Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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Have Them Say I Love You als zweites überhaupt auf dem jungen Label –, zieht nicht ganz so gut, aber im Oktober erreicht es immerhin Platz 24. Für ein Debüt ist das ein sensationeller Erfolg, der Forderungen nach sich zieht: So bald wie möglich soll die Band auf US-Tournee gehen, und am besten, meint man bei Tetragrammaton, wäre es, gleich ein neues Album nachzuschieben.

      In Großbritannien tut sich weniger. Am 6. Juli 1968 stehen Deep Purple im Roundhouse, wo sie in letzter Minute ins Vorprogramm der Byrds rutschen, zum erstenmal auf britischen Bühnenbrettern – als erste Band vor Gun und den Deviants. Es ist ein wenig erfreulicher Start, wie Deviants-Sänger Mick Farren später Dave Thompson berichtet: „Wir kamen ins Roundhouse und stellten fest, daß Deep Purple ein mächtiges Management, neue Marshall-Amps mit purpurnem Vinylüberzug und eine Armee von Roadies hatten, die ihre Anlage schon morgens aufgebaut hatten und das Zeug von niemand anderem auf der Bühne wollten. Ich weiß noch, daß jemand eingreifen mußte, um eine Prügelei zwischen unseren Roadies und ihrer Crew zu verhindern. An die Musik kann ich mich nicht mehr erinnern, bloß an ein langsames, pompöses Getöse, irgendwo zwischen Tschaikowsky und einem startenden B-52-Bomber.“ Oder, wie andere einhellig feststellen: „Vanilla Fudge für Arme.“ Was Ian Paice später halbwegs anerkennt: „Wir versuchten, Vanilla Fudge zu ‚über-fudgen‘. Ich glaube nicht, daß uns das gelungen ist.“

      Für August und September organisieren Deep Purple, die inzwischen ins Hotel Raffles nahe dem Bahnhof Paddington umgezogen sind, ein paar weitere Konzerte zum Aufwärmen für die USA, aber eine richtige Tournee auf heimischem Boden lohnt sich ohne Album nicht. Zwar hat die EMI Ende Juli „Hush“ als Single veröffentlicht, mit dem einfühlsam-zeitgemäßen Promotionhinweis für bemusterte Journalisten: „Diese Platte ist ganz und gar nicht ‚kommerziell‘, und wenn Sie sie einmal aufgelegt haben, könnte es durchaus sein, daß Sie sie noch einmal hören möchten.“ Aber nur in der Schweiz und in Neuseeland kümmern sich die örtlichen Promoter genügend, um die Platte in die Hitlisten zu schieben.

      Am 3. August findet das „offizielle“ britische Bühnendebüt statt, organisiert von Roadie Ian Harrington in seiner früheren Stammkneipe, dem Red Lion Pub in Warrington. Im Vorprogramm spielen The Sweetshop, die die letzten vier Buchstaben ihres Namens bald streichen werden und vorläufig von Deep Purple so begeistert sind, daß sie, wie sich Nick Simper erinnert, „uns überallhin folgten, zu allen Auftritten, sogar bei uns zu Hause auftauchten. Sweet-Drummer Mick ­Tucker hat mir später erzählt: Als ich und Rod ausgestiegen sind, war das für ihn das Ende von Deep Purple, er hätte fast geweint, soviel hat ihm die Band bedeutet.“

      Auch die weiteren Auftritte sind alles andere als Triumphe. In einem Pub in Ramsgate kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit dem Wirt über die Frage, ob die Band zweimal eine Dreiviertelstunde oder ohne Pause eineinhalb Stunden spielen soll. Im schweizerischen Bern wird ein Festival mit den Small Faces, The Koobas, The Flirtations und den Beat-Radaubrüdern Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich noch vor dem Auftritt von Deep Purple abgebrochen, als das Publikum die Bühne stürmt und die Polizei mit Schlagstöcken für Ordnung sorgt. Und beim Vorläufer des heute noch stattfindenden Reading-Festivals, dem achten jährlichen „National Jazz Pop Ballads & Blues Festival“ am 10. August in Sunbury (mit Ten Years After, Ginger Baker, Arthur Brown, The Nice, Jeff Beck, Joe Cocker und Tyrannosaurus Rex), ist das Publikum von Anfang an der Meinung, es handle sich bei den fünf Männern in schwarzen Rüschenhemden um einen aufgeblasenen, verachtenswerten Schwindel, den man am besten mit einem Pfeif- und Buhkonzert übertönt. „Die Leute dachten, Deep Purple seien eine berühmte amerikanische Popgruppe“, meint der damalige Melody Maker-Reporter Chris Welch, der den Auftritt zusammen mit Lee Jack­son und Blinky Davison von The Nice verfolgt, „und Deep Purple haben das Ihre dazu getan, diesen Eindruck zu verstärken. Die englischen Fans waren von so was aber nicht beeindruckt, im Gegenteil. Die haben sie runtergebuht, und als die Band von der Bühne kam, wirkte sie ziemlich sauer.“ Immerhin gibt es für zwei Auftritte am selben Tag eine Gage von neunzehn Pfund.

