Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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Pfund pro Abend!“ Für eine viertel Million sei er bereit, sich die Sache zu überlegen. Schon auf dem Weg in den nächsten Pub dämmert Gillan, daß er gerade einen seiner größten Jugendträume mutwillig in die Tonne getreten hat. Tony Edwards und John Coletta, der mit dem Sänger sowieso seine Probleme hat, weil er ihm nie in die Augen sieht (Gillan zufolge aus Angst, Colettas vorstehende Zähne und der Spucknebel, den er beim Reden versprüht, könnten in ernsten Momenten einen Lachkrampf verursachen), sind von dem Reinfall ihres dilettantischen Interimsverhandlungsführers erwartungsgemäß wenig begeistert. Ihre Versuche, mit Jewison Kontakt aufzunehmen, um die Sache auszubügeln, bleiben vergeblich, und Gillan ahnt, daß nun nicht mehr nur Ritchie Blackmore jeden seiner weiteren Schritte mit großer Aufmerksamkeit und geringem Vorschuß an Wohlwollen beobachten wird.

      Es ist an dieser Stelle angebracht, ein paar Worte über den Kerl mit der „Katastrophenalarmstimme“ (eine Information der Plattenfirma – „Das ist kein Schreien, es ist nur hoher Gesang“, meint Gillan selbst) zu verlieren, der sich da offenbar alle Mühe gibt, sich so schnell wie möglich aus der Gnadensituation, in die es ihn gerade erst hineingepfeffert hat, wieder hinauszumanövrieren. Den Mann, der seinem Manager ebensowenig in die Augen schauen kann wie seinem Gitarristen, weil er beide, wie so vieles, nicht ernst zu nehmen vermag – den einen wegen seiner Karnickelzähne, den anderen wegen seiner Frisur. Dessen eigene Augen sich bei jeder Gelegenheit mit Rührungstränen füllen, der seine Texte in letzter Minute auf Servietten schreibt, der Zwanzigminutensoli seines Gitarristen nutzt, um derweil unter dem Bühnenklavier Groupies zu plätten – und sich nicht scheut, derlei stolzstrahlend zu verkünden. Der mit dem Rolls durch London gondelt und alten Freunden im Pub so lange eine Rockstarrunde nach der anderen ausgibt, bis sie ihn rauszuwerfen drohen. Dem seine Mahlzähne nicht nur körperlich näher sind als Jon Lords Mahler, der für die Polizeifußballmannschaft von Pangbourne im Tor steht, zu einer Zeit, als Polizisten für gewöhnlich als „Pigs“ klassifiziert werden, Fantumulte in Deutschland für ein Ergebnis „kommunistischer Propaganda“ hält (mit dem Zweck, den störungsfreien Geschäftsbetrieb der Rockfirma zu behindern) und seine eigene Rolle in der Struktur Deep Purple anhand des typischen Verlaufs einer „Geschäftssitzung“ mit dem Management so beschreibt: „John Coletta lud zwei von der Band zum Essen ein, Tony Edwards die anderen zwei, und ich wurde zurückgelassen und mußte selber schauen, wo ich bleibe. Also verzog ich mich in die Kneipe, und schließlich versammelten wir uns alle wieder, um die gewichtigen Überlegungen der großen Köpfe zu vernehmen. Der Ablauf folgte einem vorhersehbaren Muster, etwa so: ‚Nun, Jon, was meinst du?‘, worauf er sagte, er halte was auch immer für eine gute Idee. Dann: ‚Na, Ritchie?‘, was er denke, und Ritchie war alles vollkommen egal; dann Roger, der sagte, er schließe sich der Mehrheit an, und Paice, der fragte: ‚Wieviel Geld werden wir damit verdienen?‘ Und das Management rieb sich die Hände und sagte: ‚Gut, Jungs, dann machen wir’s also, richtig?‘ Und wenn alle irgendwie nickten, kam ich daher: ‚Ihr verdammten Trottel – das glaube ich einfach nicht!‘“

      Ian Gillan kam am 19. August 1945 in Hounslow als Sohn einer Lehrerin und eines gewerkschaftlich engagierten Fabrikarbeiters zur Welt. „Die Familie meiner Mutter war eine lange Linie viktorianischer Konservativer, die meines Vaters waren radikale Sozialisten“, sagte Gillan später in einem Interview mit Shelley Harris. „Daher gab es immer Spannungen, politisch und soziologisch, und das hat mich furchtbar viel über Ideologie gelehrt, linke wie rechte.“ Sein Großvater Arthur Watkins war Opernsänger (und später Boxer), der Onkel Jazzpianist, die Oma Ballettlehrerin; die Mutter – dies prägte sich dem Buben als früheste Erinnerung ein – kam zwar auf dem Klavier bei „Blue Rondo A La Turk“ über eine bestimmte komplizierte Stelle nie hinaus, doch reichte dies aus, sich einer musikalischen Familie entsprungen zu fühlen. Das Erweckungserlebnis des geplagten Schülers und Kirchenchorsoprans, den eigener Aussage zufolge Lehrer „mehrmals ins Krankenhaus“ prügelten (ebenso wie andere Kinder aus der Sozialsiedlung, in der er als einziger Privatschüler aufwuchs), war Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“, vorgespielt von einem Schulfreund (eher nicht Pete Townshend, obwohl … wer weiß?). Dessen Schmalztollen-Singles-Sammlung festigte Gillans ersten Berufswunsch: Filmstar wollte er werden, und der beste Weg dorthin schien, dem Beispiel von Presley, Cliff Richard und anderen Vorbildern gemäß, das Singen. Noch 1969, dies nur am Rande, wird Ian Gillan bei einer Umfrage des New Musical Express nach den Lieblingssängern bekannter Pop­vokalisten als einziger von zweiunddreißig Befragten Elvis Presley auf Platz 1 setzen – Mick Jagger, dies noch weiter am Rande, bevorzugt Yoko Ono. „Ich traf einen Typen namens Andy, der Gitarre spielte, sagte ihm, daß ich eine Band gründen wolle, und er erzählte überall rum, am nächsten Samstagmorgen finde bei mir die erste Probe statt. Um die zwölf Leute tanzten an, alle hatten Akustikgitarren dabei; die mit fünf oder sechs Saiten spielten Rhythmus oder Lead, die anderen Baß. Wir hauten ein paar einfache Songs runter, ‚Peggy Sue‘ von Buddy Holly und so was. Nach einer guten Stunde flogen wir aus dem Haus, weil wir solchen Krach machten.“

