Deep Purple. Jürgen Roth
versuchte er, sich in die Band hineinzudrängen, studierte statt dessen dann den Leadgitarristen Tony Harvey – nicht nur seine Hände, sondern jede einzelne Bewegung auf der Bühne.
Zur Schule ging Ritchie mit fünfzehn nicht mehr. Statt dessen jobbte er am nahegelegenen Flughafen Heathrow als angelernter Funktechniker, kaufte sich von seinem Lohn eine richtige E-Gitarre – eine Höfner Club 50 – und gründete nebenbei mit Exmitschüler Mick Underwood, der als einziger in Ritchies Bekanntenkreis ein richtiges Schlagzeug sein eigen nannte, eine Band mit dem assoziationsreichen Namen The Dominators. Die hielt aber nur sechs Monate, denn nach ein paar Gigs in der Nachbarschaft winkte eine größere Chance. Roger Mingay brauchte für seine Band The Satellites, eine lokal recht beliebte Imitation der Shadows, einen Rhythmusgitarristen, und der fünfzehnjährige Ritchie stieg ein – aus pädagogischen Gründen: „Mingay hat mich sehr beeinflußt. Ich hätte alles gespielt, bloß um dabeisein zu dürfen.“
Anfang 1961 las Ritchie in einer Anzeige, der exzentrische Schockrocker David „Lord“ Sutch (den vorerst nur seine Freunde „Screaming“ nannten) suche einen Gitarristen. Das nun konnte der Eintritt ins richtig große Musikgeschäft sein – und schon flatterten Ritchies schüchterne Nerven derart, daß ihn seine Freundin und sein Vater zum Vorspielen begleiten mußten. Mittlerweile kennen wir ihn ein bißchen und können uns daher ungefähr vorstellen, was in ihm vorging, als er erfuhr, daß nicht er den Job kriegt, sondern – Roger Mingay (später behauptete Blackmore, er sei sehr wohl angenommen worden, habe aber abgelehnt, um nicht soviel unterwegs sein zu müssen). Damit waren die Satellites auch erledigt, und Ritchies Einstieg bei Mike Dee & The Jaywalkers ging mal wieder eine typische Überreaktion voraus: Um zu demonstrieren, daß er nun Profi war, zahlte er einhundertvierzig Pfund für eine kirschrote Gibson ES 335, wie sie auch Chuck Berry spielte, und besaß damit nicht nur ein Trauminstrument (das er bis 1971 benützte), sondern auch die wahrscheinlich teuerste Gitarre in ganz Westlondon. Nicht die Gitarre allein war es, die jeden Sonntag, wenn Mike Dee & The Jaywalkers im Southall Community Center aufspielten, für offene Münder sorgte, sondern vor allem die unglaubliche Schnelligkeit, mit der der junge Kerl sie bediente – wir wissen das bereits.
Ausgelernt hatte Ritchie aber noch lange nicht. Seine neuen Vorbilder waren Legion: Albert Lee (ein Kollege von den Crusaders), Duane Eddy, Buddy Holly, dann Les Paul, Wes Montgomery, Jimmy Bryant, Ricky Nelsons Leadgitarrist James Burton, Scotty Moore (Elvis Presleys Saitenmann und sein erster Manager) und vor allem Django Reinhardt – der ihn, obwohl er später behauptete, ihm habe bloß der Name gefallen, besonders deshalb faszinierte, weil es ihm nicht gelang, ihn zu kopieren. Nicht gelingen konnte, aus anatomischen Gründen: Dem 1953 verstorbenen „Zigeunerjazzer“ waren an seiner Griffhand nach einem Brand in seinem Wohnwagen 1928 nur zwei bewegliche Finger verblieben, weshalb er keine Akkorde, sondern nur einzelne Noten spielen konnte.
Einen neuen Lehrer fand Blackmore endlich auch: Big Jim Sullivan, eine Art kleiner (und lokaler) Gitarrengott seiner Zeit, der seit Ende der Fünfziger, damals selbst erst sechzehn, bei den Wilde Cats spielte, denen 1960 die Ehre zuteil wurde, Eddie Cochran auf Großbritannientournee zu begleiten. Was er dabei gelernt hatte, setzte Sullivan danach gewinnbringend um: Eine Gitarrenstunde in seinem Wohnzimmer in Hounslow (eine Bushaltestelle von Heston entfernt; wer weiß, wie oft Ritchie auf der Fahrt dorthin und zurück im selben Bus saß wie Ian Gillan) kostete zehn Shilling – die sich Ritchie Blackmore sparte, indem er immer mal wieder „zufällig vorbeikam“ oder auf der Türschwelle wartete, zusah und beiläufig nach ein paar Tips fragte.
„Jim spielte erst gute zwei Jahre und war auf einen Schlag der beste Gitarrist in England“, schwärmte Ritchie rückblickend von Sullivan. „Ich dachte, ich komme gut voran, bis ich ihn gesehen habe. Ich glaube, er hatte es ziemlich satt, daß ich ständig bei ihm rumhing, aber ich habe eine Menge von ihm gelernt.“ Die wichtigste Lektion, die ihm Sullivan mit auf den Weg gab, lautete: Die Soli anderer Gitarristen nachspielen wie ein Papagei, das kann jeder. Ein großer Gitarrist erschafft seine eigenen. „Man“, sagte Blackmore in den neunziger Jahren, „hat mir früh eingeschärft: ‚Was immer du auch machst, übernimm nicht jeden Stil aus dem Lehrbuch. Finde zu deinem eigenen Stil, und halte dich so oft wie möglich daran!‘ Das war damals ein guter Rat, denn ich versuchte, alles in jedem nur möglichen Stil zu spielen. Und, lachhaft genug, als ich mit dem Rock ’n’ Roll anfing, habe ich genau das getan – mein Spiel vereinfacht. Ich hörte auf, meine Finger zu gebrauchen, und spielte mit dem Plektrum“ – nicht immer, wie wir noch hören werden.
