Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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nun die Plattenläden mit Beatles-Klonen wie The Honeycombs, und auch hier hieß der Gitarrist auf den Massen von Singles, die aus seinem improvisierten und vollständig zugemüllten „Badezimmer“-Studio über einem Laden in der Holloway Road herausrollten, stets Ritchie Blackmore. Zumindest meistens; da Meek bei seinem Selbstmord 1966 ein unübersehbares Chaos hinterließ, ist es unmöglich, die einzelnen Aufnahmen aus seinem Studio genau zuzuordnen.

      Die Fließbandarbeit war für Blackmore genau das Richtige. So war er es seit früher Jugend gewöhnt, und zudem lernte er durch die eiligen Sessions, sauber und diszipliniert zu spielen: „Bei solchen Jobs kannst du dir irgendwelche Lässigkeiten nicht erlauben. Die sagten zu mir: ‚Spiel diese Melodie!‘ Weil ich aber keine Noten lesen konnte, war ich völlig durcheinander. Ich konnte mir anfangs absolut keine Melodien merken.“ Wenig förderlich sind der Konzentration des weiteren gewisse exzentrische Eigenheiten der Meek-Stars: „Es braucht einiges, um mich zum Lachen zu bringen, aber Freddie Starr ist es gelungen. Als ich gerade ein Solo spielte, ließ er seine Hose runter und versuchte, mir sein Ding ins Ohr zu stecken. Natürlich hab’ ich mich dabei verspielt.“

      Auch auf der Bühne waren The Outlaws oft nur Begleiter, allerdings für hochkarätige Namen. Mit Jerry Lee Lewis und Gene Vincent tourten sie durch Großbritannien und Deutschland, wo der achtzehnjährige Blackmore sich sofort „wie zu Hause“ fühlte, weil er den Eindruck hatte, daß die Deutschen „härter arbeiten, härter spielen und härter trinken“ als die „langweiligen“ Engländer. Vincent, selbst kein Nachtwächter, wurden die Eskapaden der jungen Rabauken zuviel, und nachdem sie (angeblich) seine Garderobe demoliert und sämtliche Möbel entfernt sowie seinen Mikroständer mit alten Wurstsemmeln „dekoriert“ hatten, schmiß er die Band raus.

      Er blieb nicht der einzige. Als der ABC-Tanzsaal in Blackpool den Rowdies im Cowboykostüm Auftrittsverbot erteilte, wurden auch andere Clubbesitzer hellhörig und vorsichtig, und manche Veranstalter zahlten lieber Konventionalstrafen, als ihre Verträge einzuhalten. „Einmal wäre ich fast für ein paar Monate im Gefängnis gelandet“, klagt Blackmore. „Egal wohin wir kamen, es wartete überall schon die Polizei auf uns, weil sie wußten, daß wir Ärger machen würden. Die Outlaws waren wirklich wild. Wenn wir in irgendeinem Club spielten, hauten wir den Laden zusammen. Wir haben viele Rechnungen bezahlt und sind nicht oft noch mal engagiert worden.“ Es half wenig, die Späßchen von den Hallen weg auf die Straße zu verlegen. Ritchies Idee, Eier, Tomaten und Vier-Pfund-Mehltüten mit Katapulten aus dem Auto auf Passanten – „am liebsten alte Frauen in Rollstühlen“ (Blackmore) – zu schießen, die in artigen Schlangen, wie sie jeder aus dem Englischlehrbuch kennt, an Bushaltestellen warteten, und bei etwaigen Beschwerden die Telephonnummer eines Tonstudios zu hinterlassen, war nur so lange lustig, bis eines Tages die Polizei im Studio auftauchte und die Band dort tatsächlich antraf. Später übrigens stieg er manchmal auch auf eine Steinschleuder und getrocknete Erbsen um – „echt bescheuert, aber besser als die Luftgewehrphase“, urteilte Ian Gillan.

      „Das Schlimme damals war“, erinnerte sich Mick Underwood zehn Jahre später, „daß wir oft versucht haben, bessere Musik zu machen. Wir machten uns wirklich Gedanken über die Songs – aber wenn wir auf die Bühne kamen, haben diese verrückten Teenager, die heulenden und schreienden Mädchen, alles übertönt, so daß uns langsam die Lust an unserer eigenen Musik verging.“ Anfang 1964 fand mit dem Fortschreiten der „Beatlemania“ die Nachfrage nach Instrumental-Rock-’n’-Roll ein jähes Ende, und die Outlaws unternahmen einen letzten eigenen Single-Versuch, diesmal mit Gesang: „Keep A-Knockin’“, eine alte Little-Richard-Nummer, hatte mit den Shadows-Imitationen ihrer Anfangszeit nichts mehr zu tun. Die Platte wurde zwar kein Hit, fiel aber zumindest mit dem ungewohnt wuchtigen, rasenden und dennoch schleppend wirkenden Schlagzeug und zwei für ihre Zeit höchst eigentümlichen Gitarrensoli ein paar Fachleuten auf: Der während der Arbeiten an diesem Buch im Oktober 2004 verstorbene Radio-DJ und lebenslängliche „Entdecker“ John Peel behauptete später, es habe sich um „die erste Heavy-Metal-Platte“ gehandelt, aber das wollen wir nicht näher diskutieren.

