Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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sei von geheimen Mächten beeinflußt, das eine oder andere Bandmitglied mit den Beatles seit dem Kindergarten befreundet und so weiter. Als der über die Auskunftsfreudigkeit der vermeintlichen neuen Superstars hocherfreute Schreiber endlich auch noch verschämt zu fragen wagt, wie diese geheimnisvolle neue Band denn nun eigentlich heiße, plärrt Tony Edwards, Schlimmes ahnend, dazwischen, sie heiße Roundabout, oder besser: Magic Roundabout. Nie im Leben, sagen Blackmore und Simper wie aus einem Munde; vielmehr, fügt Blackmore mit einem geringfügig triumphierenden Grinsen hinzu, sei der Name Deep Purple.

      Das Ergebnis seiner wieder einmal erfolgreichen Hinterrücks-Überrumpelungstaktik ist eine gewisse Verwirrung. Zwar heißen Deep Purple nun tatsächlich Deep Purple, spielen müssen sie aber weiterhin als Roundabout. Beharr­liche Hinweise der Musiker auf den neuen Namen werden erst wahrgenommen, als Jon Lord in einem Interview im dänischen Fernsehen den Fragensteller diesbezüglich mehrmals korrigiert, ehe die Band dann offiziell als Deep Purple angekündigt wird und auf dem Dach des Sendergebäudes zum Playback ihrer „Help“-Version vor die Kameras treten darf.

      Die Tournee selbst – elf Auftritte an siebzehn Tagen – hat etwas holprig begonnen. Nach der Ankunft in Esbjerg stellt sich bei der Grenzkontrolle heraus, daß sich niemand um gültige Arbeitsvisa für die Musiker bemüht hat. Im Laderaum eines Hundetransporters werden sie zum Polizeipräsidium verfrachtet und harren zwei Stunden in einer Zelle aus, dann ist die Kalamität aus der Welt geschafft.

      Zwar verfügen alle fünf über jahrelange Live-Erfahrung, um notfalls auch nackt und blind auf einer Bühne zu bestehen; größer noch ist jedoch der Perfektionismus, zumindest bei Ritchie Blackmore, der Lässigkeit nicht duldet und noch das kleinste Detail geschliffen und poliert wissen will. Bevor Deep Purple am 20. April in der Vestpoppen-Schule vor den Vorhang treten, um ihren ersten Auftritt vor fünfhundert Neugierigen mit der John-Mayall-Nummer „My Little Girl“ einzuleiten, studiert er mit Nick Simper im Hotel vor dem Spiegel Choreo­graphien ein. Vielleicht übertreibt er dabei ein bißchen, denn Simper erinnert sich, „daß wir manchmal einen rechten Mist zusammengespielt haben. Wir waren so sehr damit beschäftigt, die Leute mit unseren Bewegungen auf der Bühne von den Socken zu reißen, daß wir ganz vergessen haben, was wir spielen. Aber es muß auch was drangewesen sein an der Band, denn das Publikum reagierte auf uns mit einem regelrechten Aufstand, die waren völlig aus dem Häuschen.“ – „Das Showelement war sicher wichtig“, gibt Jon Lord zu. „Als wir anfingen, live zu spielen, war ich verblüfft von Ritchies Mätzchen. Er war großartig, wie ein Ballettänzer, ein richtiger Showman. Diese Mittsechzigersachen waren sein Ding, die Gitarre hinter dem Kopf, wie Joe Brown. Wir wollten gut aussehen, nicht wie eine kalifornische Hippie-Band. Gleich am Anfang kleideten wir uns mit Mister Edwards’ Geld bei Mr. Fish ein. Die Klamotten waren eine Dreiviertelstunde lang cool, dann fielen sie auseinander. Ich wollte wirken wie John Lennon ohne Brille. Eine Zeitlang sahen wir unglaublich cool aus – dachten wir. Viele Leute fanden, daß wir aussahen wie Volltrottel.“ Ein örtlicher Reporter drückt das etwas höflicher aus: „Ein bißchen wie Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich.“ – „Vor allem“, lenkt Lord von optischen Gesichtspunkten ab, „wollten wir laut spielen. Und hart.“ Und Nick Simper, der nach dem Auftritt in der Schultoilette vergessen wird und sich zu Fuß zum Hotel durchfragen und -schlagen muß, dessen Namen er überdies nicht mehr weiß, stellt fest: „Wir spielten so verdammt laut, daß es magisch war.“

      Ein paar Wochen später wird übrigens eine andere Londoner Band in die Fußstapfen von Roundabout-Purple treten und ihre ersten Testauftritte ebenfalls in Skandinavien absolvieren: Jimmy Page und seine New Yardbirds, die sofort danach ihr erstes Album unter dem Namen Led Zeppelin aufnehmen.