Die Profikarriere mit Mike Dee & The Jaywalkers kam nicht so gut voran wie erhofft. Die Band fuhr zwar nicht nur am Wochenende die Autobahn M1 rauf und runter (in einem Bedford-Bus ohne Heckklappe, in dem es folglich, wie sich Ritchie erinnert, „saukalt“ war), spielte, wo immer man sie ließ, und nahm sogar für Decca eine Single auf („My Blue Heaven“). Aber die Platte blieb unveröffentlicht, und auch eine Umbenennung in The Condors half nicht weiter. Als Screaming Lord Sutch 1962 wieder nach einem Gitarristen für seine Savages suchte, war sich Ritchie nicht zu schade, ein zweites Mal vorzuspielen (einer seiner Konkurrenten war Pete Townshend). Diesmal bekam er den Job – und den Spitznamen „Bluebell“, ob wegen seiner bevorzugten Kleidungsfarbe oder als Anspielung auf die gleichnamige Dampfeisenbahngesellschaft, deren berühmteste Lokomotive den Namen „Blackmore Vale“ trägt, wissen wir nicht.
Sechs Monate lang zog der lärmende Wanderzirkus durchs Land, wobei Blackmore zwangsweise lernte, seine Schüchternheit zu überwinden: Vor Auftrittsbeginn versammelte sich die Truppe unbemerkt am Ende der Halle und rannte kreischend durchs Publikum in Richtung Bühne. Dort verhielt sich Ritchie dann anfangs eher ruhig. „Ich war so dürr wie ein Besenstiel, trug nur einen Lendenschurz und hielt die Gitarre deswegen immer so, daß man meine hervortretenden Knochen nicht sah.“ Sänger Sutch indes packte seinen Gitarrenhals, schrie: „Los, beweg dich!“, und zerrte den klapprigen Jungen zur Belustigung des Publikums quer über die Bühne. Irgendwann klappte der Trick auch ohne Leine. „Wir kamen großartig an“, erinnert sich Schlagzeuger Carlo Little, der fünf Jahre später mit Jon Lord bei den Flowerpot Men spielen sollte. „Ritchie war wunderbar. Er rannte in der Gegend herum, daß den Leuten der Mund offenstand.“ Blackmore selbst sah die Sache später etwas nüchterner: „Anfangs wußte ich gar nicht, was da passiert. Wir spielten ‚Jack The Ripper‘, und Sutch ließ sich in einem Sarg auf die Bühne tragen. Der Kerl ist total verrückt, dachte ich, ich muß hernach mit ihm heimfahren, und er sitzt am Steuer! Aber Sutch hat mir in Sachen Showmanship viel beigebracht: von der Bühne zu springen, Verstärker anzuzünden, in einem Leopardenfell rumzulaufen.“
Gewisse Grundzüge des späteren Blackmoreschen Auftrittskonzepts werden schon hier sichtbar: „Von Sutch habe ich gelernt, daß du dich wie ein Irrer aufführen kannst, und die Leute finden das toll. Es ist eine Show, die totale Maskerade. Wenn du anfängst, dich ernst zu nehmen, und dich in ein Schneckenhaus verkriechst, kriegt das Publikum das mit.“ – „Als Ritchie kam, wollte er bloß Gitarre spielen“, bestätigte der „Lord des Polit-Irrsinns“ (Ralf Sotscheck) himself kurz vor seinem Freitod 1999, „aber man merkte, daß er darauf brannte, den Wahnsinn mitzumachen, und als er ging, war er absolut durchgedreht. Jahre bevor irgend jemand was von Pete Townshend hörte, hat Ritchie schon sein Zeug zu Klump geschlagen. Außerdem war er der beste Gitarrist in der ganzen Szene. Die Leute fuhren meilenweit, um zu sehen, wie er seine Soli spielt.“
Sutchs Produzent Joe Meek – dessen Hang zu okkulten Praktiken ihn mit dem jungen Gitarristen und dessen deutscher Gattin Margaret verband – verzichtete während Ritchies erstem halbem Jahr mit der im Studio weniger beeindruckenden Band darauf, Platten aufzunehmen, ließ sie lieber touren und Geld verdienen – und konzentrierte sich auf ein anderes Projekt: The Outlaws, eine seiner Hausbands, die auf praktisch all seinen Solistenproduktionen zu hören war und die er mit neuen Männern an Schlagzeug und Gitarre beiläufig nun auch selbst groß herauszubringen gedachte. Ende 1962 spielte Ritchies alter Kumpel Mick Underwood bei Meek vor, bekam den Zuschlag und holte den ehemaligen Mit-Dominator Blackmore ins Boot – als Ersatz für Roger Mingay übrigens.
„Wir spielten fünf oder sechs Sessions am Tag“, sagt Mick Underwood. „Um zehn ging’s los, bis sieben Uhr abends, und Meek schob einen nach dem anderen rein und wieder raus“ – Tom Jones, Glenda Collins, Deke Arlon, Mike Berry, Freddie Starr, Davy Kay, John