Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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daß es das Progressive Pop Festival in der Kölner Sporthalle war. Nach Mitternacht, zwischen einer bayerischen Blaskapelle und Procol Harum, betraten sie die Bühne. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, waren sie einheitlich schwarz gekleidet und trugen alle die gleiche Frisur. Als sie zu spielen begannen, verließ ich den Saal.

      Am 25. Mai spielen Deep Purple in London, tags darauf in Kiel, am 29. in Berlin, am 1. Juni in Düsseldorf, am 4. wieder auf der heimatlichen Insel in Bedford, dann, vor weiteren Langstreckengigs in München, Basel, Köln und wieder auf der Insel, erscheinen am 5. Juni 1970 Album und Single gleichzeitig; aber selbstverständlich wird die Single von fast allen Betroffenen nur als etwas unschickliche Beigabe empfunden. Eine scheinbar richtige Einschätzung: Deep Purple In Rock verkauft sich dank der vorangegangenen Überallspielerei vom ersten Tag an prächtig. Ian ­Gillan, den die Presse zum „Prince of Wails“ ernannt hat, erinnert sich, in Tränen ausgebrochen zu sein, als er während der Aufzeichnung einer Fernsehshow in Dundee beim Essen von Tony Edwards erfährt, das Album sei auf Platz 27 in die Charts ein­gestiegen. Ritchie Blackmore seinerseits ist erleichtert: „Ich fürchtete, wenn die Platte nicht reinhaut, müßten wir für den Rest unseres Lebens mit Orchestern spielen.“ „Black Night“ hingegen scheint das Schicksal zu erleiden, das bislang noch alle Harvest-Singles erlitten haben – man denke etwa an „Singing A Song In The Morning“ von Kevin Ayers, Floyd-Deserteur Syd Barretts „Octopus“, Forests „Searching For Shadows“ oder „Goodbye We Love You“ von Battered Ornaments: ab in die Panzerschränke sammelwütiger Spürnasen, die ahnen, daß man Jahrzehnte später mit ein paar der seltenen Flop-Exemplare die Rente sicher hat.

      Aber dann geschieht etwas Geheimnisvolles. Am 15. August, während Deep Purple in den USA dabei sind, die im März abgesagten Konzerte nachzuholen, betritt „Black Night“ auf harten Sohlen die unheiligen, von Shirley Bassey, Elvis Presley, Marmalade, Pickettywitch und Konsorten bewohnten Hallen der britischen Top 50. Zwei Wochen später folgt die gleichzeitig veröffentlichte und unter ähnlichen Bedingungen entstandene Black-Sabbath-Single „Paranoid“. Am 5. September steht „Black Night“ auf Platz 32, „Paranoid“ auf 47. „Es wird Zeit, daß Gruppen wie wir mal in den Charts vorbeischauen“, läßt Ozzy Osbourne verlauten. „Bisher gab es da bloß dieses ganze Tamla- und Bubblegum-Zeug.“ Den beanzugten Herren in den Hitformatierungsfabriken stehen die kurzen Haare zu Berge: Nummer 20, Nummer 9, Nummer 5 – Mitte Oktober thront „Black Night“ zwei Wochen lang auf dem Vizespitzenreiterplatz und streckt Freda Paynes hausfrauenfreundlichem Schmalzfetzen „Band Of Gold“ von unten die schmutzige Zunge entgegen; „Paranoid“ unmittelbar dahinter. Nun brechen die Zuckerwattedämme, und die Hitlisten wimmeln nur so von ungewaschenen Figuren wie Family, Iain Matthews, Jethro Tull, Dave Edmunds – und Tyrannosaurus Rex. Daß Deep Purple damit gewissermaßen dem Glam-Rock-Wahnsinn die Tür geöffnet haben, ist eine Überlegung von prickelnder Ironie.

      Vielleicht sind gar nicht die progressiven Hard-Rocker selbst schuld an dem schlagartigen Moralverfall; vielleicht liegt das alles daran, daß die Masse gewohnheitsmäßiger Singles-Konsumenten nach der Trennung der Beatles auf der notwendig wirren Suche nach neuen tauglichen Hithelden ist. Wie auch immer: Der Underground hört nun Singles, und andersherum erschließt „Black Night“ der Underground-Musik ein ganz neues Publikum. Allerdings erlebt Ian Gillan bei dem Versuch, die Massenwirksamkeit des Albums auf seinen Onkel Ivor auszudehnen, einen Reinfall: „Er lief davon, schreiend, die Hände auf den Ohren. Ich war ein bißchen beleidigt, schließlich wollte ich ihn doch beeindrucken!“

      Beleidigt sind freilich auch die Singles-Verweigerer Led Zeppelin: Die stehen plötzlich ganz doof da; und noch doofer stehen sie da, als sie mit ansehen müssen, wie der warzige Kneipenblueser Alexis Korner kurzerhand ihr „Whole Lotta Love“ neu aufnimmt, als Single herausbringt und damit nicht nur die Charts stürmt: Seine Version wird zur Erkennungsmelodie von Top of the Pops erkoren, der Hitsingles-Show aller Hitsingles-Shows, und da dürfen wir uns nun wirklich eine kurze Pause gönnen, um in den Keller hinabzusteigen und grund­mauernerschütternd zu lachen.