      Beim ersten Fernsehauftritt der Band in der David Frost Show zeigt Ritchie Blackmore, daß er in diesem Geschäft ein etwas älterer Hase ist als seine Mitmusiker. Nachdem er die Proben verpaßt hat – Mick Angus mußte für ihn einspringen – und die Nerven sämtlicher Beteiligter blankliegen, trifft er zwanzig Minuten vor der Ausstrahlung der Live-Sendung doch noch ein und erklärt, er habe „keine Lust gehabt, den ganzen Tag in einem Fernsehstudio rumzuhängen und nichts zu tun“.

      Ende September können sich die – vorsichtig ausgedrückt – vorsichtigen EMI-Leute („dumme alte Männer“, so Nick Simper) endlich doch dazu durchringen, Shades Of Deep Purple in Europa und Australien/Neuseeland zu ver­öffentlichen. Die Situation, die durch das erratische Verhalten der Plattenfirma entsteht, ist absurd, denn es wird zumindest in den nächsten zwei Monaten keine Deep-Purple-Auftritte in Großbritannien geben, die den Verkauf der Platte fördern könnten. Die erste US-Tournee beginnt Anfang Oktober – und kurz darauf erscheint in den USA und damit freilich auch in den Importabteilungen großer britischer Plattengeschäfte bereits ein neues Album: The Book Of Taliesyn. Wie ist nun das wieder zugegangen?

      Was ein rechter Plattenmogul sein möchte, der muß in den quirligen Popzuständen der späten sechziger Jahre vor allem eines können: sein Eisen schmieden, solange es heiß ist. Artie Mogul hat als Tetragrammaton-Boß bislang nicht viel Metallisches anzubieten, also muß gemolken werden, was an Kühen im Stall steht. Statt die erste US-Tournee von Deep Purple zu nutzen, um aus dem Debütalbum noch ein paar Dollar mehr herauszuquetschen, beschließt er, gleich nachzulegen.

      Ende Juli wird die Band, die vorläufig sowieso nicht allzuviel zu tun hat, von der Mitteilung überrascht, es sei schon wieder ein Studio gebucht, das De Lane Lea diesmal, und zwar nicht etwa für eventuelle B-Seiten eventueller weiterer Single-Auskoppelungen, sondern um ein ganzes neues Album aufzunehmen. Mangels praktikabler Alternativen wird beschlossen, alles genauso zu machen wie beim ersten Mal. Derek Lawrence ist wieder Produzent, mit seinem gewohnten Toningenieur Barry Ainsworth an der Seite, und das Programm soll auch dieses Mal hauptsächlich aus durch den Vanilla-Fudge-Wolf gedrehten und mit diversen Versatzstücken umschnörkelten Coverversionen bestehen, zwecks Glaubwürdigkeit um ein paar eigene Kompositionsversuche erweitert.

      Ausgewählt werden drei Originalvorlagen: „Kentucky Woman“ von dem noch nicht allzu bekannten US-Songwriter Neil Diamond, dessen bislang einziger größerer Erfolg („I’m A Believer“ von den Monkees) schon wieder zwei Jahre zurückliegt und der deshalb begeistert ist, von einer richtigen internationalen Hitband gecovert zu werden, der Beatles-Song „We Can Work It Out“, der gleich ein treffliches Arbeitsmotto liefert, und endlich, als alles schon fertig scheint, „River Deep, Mountain High“, eine hysterische, vor überkandideltem Emotionsfieber nur so vibrierende R-&-B-Granate von Phil Spector, Jeff Barry und Ellie Greenwich, die Spector 1966 als Produzent für Ike & Tina Turner in einen regelrechten Orkan verwandelt hat – ein gutes Stück zu stürmisch und orgiastisch fürs US-Publikum allerdings.

      Bei aller Eile bleibt diesmal ein bißchen mehr Zeit als ein Wochenende, allerdings wirklich nur ein bißchen, und erstaunlicherweise beginnen die Aufnahmen am 1. August mit zwei eigenen Songs: „Anthem“ und „The Shield“. Die Arbeit zieht sich, von Auftritten und anderen Tätigkeiten unterbrochen, bis in den späten August hin. „River Deep, Mountain High“ kommt nachträglich am 10. Oktober hinzu, weshalb Deep Purple die ersten geplanten US-Auftritte absagen müssen. Kaum zwei Wochen später steht die Platte in den Läden – unter dem etwas selt­samen Namen The Book Of Taliesyn, nach einem walisischen Hofbarden des sechsten Jahrhunderts, von dessen Leben eine Saga aus dem neunten Jahrhundert kündet und der ein hochberühmtes Buch mit Gedichten hinterließ. Dessen älteste Handschrift allerdings entstand um das Jahr 1275, und von den vielen darin (und anderswo) enthaltenen Taliesyn-Gedichten ist nur ein gutes Dutzend authentisch – wer darin einen ironischen Wink mit dem Zaunpfahl sehen mag, der sehe.

      Zweiter statistisch-kritischer Einschub: THE BOOK OF TALIESYN

      1. Listen, Learn, Read On

      2. Wring That Neck

      3. Kentucky Woman

      4. Exposition/We Can Work It Out

      5.


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