Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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Raspel-Intermezzo, ehe zum Schluß der zweiten Reprise endlich auch noch Ian Paice das Grundgerüst seines Schlagzeugsolos los­rollen läßt.

      „Into The Fire“ drückt wieder auf die Bremse und stampft dahin wie der angetrunkene Outlaw in schweren Lederstiefeln, den Ian Gillans bösartiger Gesang verkörpert. Blackmores Beitrag ist dagegen erstaunlich zivilisiert, und spätestens hier erstaunt auch, wie es ihm gelingt, sich an keiner Stelle zu wiederholen. Fast progressiv schiefrhythmisch stolpert die Band in „Living Wreck“ hinein, das ansonsten tatsächlich nicht viel mehr zu bieten hat als dichtes, homogenes Füllmaterial und ein etwas unentschlossenes Gitarrensolo, das ohne Höhepunkt abbricht. Ob es in dieser Funktion den Vorzug vor dem kompakteren „Cry Free“ wirklich verdient hat, darüber läßt sich streiten, aber der Streit ist der Mühe nicht wert. „Hard Lovin’ Man“, eröffnet von Roger Glovers sachte trabendem Baßriff, galoppiert so halsbrecherisch dahin, daß für einen Moment sogar Ian Gillan aus dem Sattel zu kippen droht. „Ein Monstergroove“, findet Glover, „das ist meine Lieblingsnummer auf dem Album; es ist soviel Feuer in unserem Spiel, und Jons Solo kommt an seine Vorstellungen auf der Bühne heran. Für mich verkörpert der Song den wahren Charakter der Band zu jener Zeit: treibende Kraft, verschrobene Kompositionen, Experimente, zwei große Soli, ausgeflippte, punktgenau treffende Texte, überschwengliche Attitüde. Ich spüre da eine Band, die sich gefunden hatte.“ Nicht unerwähnt darf Blackmores abschließendes Solo bleiben, das sich weit aus dem Bereich der Musik hinauslehnt ins pure Chaos hinein – als wollte er nicht nur die Studiotür zertrümmern, sondern gleich auch die Band, die sich gerade erst gefunden hat, und die Welt dazu. Das Ende kommt so abrupt, daß der Mund noch offensteht, wenn das Tor zur Hölle längst wieder geschlossen ist.

      Man mag die Covergestaltung als Jux deuten oder als trotzige Ansage an das zuletzt unenthusiastische US-amerikanische Publikum – sie ist mit Sicherheit auch eine Antwort auf die Selbstmonumentalisierung, die Led Zeppelin auf der Innenseite der Klapphülle ihres im Oktober 1969 erschienenen zweiten Albums betrieben: Da ist ein goldmarmornes, flutlicht­bestrahltes Luftschiffdenkmal auf einer gewaltigen Säulenhalle zu sehen, umthront von Gedenksteinen mit den Namen der vier Musiker. Wenn schon Stein, wenn schon Denkmal, so könnte der Gedankengang gewesen sein, dann aber gleich das überhaupt größte der Welt. Wie auch immer – es ist ebenso doof und lachhaft wie knallig und eindeutig und liefert jenen, die in Led Zeppelin die feinsinnigeren, „genialeren“ Pioniere und in Deep Purple die hinterherstrampelnden Dummbolzen sehen wollen, ebenso gute Argumente (man vergleiche die Schriftzüge) wie denen, die einen sichtbaren Beleg für Monumentalisierung und sonst nichts weiter wollen. Die haben ja auch recht: In Stein gemeißelt steht das Album für alle Zeiten da und will nicht wanken. Ein – zum letztenmal sei Eclipsed zitiert – „erratischer Block in der moderneren Rock-History. Die Beat-&-Psychedelic-Ära war Vergangenheit. Deep Purple, die zu Beginn ihrer Karriere ihr Vinyl häufig mit Coverversionen unschlüssig auffüllten, standen nun für Gegenwart und Zukunft zugleich.“

      Bei Denkmälern solcher Art endet der Bereich jeglicher Kritik. Einzelne Punkte, Songs und Details auf dem Album, auf dem „musikalischen Credo“ von Deep Purple, der „Krönung des Hardrocks“ (Musikexpress), zu bekritteln oder auch nur zu diskutieren, ist, so lautet der Kanon, sinnlos und anmaßend. „Als wollte man“, wie Dave Thompson es formuliert, „an einer Bergkette bemängeln, daß nicht alle Gipfel die gleiche Größe haben.“

      Beim Probehören in den HEC-Büros herrscht zunächst Einstimmigkeit: Deep Purple In Rock ist ein Pfund, mit dem sich, wie man so sagt, wuchern läßt. Als „Hard Lovin’ Man“ verklungen ist, herrscht jedoch einige Zeit lang Schweigen. Die Manager, so scheint es, warten, ob da noch was kommt. Es kommt nichts mehr, und daher kommt die Frage: „Wo ist die Single?“