      Daß sich noch vor dem Erfolg der Single allein durch Deep Purple In Rock einiges geändert hat, dämmert Deep Purple langsam, aber dann doch. „Ich glaube, richtig bemerkt habe ich das erst, als das Album die ersten zwei Monate in den Charts war“, sagt Ian Paice. „Da ist uns klargeworden, daß wir uns etwas sehr Gutes getan hatten.“ – „Ich liebe dieses Album mehr als jedes andere, das wir gemacht haben“, meint Jon Lord. „Die Energie und all die Ideen, die wir im Tourbus, in stinkigen Umkleideräumen, Schulen, Konzerthallen gesammelt hatten, und vor allem in diesem wunderbar schäbigen und hallenden Übungsraum in Hanwell, machten aus In Rock ein Album, das für mich eine Ära und einen Stil definierte. Das ist die Platte, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde – mit ein paar Mahler-Sachen selbstverständlich.“

      Deep Purple In Rock schafft es in den britischen LP-Charts auf Platz 4 und bleibt achtundsechzig Wochen lang in den Listen vertreten, bis das nächste Album seinen Platz einnimmt. In Deutschland, wo „Speed King“ noch vor „Black Night“ als Single erscheint, ist das Ding schier gar nicht mehr aus den Hitparaden zu vertreiben; es hält sich bis heute unter den zehn meistverkauften Langspielplatten aller Zeiten, trotz entstellendem Hör Zu-Aufdruck in der linken oberen Ecke des Covers. „Ein knappes Jahr zuvor“, erinnert sich Roger Glover, „krebsten Ian Gillan und ich in der Gegend herum, schnorrten Zigaretten, teilten uns eine einzige gute Hose, rumpelten in einem alten Lieferwagen die M1 rauf und runter. Jetzt flogen wir aus Amerika zurück, um bei Top of the Pops zu unserer Hitplatte zu posieren.“

      Ian Gillan bringt die Platte einen – zu diesem Zeitpunkt noch vermeintlich dringend benötigten – Nebenjob ein. Als Tony Edwards erfährt, daß die Musical­autoren Tim Rice und Andrew Lloyd-Webber einen Rocksänger für ihr Sakro-Pop-Projekt Jesus Christ Superstar suchen, spielt er ihnen eine Probepressung von „Child In Time“ vor. Gillan wird in Lloyd-Webbers Wohnung eingeladen, ist aber erst mal wenig begeistert und kann mit dem Komponisten nicht viel anfangen. Der Enthusiasmus von Tim Rice steckt ihn schließlich an. Die Aufnahme dauert bloß drei Stunden, von der Mitwirkung auf der Bühne ist er wegen seiner ­Purple-Verpflichtungen befreit, und es soll ja auch gutes Geld herausspringen: Je einhundert Pfund bieten Lloyd-Webber und Rice allen Beteiligten. Tony Edwards jedoch verläßt sich, nachdem ihm das Duo ein paar Ausschnitte auf dem ­Klavier vorgespielt und -gesungen hat, lieber auf seinen Riecher und fordert Tantiemen statt Bargeld: zwei Prozent in Großbritannien, ein Prozent im Rest der Welt. Die im November 1970 veröffentlichte Platte findet mehr als acht Millionen Abnehmer, und Ritchie Blackmore findet sich mit einem Mal einem nicht nur reichen, sondern auch enorm selbstbewußten innerbetrieblichen Rivalen gegenüber, der nicht mehr nur Mitbestimmung, sondern einen Platz im zuletzt (seit Jon Lords orchestralem Rückzieher) eineinhalbköpfigen Vorstand fordert.

      Daß die Grenze zwischen Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung durchlässiger ist als die zwischen Gut und Böse, die er in „Child In Time“ küchenphilosophisch thematisiert hat, erfährt Gillan, als Tim Rice versucht, ihn als Jesus für die Filmversion des Musicals zu gewinnen. Von Hollywood- und Oscar-Träumen entflammt, beschließt er gleichwohl, die finanziellen Belange diesmal selbst auszuhandeln, um gar nicht erst in Gefahr zu geraten, unter Wert verscherbelt zu werden. Mit seinem neuen Rolls-Royce fährt Gillan zu Casting und Verhandlung vor, man schlürft Kaffee in der Suite des Produktionsleiters Jewison, tauscht Höflichkeiten und „Sehr interessiert“-Phrasen aus, und als man sich mit viel Schulterklopfen und Breitgrinsen vertagen möchte, macht Gillan seinen großen Fehler: „Einen Moment noch“, sagt er, und Jewison, die Türklinke in der Hand, fragt: „Haben wir etwas vergessen?“

      „Meine Motive waren absolut klar und gut gemeint“, betont Ian Gillan in seiner Autobiographie, „denn ich wußte, wenn ich für drei Monate aus dem Verkehr gezogen bin, wird die Band das nicht stillschweigend hinnehmen. Es ging mir nicht um persönlichen finanziellen Gewinn, sondern darum, die Jungs für jeden verpaßten Gig und sonstige Gelegenheiten zum Geldverdienen zu entschädigen.“ Also stellt er die entscheidende Frage: „Wie lautet das Angebot?“ – „Well“, sagt der distinguierte Mister Jewison, „eintausend Pfund die Woche.“ Gillan glaubt, sich verhört zu haben, murmelt etwas in der Richtung, damit seien wohl die Spesen gemeint, und Jewison, der sich möglicherweise ebenfalls verhört hat, bestätigt: „Korrekt, aber für Ihre Getränkerechnungen


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