Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


Скачать книгу
von sechstausend Pfund in die Kasse des Musikalienhändlers Jim Mar­shall – nur um zu erfahren, daß auch noch eine Hammond-C3-Orgel hermuß, weil Jon Lords alter Tastenkasten den ehemaligen Artwoods gehört: „Sie fragten mich, wo mein Instrument ist, und ich mußte gestehen, daß ich keins habe. Ich werde nie vergessen, was für Gesichter sie machten, als ich ihnen erklärte, daß so ein Ding zweieinhalbtausend Pfund kostet.“

      Die nagelneue Verstärkeranlage beeindruckt und motiviert die Kandidaten für den Job am Mikrophon, die sich auf eine Anzeige im Melody Maker hin melden. Schon der Text der Annonce ist nicht eben bescheiden: Versprochen werden „zwei Monate gutbezahlte Arbeit und garantierter Erfolg“. Ein erster Bewerber ist schon vorher ausgeschieden: Dave Curtiss, den Bobby Woodman empfohlen hat – eigentlich als Bassisten, weil Blackmore von Nick Simper nicht wirklich begeistert ist –, trifft zur Probe eine Woche vor der Anlage ein, wartet vergeblich und muß dann wieder weg, weil er in Frankreich einen Job als Bassist bei Michel Polnareff hat. „Bobby meinte, ich solle die Sache mal anchecken“, erzählt er später. „Es ging wohl darum, Leute zusammenzubringen, die eine gewisse Reputation hatten, eine Art Supergruppe. Ich kannte Ritchie. Damals gab es nur ein paar wirklich heiße Gitarristen: Big Jim Sullivan, Clapton … Ich fuhr für eine Woche hin, saß ein paar Abende mit Ritchie zusammen, und wir tauschten Ideen aus. Jon Lord sagte bloß hallo und so. ‚Wir sollten was zusammen machen.‘ Es war aber überhaupt keine musikalische Richtung zu erkennen. Hätten wir uns irgendwann hingesetzt und gespielt, wer weiß. Aber es ging nichts zusammen, also sagte ich: ‚Danke, Leute, aber ich muß in Paris meine Arbeit tun.‘“

      Das Quartett tastet sich auf der Suche nach einer musikalischen Ausrichtung voran. „Ab und zu kam Tony Edwards vorbei, um zu sehen, wie die Arbeit voranging“, erzählt Jon Lord, „und wenn er ging, sah er sehr verwirrt aus. Vanilla Fudge waren ein wichtiger Einfluß. Sie hatten im Speakeasy gespielt und mich begeistert. Ich hatte mich damals lange mit Sänger und Keyboarder Mark Stein unterhalten und ein paar Tricks gelernt, die ich jetzt anwenden konnte.“ – „Die Musik, die sie da erschufen“, meint Edwards, „klang für mich sehr fremdartig. Ich war ziemlich entsetzt, aber ich glaubte an künstlerische Freiheit und hatte das Gefühl, daß sie mehr Ahnung hatten als ich. Sie hatten tatsächlich mehr Ahnung als ich.“

      Auf die Anzeige melden sich sechzig Leute – Ian Hansford, inzwischen von HEC als fester Roadie eingestellt, pendelt mit Nick Simper in dessen Jaguar zwischen dem Bahnhof Borehamwood und Deeves Hall hin und her und schleppt immer neue potentielle Sänger an, vier pro Fuhre. „Das war enorm lustig“, erinnert er sich. „Die ganzen Typen hingen da am Bahnhof rum, keiner redete mit dem anderen, aber jeder wußte, wozu sie alle da waren.“ Nick Simper führt die Neuankömmlinge in den Warteraum, kocht ihnen Kaffee und ruft einen nach dem anderen rein.

      Die Vorstellungstermine sind eine enervierende Prozedur für die Kandidaten, mehr noch aber bald für die Band selbst: „Wir probierten Dutzende aus. Wir hörten uns so viele Sänger an, daß wir irgendwann die ganze Sache satt hatten. Als Ashley Holt dran war – für mich einer der besten Sänger im ganzen Land –, hab’ ich nichts davon mitgekriegt, weil ich einfach zu Tode gelangweilt war“, erinnert sich Nick Simper 1983 in einem Interview. „Es war furchtbar. Du kommst zum Bahnhof, und da stehen schon wieder dreißig so Typen rum und wedeln mit dem Melody Maker und der Anzeige. Einer von den Kerlen kam rein, spielte ‚Bill Bailey Won’t You Come Home‘ und zog eine riesige Mundharmonika aus der Hosentasche. Wir dachten, das kann doch nicht wahr sein.“ Weitere Nachforschungen finden in Clubs statt: „Rod Stewart haben wir uns auch angesehen, weil wir dachten, er wäre vielleicht was, aber wir fanden ihn dann ziemlich schrecklich. Er hat gar nicht mitbekommen, daß wir seinetwegen da waren.“

      Mehr angetan sind die Talentsucher von Terry Reid, der allerdings nicht nur singt wie ein junger Gott, sondern auch bereits als „weißer Jimi Hendrix“ ­gefeiert wird, was Kollisionen mit Blackmore befürchten läßt. Reid sagt dankend ab – und zwar nicht nur Deep Purple, sondern ein paar Monate später auch den New Yardbirds, denen er statt seiner den Sänger der nordenglischen Band Hobbs­tweedle empfahl, einen gewissen Robert Plant – und unterschreibt lieber einen Solovertrag bei dem Produzenten Mickie Most. Ein anderer Vorschlag kommt von Nick Simpers Freund Tony Tacon: Er kenne da einen Typen namens ­Gillan, der bei Episode Six singt. Simper hat ihn selbst schon ein paarmal bei gemeinsamen Auftritten von Episode Six und seiner alten Band The Bergeracs getroffen, aber mehr als „Wie geht’s?“ war nie gesprochen worden. Simper bittet Tony Edwards, Gillan anzurufen, aber dessen Antwort ist eindeutig: Er hat kein Interesse, weil Episode Six kurz vor dem großen Durchbruch stehen und aus Round­about seiner Meinung nach sowieso nichts wird.

