Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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geraucht, um zu wissen, was die Stunde geschlagen hat. Am nächsten Abend beruft Jon Lord eine Geheimversammlung ohne Woodman ein und fragt Nick Simper, der mit dem Trommler inzwischen gut befreundet ist, ob er, wenn man Woodman rauswürfe, auch gehen würde. Simper spielt den Ahnungslosen, und Lord wird deutlicher: Man wolle Ian Paice in der Band haben. Simper sagt, er werde auch in diesem Fall dabeibleiben, empfehle den anderen aber, mit Bobby keinen Schabernack zu treiben, schließlich sei der Mann extra aus Frankreich, wo er jahrelang gelebt habe, angereist. Wenn Lord, Blackmore, Evans, Tony Edwards oder sonstwer ihn loswerden wolle, solle man Klartext mit ihm reden und nicht hinter seinem Rücken Verschwörungen anzetteln.

      Es hat aber, zumindest Simper zufolge, keiner den Mut dazu. Statt dessen wird das Managerduo vorgeschickt. Tony Edwards sagt zu Woodman: „Hör zu, Bobby, wir wollen den Vertrag kündigen und geben dir zwanzig …“ – Coletta stößt ihm den Ellenbogen in die Rippen und zischelt: „Vierzig! Vierzig!“ – „… vierzig Pfund für deine Auslagen.“ Einige Zeit herrscht bedrücktes Schweigen, dann sagt Woodman: „Ich finde das überhaupt nicht nett. Es ist wegen Black­more, oder? Er mag mich nicht, oder?“ Jon Lord versucht zu beschwichtigen: „Bobby, ich bin doch dein Freund.“ Aber Woodman hat die Schnauze voll und keine Lust auf weitere Diskussionen. Er packt seinen Koffer und verschwindet. Dafür ziehen Ian Paice und Rod Evans ein.

      In den folgenden Wochen bis Mitte April 1968 nimmt das musikalische Programm erste, noch diffuse Formen an. „Wir bedienten uns beim Jazz, bei alt­modischem Rock ’n’ Roll, bei der Klassik“, beschreibt Jon Lord die Vorgehensweise. „Wir waren so was wie musikalische Elstern, und mir machte das große Freude. Ritchie und ich machten Sachen, die direkt auf den Stil des modernen Jazz zurückgingen, musikalische Witze und gegenseitige Angriffe. Er spielte irgendwas, und ich mußte zusehen, daß mir was dazu einfiel. Das gab der Band Humor und Spannung. Was um alles in der Welt wird als nächstes passieren? Das Publikum wußte das nie, und in neun von zehn Fällen wußten wir es auch nicht.“

      Für ausgiebige eigene Kompositionsarbeit bleibt keine Zeit, der größte Teil der Setlist stammt aus fremden Federn. Die auf Vanilla-Fudge-Tempo herab­gedrosselte und mit einem großen Schuß Pathos aufgepumpte Version der ­Beatles-Nummer „Help“ ist eine Hinterlassenschaft von Chris Curtis. Paice und Evans bringen den Skip-James-Song „I’m So Glad“ mit, den sie schon mit The Maze aufgenommen haben. Hinzu kommen die Jimi-Hendrix-Version von „Hey Joe“ und die beiden Blackmore-Instrumentals aus Hamburg – „Mandrake Root“ nun mit Gesang und einem mindestens zweideutigen Text, auszugsweise (und etwas boshaft) übersetzt: „Wir haben eine Alraunenwurzel / Sie donnert in meinem Hirn / Yeah, ich füttere mein Baby damit / Sie donnert genauso / Futter der Liebe, setzt sie in Flammen / Ah, steck sie hinein …“ Und schließlich ein wenig bekannter Joe-South-Song aus der Feder von Billie Joe Royal mit dem Titel „Hush“, den der niederländische Sänger Kris Ife gerade neu aufgenommen hat, was der Band reichlich wurst ist: „Ich hatte einen Kumpel in einer Tanzband, der uns den Song beibrachte. Wir arrangierten unsere Version, ohne die Platte je richtig gehört zu haben“, sagt Nick Simper.

      Der ehemals plattenfirmenunabhängige Produzent Derek Lawrence, der für Ritchies „Orchestra“-Single verantwortlich war und den Gitarristen für viele seiner eigenen Eintagsfliegenproduktionen engagiert hat, folgt einer Einladung zu den Proben und ist von den musikalischen Fortschritten seines einstigen Schützlings sehr angetan. Zurück in London, setzt Lawrence, der mittlerweile in den Abbey-Road-Studios für den Branchenriesen EMI tätig ist, sein dickes Adreßbuch ein und macht Tony Edwards und John Coletta mit Ben Nisbet bekannt, dem Chef des Musikverlags Feldman. Durch ihn erfahren sie von dem gerade erst neu gegründeten US-Label Tetragrammaton, einem Unternehmen der „Unterhaltungsfirma“ – heute würde man sagen: „Medienkonzern“, aber allzu viele unterschiedliche „Medien“ gibt es damals noch nicht – Campbell-Cosby-Silver, die dem Filmproduzenten Bruce Campbell, dem Fernsehkomiker Bill Cosby und Roy Silver gehört, dem Manager des exzentrischen Sängers Tiny Tim sowie später der Sparks und der Mädchenband Fanny. Tetragrammaton-Boß Artie Mogul, der „Entdecker“ von Bob Dylan, hat während eines kürzlichen Abstechers nach London Ben Nisbet gebeten, Derek Lawrence möge ihm doch zum Start des neuen Labels eine vielversprechende englische Band auftreiben und möglichst auch gleich produzieren. So laufen die Fäden zusammen: Der Vorschlag von Lawrence heißt – immer noch – Roundabout.