      An eine Single hat niemand gedacht, und zwar zumindest halb absichtlich. Das englische Musikmagazin Disc hat in einer Umfrage festgestellt, sechzig Prozent der Plattenkäufer seien (wie pop zitiert) „von Hitparadenmusik zu Höherem aufgestiegen, meistens zu untergründigem progressivem Rock. Sechzig Prozent der Befragten kauften mehr Alben als ein Jahr zuvor, und siebzig Pro-zent kauften weniger Singles.“ Singles, darüber herrscht in der Underground-Gemeinde diskussionsfreies Einverständnis, sind Firlefanz von vorgestern. Eine Single ist kurz, radiogerecht, ein kommerzielles Produkt und keinesfalls das geeignete Medium für ernsthafte Bemühungen um künstlerisch-progressiven Ausdruck. Ein Album braucht einen Gesamtbogen, ist ein Gesamtwerk, kann nicht in rezeptionsfreundliche Happen zerschnitten werden und darf solche auch nicht abwerfen, ja nicht einmal als Zuwaage drangepappt bekommen. Vanilla Fudge betonten schon 1968 die Progressivität des Langformats, auch weil ihre Zeitlupenversionen ehemaliger Single-Hits auf kleine Platten meistens gar nicht draufgepaßt hätten. Pink Floyd verzichten schon lange darauf, Singles zu veröffentlichen; Led Zeppelin haben in Großbritannien gar nicht erst damit begonnen – „Good Times Bad Times“ war vorgesehen, aber Manager Peter Grant hat rechtzeitig den Geist der neuen Zeit gerochen und die Pressung der Kleinschallplatte in Großbritannien verboten (die in den USA gepreßten ­Singles, „Good Times Bad Times“, „Whole Lotta Love“ und „Immigrant Song“, sind als Importe allerdings auch in britischen Läden erhältlich). Niemand macht ­Singles; das gehört sich nicht.

      Doch: Die Plattenindustrie macht Singles, und Harvest, obwohl als progressives Underground-Label gegründet, gehört zum EMI-Konzern; der wie­derum gehört nicht nur zur Plattenindustrie, sondern ist – zumindest in Großbritannien – die Plattenindustrie. Also macht auch Harvest Singles. Auch von Deep Purple.

      Die Musiker murren, die Manager mieten das De-Lane-Lea-Studio für Anfang Mai. „Wir fingen um zwei Uhr nachmittags an“, erzählt Roger Glover, „herumzuprobieren und ein Riff zu suchen, das wir aber nicht fanden. Um acht sind wir abgehauen, um die Ecke in eine Kneipe, und haben uns vollaufen lassen. Ritchie und ich haben die anderen dort sitzenlassen, sind zurück ins Studio, er nahm seine Gitarre und spielte einfach was. Für mich klang das ganz gut. ­Ritchie sagte, es sei geklaut, von Ricky Nelsons ‚Summertime‘“ – bei dessen Gitarreneinleitung sich schon Jimi Hendrix für seine „Hey Joe“-Version bedient hatte –, „also meinte ich: ‚Das können wir dann ja leider nicht nehmen.‘ Er fragte: ‚Wieso? Hast du je davon gehört?‘ Und ich: ‚Nein.‘ Also sagte er: ‚Prima!‘“

      Ob sich Ritchie Blackmore dabei in der Backe auf die Zunge gebissen hat, ist nicht bekannt, aber daß das nach der Rückkehr der angesäuselten Restmannschaft aus der Kneipe resultierende Playback im „Refrain“ nichts wesentlich anderes ist als eine gummiartig gedehnte Variante von „Hush“, hätte eigentlich auch Roger Glover merken müssen. Vielleicht steckt dahinter geschäfts­musikalisches „Doppeldenk“ (George Orwell): Underground, hören wir Herrn Blackmore sinnieren, ist eine feine Sache, wenn jedoch eine Single schon sein muß, dann am besten eine nach einem Modell, das schon mal hingehauen hat. Aber daß ihm Herr Gillan bloß nicht mit der Idee daherkommt, im Refrain „Nah nanahnah“ et cetera zu singen!

      Gillan, ein großer Freund des Getreidegebräus, bringt – obwohl ihm die Situation, seinen Text diesmal tatsächlich erst unmittelbar vor der Aufnahme schreiben zu dürfen, entgegenkommen sollte – nur noch Blödsinn zu Papier. Roger Glover, der ihm beisteht, hat nun auch keine Hemmung mehr, sich an fremdem Gut zu laben, und schlägt einen alten Arthur-Alexander-Song, der im Newton Arms zufällig aus der Musikbox schallt, als Titellieferant vor: „Black Night“. Darauf reimen sich „don’t feel so bright“ und selbstverständlich „right“ und „don’t care to sit tight“ und ähnliche Formulierungen. Der Rest ergibt sich: „Die Arbeit am Text war angesichts unseres Zustands schwierig“, meint Gillan einsichtig, „also schrieben wir einfach die banalsten Phrasen zusammen, die uns einfielen. Was um alles in der Welt soll ‚ein dunkler Baum und rauhe See‘ sein? Was haben wir gelacht, weil der Text so blöd war!“ Für Roger Glover hatte der Reim auf „night“ Vorrang: „Einer von uns sagte: ‚Don’t feel too bright‘, eine wahrscheinlich zutreffende Beschreibung unseres Zustands, aber das mußte halt reichen. In drei Stunden war die ‚Black Night‘-Aufnahme fertig. Am nächsten Tag rief das Management an und gratulierte uns zu unserer Single. Wir hielten die Nummer für einen Witz, eine B-Seite oder so was, aber sie bestanden darauf, und dieses eine Mal behielten sie recht.“

      Intermezzo: Eugen Egner


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