      Der hoffnungsvollste Annoncenbewerber kommt aus Slough und heißt Mick Angus. Nick Simper hat das Zuhören inzwischen aufgegeben, sitzt vor dem Fernseher und nickt nur wortlos, als Blackmore und Lord meinen, Angus sei der richtige Mann. Er erzählt ihnen von einer Band aus seiner Gegend, mit deren Sänger und Schlagzeuger er befreundet ist, und letzterer sei viel besser als Bobby Woodman. Ritchie Blackmore weiß, wovon Angus spricht: Er hat The Maze in Hamburg gesehen und war von dem jungen Burschen namens Ian Paice, mit dem er ein paar Tage bei Boz zusammengespielt hat, so beeindruckt, daß er ihn schon damals für Mandrake Root haben wollte. Angus gibt Blackmore die Telephonnummer von Paice, für alle Fälle.

      Angus’ Freundschaft mit den beiden von The Maze wird danach auf eine harte Probe gestellt: „Als ich nach Slough zurückkam, erzählte ich [dem Maze-Sänger] Rod und Ian, daß ich den Job so gut wie sicher hätte. Ich war total unter Strom deswegen. Dann hab’ ich fünf Tage lang nichts von Rod gehört. Das war sehr ungewöhnlich, normalerweise sahen wir uns täglich. Nach drei Tagen hab’ ich geschnallt, was passiert war: Er hatte selbst auf die Anzeige im Melody Maker geantwortet.“ Und Rod Evans bekommt den Job, dank einer eindrucksvollen Demonstration seiner Qualitäten als Balladensänger mit dem nur von Jon Lord am Klavier begleiteten Vortrag des West Side Story-Songs „Tonight“ – fehlerlos über zwei Oktaven, „eine Mischung aus Tom Jones und Engelbert Humperdinck“ (Lord). Nick Simper, der wieder vor dem Fernseher sitzt, nickt auch diesmal.

      Evans’ Engagement hat aber noch einen zweiten Hintergrund. „Ritchie wollte ständig so seltsame Stücke und Gitarreninstrumentals einüben, und ich fragte ihn, wieso wir nicht ein paar Rock-’n’-Roll-Nummern spielen, weil wir wie eine Zirkusband klingen, wenn wir nur diesen Scheiß spielen“, sagt Bobby Woodman, und da trifft er einen Nerv. Es ist aber nicht nur seine Ablehnung jeglicher „progressiver“ Spielweise, die sich als Keil in die erst ein paar Wochen alte Band schiebt, und es sind nicht bloß die Timing-Probleme, die ihm Lord später unterstellt, sondern auch unterschiedliche Lebensgewohnheiten: Woodman trinkt keinen Alkohol, die anderen hingegen sitzen fast noch lieber in der Kneipe als im Übungsraum. Er wiederum raucht einen Joint nach dem anderen und geht auch mal ganz gern auf LSD-Trips, was der Rest der Band strikt verweigert. Ein seltsamer Konflikt: bodenständige Männer mit musikalischen Visionen auf der einen Seite, auf der anderen ein zeitgemäß Ausgeflippter, der bodenständige Musik machen will.

      Die Folge ist absehbar. Als Evans mit dem Vorsingen fertig ist, fragt Black­more, wie es eigentlich seinem Drummer geht und was der in nächster Zeit so vorhat, wo doch jetzt mit The Maze nichts mehr läuft. Evans verspricht, ihn ein paar Tage später zum Vorspielen mitzubringen. Ian Paices erste gemeinsame Probe mit Roundabout etabliert ein System der peinlichen Verschwiegenheit und Klandestinität, das das Unternehmen in den folgenden Jahren wie eine chronische Krankheit begleiten wird. Während die Band auf Vorschlag von Rod Evans eine noch langsamere Version von „Help“ probt, an der Woodman wenig Interesse zeigt, wartet Paice im Nebenraum. Dann versteckt jemand Woodmans Schachtel Gitanes. Da er andere Zigaretten nicht mag, muß er wohl oder übel nach London fahren, um sich im Speakeasy eine neue Schachtel zu besorgen.

      Kaum ist der Schlagzeuger draußen, sitzt Paice an seinem Instrument. Die erste Nummer ist „Watermelon Man“, und Mick Angus, der sich inzwischen mit Evans versöhnt, seine Freunde zur Probe begleitet und sich als Roadie ins Spiel gebracht hat, schwärmt noch Jahre später: „Ian baute sein Zeug auf, und statt einfach mit der Band zu spielen, drehte er vollkommen durch, spielte Wirbel, drosch in die Becken, zeigte alles, was er kann. Er war phantastisch.“ Als Bobby Woodman vom Zigarettenholen zurückkommt und erstaunt vor der neuen Situa­tion steht, sind weitere Erklärungen eigentlich


Скачать книгу