Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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ja „progressiv“ – als kommerziell und somit uncool.

      Als einzige Bandkompositionen ertönen „Mandrake Root“ und „Wring That Neck“, vor und nach „Help“, ehe Deep Purple nach ihrer Version von „Hey Joe“ flugs die Bühne räumen müssen. Das tun sie nicht etwa (wie zuvor in England) unter Pfiffen, Becherhagel oder auch nur allgemeiner Gleichgültigkeit, sondern – obwohl das Zusammenspiel nach kaum zwanzig Auftritten manches zu wünschen übrigläßt und vor allem die Solobeiträge noch sehr überhastet und grob zusammengeschraubt wirken – enorm umjubelt und mit einem enormen Selbstbewußtsein, was einigen Leuten hinter der Bühne zu denken gibt. Sie denken schnell und handeln noch schneller: Nach dem dritten Auftritt (in San Diego) fliegen Deep Purple aus dem Cream-Vorprogramm. „Wir verstanden uns gut mit ihnen“, erzählte Jon Lord in versöhnlicher Laune im Jahr 2000 in einem Interview mit dem Leicester Mercury. „Sie hatten keine Ahnung, daß man uns rausschmeißen wollte. Dafür waren sie viel zu stoned.“ Derek Lawrence sieht die Sache so: „Ritchie baute in seine Soli alle möglichen Sachen ein, ein Zitat aus Chet Atkins’ Version von ‚White Christmas‘ und sogar ‚God Save The Queen‘. Er war der erste Gitarrist, der so was machte: lustige Überraschungsgags in Hard-Rock-Nummern, einfach zum Spaß. Cream fanden das gar nicht lustig, aber das Publikum war begeistert, und da sie mit ‚Hush‘ auch noch eine Hitsingle hatten, kamen sie sehr gut an, wahrscheinlich zu gut.“ Überrascht über die Reaktion des Publikums zeigt sich Ritchie Blackmore noch viele Jahre später: „Als ich das erste Mal nach Amerika kam, dachte ich: Was soll ich hier, wo sie all diese phantastischen Gitarristen haben? Ich bin mit der Musik von Speedy West, Jimmy Bryant und solchen Leuten aufgewachsen. Als ich dreizehn war, fand ich es unfaßbar, wie gut die waren. Ich dachte: Wenn ich nach Amerika gehe, werde ich umgebracht.“ Aber der „Hush“-Hit hat die amerikanischen Ohren geölt, und Blackmore tut das Seine, sie weiter zu öffnen – zu weit für Eric Claptons Geschmack vielleicht.

      Ein nicht so arg kleiner Trost bleibt: Jimi Hendrix war am Samstagabend im Forum, um Cream zu sehen, und hat danach nicht nur diese, sondern auch Deep Purple in sein Haus in den Hollywood Hills eingeladen. Für Blackmore gerade Ehre genug, um Eric Clapton nicht mit einem „practical joke“ für ein paar Wochen spielunfähig zu machen.

      Nun, nach einem Auftritt beim San Francisco International Pop Festival am 27. Oktober (mit Creedence Clearwater Revival, Eric Burdon & The Animals, Canned Heat und Iron Butterfly), müssen Deep Purple also ganz auf eigenen Beinen stehen, und daß sie das können, zeigt und bewirkt der Jubel der Festival­besucher, die die Band Augenzeugen zufolge mit stehenden Ovationen ver­abschieden – wenn man bedenkt, daß auf Festivals an der US-Westküste Ende der sechziger Jahre für gewöhnlich ab Mittag kaum mehr jemand in der Lage ist zu stehen, kann man sich vorstellen, mit welch geschwollenen Brüsten die fünf Neulinge von der Bühne gehen. Der Jubel hat geschäftliche Folgen: Das Telephon von Jeff Wald, der eigentlich nur ein paar Tage mit eilends anberaumten Konzerten überbrücken will, steht nicht mehr still, bis die Tour um vier Wochen verlängert ist. Das überbordende Selbstbewußtsein der Band äußert sich aber auch in Interviews, in denen immer mal wieder danach gefragt wird, wieso eigentlich in der britischen Heimat kaum jemand was von Deep Purple hören will. „Hier in den USA läuft alles prima“, sagt Ian Paice zu Tiger Beat, „und mir ist es eigentlich egal, ob wir in England was reißen oder nicht. Das ist so eine lächerliche Szene dort. Wenn du gut bist und ein Schreiberling das Gegenteil behauptet, geht kein Mensch mehr hin, um sich selbst zu überzeugen.“ Nick Simper erklärt einem kanadischen Reporter: „Das englische Publikum interessiert sich viel mehr für die Präsentation. Die denken, sie haben schon alles gesehen, also mußt du ihnen eine echte Show bieten. Alle wollen eine Show, einen Aufzug, irgendwas Ausgeflipptes, keine Musik. In San Francisco war das ganz anders, da brauchten wir bloß Musik zu spielen. Da hört man dir zu, egal ob du eine große Band oder ein Niemand bist. In England ist der Blues jetzt groß im Kommen, und darum sind wir nicht dort, sondern hier.“ Schon vor der Tournee hat Jon Lord dem britischen Magazin Beat Instrumental seine Meinung gesagt: „Wir wußten von Anfang an, daß England nicht so offen für eine wirklich neue Band sein würde wie Amerika, darum wollten wir auch bei einer amerikanischen Firma unterschreiben. Englische Firmen wenden grundsätzlich weder Zeit noch Mühe für dich auf, solange dein Name nicht etabliert ist. Aber dann ist es ein bißchen spät, nicht wahr?“