      Die derart zusammengewürfelte Combo nannte sich fortan The Moon­shiners und durfte einmal die Woche im St.-Dunstan’s-Jugendklub spielen und proben. Gewisse Züge früher Selbstüber- (oder Unter-?)schätzung mag man darin erkennen, daß Gillan nicht zögerte, sich den Künstlernamen Garth ­Rockett zu geben. Gewisse Wurzeln seiner späteren, zumindest optischen Verbindung von perkussivem und vokalem Wirken könnten in seiner Rolle bei den Moon­shiners gründen: Er sollte nicht nur singen, über einen Cassettenrekorder, der mit festgestellter Aufnahmetaste als Verstärker diente, sondern, da alle anderen Gitarristen waren, auch das aus einer Snare Drum, einer Heilsarmee-Baß­trommel und einem halben Hi-Hat bestehende Schlagwerk bedienen. Mit der Kombination war er überfordert: „Wenn ich sang, gab es kein Schlagzeug, und wenn ich Schlagzeug spielte, konnte ich nicht singen. Ich hab’ das drei oder vier Wochen lang versucht, dann fragten mich ein paar Jungs, die auch dort probten, ob ich ihrer Band The Javelins beitreten wollte.“

      Die hießen damals noch The Hi-Tones und hatten gerade ihr gesanglich inertes Mikrogroßmaul „Greasy Ron“ rausgeschmissen. „Der Kerl war hoffnungslos“, erzählt Gitarrist Tony Tacon, der seine Gitarre übrigens seinem Schulkameraden Nick Simper abgekauft hatte. Ein Kumpel mit einem Tandem fuhr Tony rüber nach Heston, wo Gillan inzwischen wohnte. Er fand ihn in einem Süßwarenladen und bot ihm an, Sänger in seiner Band zu werden, die sich nun, im Oktober 1962, nach der Luxuslimousine Jowett Javelin nannte. „Javelin“ heißt auf deutsch Speer – wir erinnern uns: das bevorzugte Sportgerät des jungen ­Ritchie Blackmore.

      Tacon verschaffte seinem neuen Vokalisten, der jetzt Jess Gillan und manchmal Jess Thunder hieß, auch gleich einen Job als Wartungsmechaniker bei einer Firma, die Eismaschinen herstellte, und Gillan wiederum brachte seine neue Band im Programm für deren Weihnachtsfeier unter. Das Set bestand anfangs aus Nummern von Elvis, Buddy Holly, Eddie Cochran, den Shadows, aber auch Howlin’ Wolf und jeder Menge anderer US-Blues-Musiker. „Die Leute in Amerika, meine Verwandten dort“, sagte Gillan Ende der Neunziger in einem Interview für die Webseite Classic Rock Revisited, „hatten von den Blues-Musikern, die ich liebte, noch nie etwas gehört, weil weiße Radiosender so was einfach nicht spielten – und andersrum genauso. Aber wir kümmerten uns nicht darum, was für eine Hautfarbe jemand hatte. Das Zeug kam raus, wir kauften die Platten und dachten: ‚Wow, das ist super!‘ Also spielten wir weißen Jungs dieses Zeug, weil es uns was sagte. Man sollte nicht vergessen, daß wir gerade eine sehr intensive und heftige Konfrontation namens Zweiter Weltkrieg hinter uns hatten, bei der unser Land in Stücke gebombt worden war. Als ich aufwuchs, gab es alle möglichen Rationierungen. Es gab pro Familie für eine ganze Woche nur eine bestimmte Menge Butter. Speck, Eier, Brot – alles war streng rationiert, ebenso Zucker und Benzin. Daher verstanden wir ziemlich gut, wovon diese schwarzen Typen sangen, wir konnten uns damit absolut identifizieren. Sich in dieser schönen, einfachen Form ausdrücken zu können, die im Grunde nur auf drei Akkorden beruht, auf zwölf Schlägen pro Takt – das konnte jeder ganz leicht spielen, und es gab einem die Möglichkeit, sein Herz auszuschütten.“

      Bald indes hielt die Beatlemania auch im Programm der Javelins Einzug und inspirierte die Band, sich selbst kompositorisch zu versuchen. Es gab sogar einen richtigen Agenten, aber weil alle beteiligten Musiker nebenbei anständigen Jobs nachgingen, mußten sie ihre Live-Aktivitäten meistens auf die Wochen­enden beschränken. Gillan alias Thunder jedoch gelang


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