter probten The Javelins, deren Bassist Nick zeigte, wie man mit seinem neuen Instrument richtig umgeht, und deren Sänger Jess Thunder mit bürgerlichem Namen Ian Gillan hieß.

      Dann wurde auch Simper ein richtiger Profi, spielte bei Buddy Britten & The Regents, die auf den britischen Kanalinseln so etwas wie lokale Superstars


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