      Die Glückssträhne, die Deep Purple binnen kürzester Zeit eine gute Besetzung, eine nagelneue Anlage, einen Plattenvertrag und eine umjubelte Tournee eingebracht hat – nach wie vor ohne gültigen Ausweis ihrer Fähigkeiten als Komponisten und Songwriter –, reißt nach der Rückkehr nach England nicht ab. Tony Edwards und John Coletta, die (angeblich) noch nie davon gehört haben, daß es für Plattenverträge so etwas wie Vorschüsse gibt, erhalten ein Telegramm von Artie Mogul: „Zusage zweitausend Pfund Vorschuß, neun Prozent Tantiemen für Deep Purple USA Kanada und Japan stop Los geht’s! stop.“ Das trifft sich gut, denn die Geldbestände von HEC gehen schon vor der offiziellen Eintragung der Firma rapide zur Neige, und die Musiker, die nun außerdem ein festes Gehalt von fünfundzwanzig Pfund pro Mann und Woche bekommen, brauchen nach der Tournee eine neue Unterkunft (im Hotel Highley Manor, einem Baudenkmal aus dem zehnten Jahrhundert in Balcombe bei Hayward’s Heath, etwa vierzig Meilen südlich von London). Die nicht umsonst schwerreich gewordene Heimatfirma EMI bietet nur acht Prozent Tantiemen (vier Prozent für Auslandsverkäufe) und keinen Vorschuß. Beide Plattenfirmen haben nichts gegen Derek Lawrence als Produzenten einzuwenden, die Pye-Studios nahe ­Marble Arch sind bereits gebucht, die Arbeit am Debütalbum kann beginnen.

      Die typische Spätsechziger/Frühsiebziger-Plattenaufnahme stellt man sich in etwa so vor: Müßige Musiker dösen monatelang in ländlich-idyllisch gelegenen Studiopalästen herum, spielen, wenn die Inspiration eintrifft, einen genialen Ton, experimentieren mit futuristischen Klangerzeugungsgeräten, feiern wilde ­Partys und würdigen den sechsstelligen Zähler, der die verbrauchte Zeit in Geldbeträgen mißt, keines Gedankens. Meisterwerke – so ist der Konsens seit der rotzigen Ansage der Beatles an ihre Plattenfirma, künftig ihrem eigenen Tempo gemäß zu arbeiten – brauchen Weile, und es entstehen ja Meisterwerke in diesem Jahr 1968: das weiße Doppelalbum ebendieser Beatles zum Beispiel, ­Beggars Banquet von den Rolling Stones, Music From Big Pink von The Band, Odgen’s Nut Gone Flake von Small Faces, Forever Changes von Love, das Debütalbum von Steppenwolf, das Cream-Doppelalbum Wheels Of Fire, das alle Grenzen (auch des menschlichen Verstands) sprengende Film/Musik-Kunstwerk Head von den Monkees – notfalls könnte man noch In-A-Gadda-Da-Vida (Iron Butterfly), Wow/Grape Jam (Moby Grape) und das kuriose Experiment von The United States of America erwähnen, um den Kreis zu runden.

      Für Deep Purple sind die Bedingungen vollkommen andere. Ihr Studio ist ein ziemlich enges Kellerloch mit einer Vier-Spur-Tonbandmaschine, und fertig werden soll die ganze Sache an einem einzigen Wochenende: dem 11. und 12. Mai. Beim hektischen Warmspielen platzt dann auch noch der längst vergessene Chris Curtis herein, grapscht sich ein Exemplar des Demos und verkündet, er sei von Tony Edwards hergeschickt worden, um das Album zu produzieren. Ritchie Blackmore, der mit Leuten vom Schlage Curtis’ schon immer ungefähr soviel anfangen konnte wie mit Küchenschaben, sagt, wenn Curtis die „fucking“ Aufnahme produziere, werde er keinen „fucking“ Ton spielen. Stellt die Gitarre ab, schmeißt die Tür zu und ist weg. Curtis drückt sich noch eine Weile herum, beschließt dann, da die anderen ihn stur ignorieren, ein bißchen spazierenzu­gehen, ehe er seinen Platz im Produzentensessel einnimmt. Während er draußen ist, kehrt Blackmore zurück, schließt die Tür von innen ab, und von da ab ward Chris Curtis nun wirklich nie mehr gesehen. Das heißt: doch, aber an ganz anderer Stelle – 1969 bewirbt er sich um einen Job beim Finanzamt, kriegt ihn auch, bleibt neunzehn Jahre lang im Staatsdienst tätig, läßt sich dann aus gesundheitlichen Gründen frühpensionieren, kümmert sich fürderhin um das musikalische Jugendprogramm in der Liverpooler Kirchengemeinde Holy Rosary, gründet die Benefizband The Merseycats und tritt nebenbei als Hälfte eines Duos mit dem Namen Jimmy im Vorstadtpub Old Roan auf. Nach langer Krankheit stirbt er am 28. Februar 2005 in seinem Haus im Liverpooler Stadtteil Aintree.

      Selbstverständlich bleibt Deep Purple während der hurtigen Studioarbeit keine Zeit, um Songs zu schreiben, das einstudierte Live-Programm muß fürs Album herhalten und hinreichen. Am Samstag kommen „And The Address“, „Hey Joe“, „Hush“ und „Help“ aufs Band, praktisch ohne zweiten Versuch. Daß dar­über hinaus offenbar auch keine Zeit geblieben ist, sich um Übernachtungsmöglichkeiten für die Musiker zu kümmern, schlägt sich auf der Platte nieder: Nachdem Rod Evans die kühle Londoner Regennacht im Bandbus verbracht hat, ist er am Sonntagmorgen so erkältet, daß seiner Kehle zunächst nur ein Krächzen entdringt. „I’m So Glad“, „Love Help Me“ und „Mandrake Root“ werden trotzdem einigermaßen fertig. Am frühen Montagmorgen bleibt vor dem Abmischen noch ein bißchen Zeit für „One More Rainy Day“, und irgendwann dazwischen entsteht eine Version von „Shadows“, die am Ende nicht aufs Album kommt. Zufällig liegt im Studio eine BBC-Geräuschplatte rum, mit der


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