      Nach der folgerichtigen Auflösung der Outlaws erinnerte sich der blondierte Heinz an Ritchie und engagierte ihn im Mai 1964 für seine Backingband The Wild Boys – was Ritchie schon deshalb nicht ablehnen konnte, weil er damit bis auf ein e mit Big Jim Sullivan gleichzog und das Gefühl haben durfte, ein weiteres seiner Vorbilder in den Schatten zu stellen. Obwohl die Single „Just Like Eddie“ ein Hit wurde, blieb es ein kurzer Abstecher. Den Sommer über begleitete Blackmore den Komiker Arthur Askey im nordwalisischen Strandbad Rhyl und wurde mal wieder vorzeitig entlassen – weil er in die Partitur des Trompeters ein paar zusätzliche Noten hineingeschrieben hatte. „Am nächsten Tag gab es einige Takte lang ein grausiges Trompetensolo, das nicht besonders gut ankam.“

      Derek Lawrence produzierte ihm unter dem pompösen Namen „Ritchie Black­more and his Orchestra“ die Solosingle „Getaway“/„Little Brown Jug“ (mit Nicky Hopkins am Piano, Saxophonist Reg Price und zwei Outlaws: Mick Underwood und Bassist Chas Hodges), die kaum ein Mensch je gehört hat – außer möglicherweise Dave Davies von den Kinks, der sich in diesem Fall gefreut haben dürfte, wie schnell sich sein „Fuzz durch Fußtritt“-Trick mit dem zwecks Verzerrung demolierten Lautsprecher herumgesprochen hatte. Daneben versuchte Lawrence mit Retortenbands wie The Lancasters, The Sessions und The Murmaids, Blackmore auf dem US-Markt zu etablieren. Ehe alle Stricke rissen, kehrte Ritchie Anfang 1965 reumütig zu Screaming Lord Sutch zurück: „Das war wie in einem Kriegsgefangenenlager: Jeder brach mal aus, aber einen Monat später war er wieder da. Wir haßten die Band, aber Sutch war der einzige, der seine Musiker vernünftig bezahlte.“ Er nahm wieder auf dem Sofa in dem ehemaligen Pferdetransporter Platz, mit dem dieser und seine Savages durch die Gegend karriolierten – unter anderem nach Hamburg, wo Blackmore sich aus Frust über die britische Musikszene erneut verabschiedete. Mit den Mit-Savages Jim „Tornado“ Anderson (Schlagzeug) und Arvid Andersen (Baß) begleitete er Jerry Lee Lewis und gründete die Band The Three Musketeers, die sich in verwegenem Gewand („in schenkelhohen Schaftstiefeln, mit dicken Lederschärpen, weißen Spitzen­kragen und breitkrempigen Hüten“) mit ihrem Paradestück, Rimski-Korsakows „Hummelflug“, einen regelmäßigen Auftritt in der Bochumer Filiale des Star-Clubs sicherte, aber gleich nach dem ersten Gig im Januar 1966 vom Geschäftsführer des Ladens gekündigt wurde – fragen wir noch, warum? „Wir kamen fechtend auf die Bühne“, antwortet Aramis Blackmore, inzwischen Vater eines Sohnes geworden. „Die Band war exzellent, aber viel zu weit fortgeschritten fürs deutsche Publikum, weil wir sehr schnelle Instrumentals spielten.“ Sehr, sehr schnelle: „Ich hatte manchmal ein solches Tempo drauf, daß hinterher meine Hände blutig waren.“

      Eigene Songs zu schreiben, wie das die Wunderkinder der Londoner Szene zu jener Zeit verstärkt taten, kam ihm nicht in den Sinn: „Als ich zwanzig war“, erinnerte er sich 1991 in einem Interview mit Guitar World, „war mir das Konstruieren von Songs vollkommen egal. Alles, was ich wollte, war: soviel Lärm machen und so schnell und laut spielen wie möglich.“ Nach einigen Sessions für die Plattenfirma Polydor, unter anderem mit einer blonden Sängerin mit dem naheliegenden Namen Heidi, wurde sein nächster Arbeitgeber (für eine sechs­monatige Deutschlandtournee) Neil Christian, dem gerade der Gitarrist seiner Crusaders – ein gewisser Jimmy Page – davongelaufen war. Dann fuhr Ritchie kurz nach London, wusch seine Socken und war schon wieder unterwegs, diesmal in Italien, mit einer Band namens The Trip, die anfangs den Sänger Ricky Maiocchi begleitete. Die Psychedelic-Welle nahte unaufhaltsam, aber ebenso unaufhaltsam stolperte der mittlerweile Einundzwanzigjährige in ein frustrierendes Leben als unscheinbarer, beliebiger Berufsmusiker hinein, der fremder Leute Musik spielt und zusehen muß, wie fremde Leute dafür gefeiert werden (und meistens nicht mal das).

      Während seines Kurzaufenthalts in London hatte er den Hype mitgekriegt, der nach dem ersten großen Auftritt der Experience am 29. Januar 1967 in Brian Epsteins Saville mit The Who und den Koobas um den gerade aus den USA importierten Jimi Hendrix veranstaltet wurde. „Warum ist Jimi Hendrix ein derart durchschlagender Erfolg beschieden?“ fragte eine deutsche Jugendzeitschrift. „Erstens ist Jimi ein Neger. Zweitens ist Jimi ein Gammlertyp, und jedermann weiß, daß die Gammelei in England seit einem Jahr nicht mehr en vogue ist.“ Black­more reagierte mit seinem nun schon gewohnten Trotz: „Jedermann redete sich den Mund fusselig: ‚Habt ihr schon diesen Negergitarristen


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