      Viele Jahre später wird sich Ian Paice erinnern: „In Amerika konnte man damals viel mehr Aufruhr erregen als in England. Wir sind nach San Francisco raufgefahren und hatten keine Ahnung, was dort so los war. Da haben sie immer noch von Peace & Love geträumt, und dann kommt diese englische Band daher, total aggressiv, drischt drauflos und spielt extrem laut. Die wußten gar nicht, was sie mit uns anfangen sollten.“ Die Amerikaner sind, so scheint es, heilfroh, endlich eine britische Band gefunden zu haben, die nichts mit Blues am Hut hat und so richtig die Sau rausläßt. Als Ritchie Blackmore während eines Auftritts auf der Abschlußfeier der University of Southern California in Los Angeles mit seiner Gitarre die gläserne Bühnendecke in Scherben haut, rasen die Studenten vor Begeisterung. Und im New Yorker Club Electric Garden muß die Band über Weihnachten und Neujahr gleich sieben Konzerte hintereinander geben.

      Artie Mogul sieht den Bühnenerfolg „seiner“ Band mit leicht gemischten Gefühlen, denn auch die zweite Single aus dem zweiten Album, „River Deep, Mountain High“, bleibt in den tiefen Tälern der US-Hitlisten stecken, verkauft sich jedoch besser als das Original von Ike & Tina Turner. Zudem sind mittlerweile gewisse, noch leise Gerüchte über die finanzielle Ausstattung seiner Plattenfirma im Schwange. Also schickt er seine potentiellen Hitlieferanten Ende Dezember in New York, wo sie ein paar Tage freihaben, ins Studio – und zuvor in den Plattenladen: Mangels eigenen Materials (und, wenn es solches gäbe, mangels Vertrauens in dieses) soll eine neue Coverversion endlich den „Hush“-Coup wiederholen. Den ersten Nachmittag verbringen Deep Purple also damit, alle möglichen und möglichst nicht allzu bekannten US-Platten durchzuhören.

      Ritchie Blackmore hat auf Recherche dieser Art keine Lust. Er sitzt derweil an der nächsten Straßenecke in einer Bar und grübelt über die Zukunft seiner Band. Als sich seine Kollegen dann endlich für „Oh No No No“ (möglicherweise geschrieben von dem späteren Gary-Glitter-Hintermann Mike Leander) entschieden haben, ist Blackmore so blau, daß er immer wieder seinen Einsatz verpaßt. Da die Coverversion am Ende nicht übermäßig inspiriert klingt, versucht man sich auch noch an Bob Dylans „Lay Lady Lay“ und einem nur auf Notenblättern vorliegenden neuen Neil-Diamond-Song: „Glory Road“. Es will und will nicht hinhauen, obwohl Neil Diamond, der derweil in Texas auf Tournee ist, per Telephon seine Hilfe anbietet. Als Jon Lord ihm von den Umsetzungsschwierigkeiten berichtet, singt Diamond den Song ins Telephon. Lord macht sich Notizen auf seiner „Partitur“, aber auch der letzte Versuch geht schief. „Neil Diamond“, sagt Jon Lord, „mochte unsere Version von ‚Kentucky Woman‘ sehr, vor allem, weil er damals noch nicht sehr bekannt war. Wir haben ihm ein bißchen Geld eingebracht, und er wollte gern noch ein bißchen mehr verdienen. Es war das einzige Mal, daß ich mit ihm gesprochen habe.“

      Tetragrammaton schreibt die Studiokosten ab und macht einen Kassensturz. In lediglich sechs Monaten, so lautet die stolze Bilanz, haben Deep ­Purple vier Millionen Platten verkauft. Trotzdem, stellt Tony Edwards fest, „kam immer noch weniger Geld herein, als hinausging“. Wie sich das angesichts sinkender Absätze – The Book Of Taliesyn strandet in den US-Charts dreißig Plätze tiefer als Shades Of Deep Purple, und die EMI bringt mit der üblichen Verspätung im Dezember „Kentucky Woman“ in die britischen Läden, nimmt die Platte aber sofort wieder aus ihrem Programm – ändern könnte, weiß zum Jahreswechsel, den die zunehmend heimwehkranken Musiker mit eigens eingeflogenen Frauen und Freundinnen in New York verbringen, niemand zu sagen. Nur Ritchie Black­more hat gewisse, noch geheime Pläne, und die, soviel ist ihm klar, werden nicht nur mit den Vorstellungen des rührigen Labels kollidieren, sondern auch mit denen einiger engerer Beteiligter.

      „Und dann passiert so was“

      Das vierte Kapitel, in dem sich alles ändert, aber manches bleibt, wie es ist und immer bleiben wird, und in dem wir noch schnell etwas über Rod Evans und Nick Simper erfahren

      Kontinuität – und daß alles, was wir Evolution oder Fortschritt nennen, der Versuch ist,


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