      Freilich wollen Artie Mogul und seine drei Möchtegernmoguln, ehe sie den Geldhahn aufdrehen, erst einmal etwas zu hören kriegen. Also buchen Edwards und Coletta in Windeseile das Trident-Studio und setzen ihre Schützlinge damit unter gewaltigen Druck. Es gibt noch keine einzige fertige Eigenkomposition, und es ist auch nicht klar, ob Ian Paice, der ja offiziell noch bei The Maze spielt, überhaupt dabeisein kann – man befürchtet, das Maze-Management könnte ihn wegen Vertragsbruch verklagen. Im Studio wird zuerst an dem Songfragment „Love Help Me“ herumgewerkelt. Rod Evans schreibt schließlich einen Text dafür und findet auch eine passable Gesangsmelodie; leider aber vergißt der Toningenieur beim Überspielen den Regler hochzuziehen, und so bleibt das Demo instrumental. Der einzige fertige eigene Song ist in der Nacht vor den Aufnahmen entstanden: „Shadows“. Die Bearbeitungen von „Hush“ und „Help“ füllen den Rest des Bandes.

      Mit dem fertigen Demo spricht Derek Lawrence bei EMI-Mann Roy Fea­ther­stone in London vor, der an „Help“ Gefallen findet. Lawrence erstattet Bericht bei HEC, und während Jon Lord noch selbst mit dem ehemaligen Artwoods-Produzenten Mike Vernon verhandelt, um Roundabout eventuell bei Decca unterzubringen, ist die Unterschrift von Edwards und Coletta auf dem EMI-Vertrag schon getrocknet. Lawrence schickt das Demo an Tetragrammaton, wo die Entscheidung ebenso schnell fällt.

      Die Band heißt immer noch Roundabout. Aber der Name ist inzwischen nur noch eine Notlösung: Als die Proben Anfang April enden, weil der Besitzer mit der Renovierung von Deeves Hall beginnen möchte, erhalten Tony Edwards und John Coletta eine zusätzliche Rechnung über fünfundsiebzig Pfund wegen „Beschädigungen“ – sämtliche Wände des Hauses sind in Breitpinseltechnik mit möglichen Bandnamen beschmiert, deren Wirkung so getestet werden sollte, nachdem sie zuvor auf einer Liste gesammelt und für alle Fälle sämtlich beim Patentamt angemeldet wurden. Eine Zeitlang lautet der Favorit „Orpheus“, dann „Sugarlump“, zwischendurch ein paar Stunden lang „Concrete God“ („Betongott“). Ritchie Blackmores Vorschlag „Deep Purple“ findet keine Mehrheit – Bing Crosbys Golden-Twenties-Schlager, den Ritchies Oma so gern hört, ist erst 1963 von dem US-Schnulzenduo Nino Tempo & April Stevens aufgewärmt worden, mit dem die Band auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden möchte.

      Hingegen erweist sich Jon Lords persönliche Geschichte mit Bing Crosby – die kurze Zeit, als sich The Artwoods St. Valentine’s Day Massacre genannt hatten – als hilfreich. Der Agent Walther Klebel, der Lords kostümierte Truppe ein knappes Jahr zuvor nach Skandinavien geholt hat, bucht elf Konzerte für die neue Band – eine Testtournee, für die auch der ungeliebte Name irgendwie ins Konzept paßt. Denn wenn die Sache in die Hose geht, ist’s egal; Roundabout wird es dann sowieso nicht mehr geben. In der Nacht vor der Abreise wird jedoch noch einmal diskutiert und eine Entscheidung getroffen. Der neue Name, gültig ab sofort (abgesehen von Tourneeplakaten und Ankündigungen, auf die man keinen Einfluß mehr nehmen kann), lautet Fire. Dumm allerdings, daß John Coletta am nächsten Morgen mitteilt, es gebe bereits eine Band dieses Namens, die momentan auch noch groß angesagt sei. Die Taufe wird noch einmal vertagt.

      Die Tournee beginnt am 20. April 1968 in der Schulturnhalle der Park­skolen im dänischen Taastrup, Stadtteil Vestpoppen. Auch die weiteren Konzerte finden in der Umgebung von Kopenhagen statt. Mit der Fähre Winston Churchill setzen Evans, Lord, Blackmore, Simper und Paice von Harwich aus über den Kanal. Statt in Dänemark eine Anlage zu leihen, was wesentlich billiger käme, fährt die gesamte technische Ausrüstung auf dem Boot mit, ebenso die beiden Roadies Ian Hansford und David Jacobson – es soll schließlich unter „realen“ Bedingungen live geprobt werden. Das Management-Trio von HEC reist zu zwei Auftritten in Göteborg und Kopenhagen nach.

      Auf der Fähre macht die Band ausgiebig Gebrauch von der sinnvollen Einrichtung einer Bar. Daß zufällig die Kollegen Zoot Money und Andy Summers ebenfalls dort rumhängen, führt zwangsläufig zur exzessiven Getränkeaufnahme. Während Zoot Money auf dem Barklavier herumhämmert, versucht


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