Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


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geht dich nichts an.‘“

      Nach einem besonders brutalen Zwischenfall flüchtete Anita ins Haus einer Freundin, um sich verarzten zu lassen. Früher hatte sie aus Rache schon mal Brians Scalextric-Bahn zerstört oder seine Modelleisenbahnen in der Elm Park Lane verbrannt, aber in diesem Fall war Anita auf eine andere Form der Vergeltung aus. „Ich saß da, in Tränen aufgelöst, und war stinksauer. Meine Wunden wurden behandelt und ich fühlte mich schrecklich“, erzählte sie dem Autor A. E. Hotchner. „Ich beschloss, eine Wachsfigur von Brian anzufertigen und sie mit einer Nadel zu malträtieren. Ich knetete mit Kerzenwachs eine symbolische Puppe, flüsterte bestimmte Worte, schloss die Augen und stach mit einer Nadel in die Wachsfigur. Ich hatte den Magen durchdrungen … Am nächsten Morgen kehrte ich in die gemeinsame Wohnung zurück und fand ihn unter extremen Bauchschmerzen leidend vor. Er war die ganze Nacht wach gewesen und hatte regelrechte Qualen durchlitten. Überall standen Flaschen mit gelöstem Magnesium und anderen Medikamenten. Er brauchte ein oder zwei Tage, um wieder gesund zu werden.“

      Marianne Faithfulls Mann, der Galeriebesitzer John Dunbar, konnte aber auch berichten, dass Anita nicht immer die Opferrolle bei der zunehmenden Brutalität einnahm. „Ich erinnere mich an ein Treffen mit Brian, weil es so dramatisch ablief. Es war bei einer Party, und ich kam gerade die Treppe hoch, als er von dieser schönen Frau geschlagen wurde – richtig hart. Es war Anita, die Brian eins verpasste. Sie schlug ihn zusammen. Es war höchst spektakulär und mir blieb die Spucke weg.“

      „Anita war nicht einfach die ‚Matratze‘ wie so viele andere Mädchen“, erläutert Stash heute. „Die Frauen wurden damals wirklich schlecht behandelt, doch Anita stand auf und wehrte sich. Sie war ein feuriges italienisches Mädchen. In dem Fall kümmerte sie ihr Geschlecht nicht, denn Anita stand für sich selbst ein.“

      Zwischen den eher hitzigen Abenteuern lernte Anita durch Brian die Protagonisten der obersten Schicht der Popszene kennen. Von ihrem Starruhm ließ sie sich allerdings wenig beeindrucken, sondern schätzte diese Menschen nüchtern ein, während sie sich ihr vorstellten.

      „Ich war nicht sonderlich aufgeregt, als ich John Lennon kennenlernte“, erzählte Anita dem Romancier und Journalisten Alain Elkann 2017. „Das entspricht nicht meiner Persönlichkeit. Als ich ihm begegnete, empfand ich ihn wie einen Kunststudenten. Ich hatte einen großen Respekt vor Jimmy Page, aber das war es dann auch. Manchmal besuchten wir einen Club namens Ad-Lib, doch ich ging auch allein aus, um mir Pink Floyd oder Jimi Hendrix anzusehen. Mehr durfte ich eigentlich nicht, da die meisten Rockstars chauvinistische Männer waren, die in ihren jeweiligen Lagern steckten. War man im Beatles-Lager oder dem der Who, konnte man nicht zu den Rolling Stones gehören.“

      Andere Leute außerhalb des Musikgeschäfts konnten Anita, die sich bereits über einen großen Freundeskreis freuen konnte, doch beeindrucken. Tara Browne war ein 20-jähriger Mann, der im öffentlichen Leben stand. Er hielt sich in den coolsten Locations von Europa auf, doch wie viele andere im Goldrausch Mitte der Sechziger hatte er seine Basis in London, wo er sehr geschätzt wurde. Der Sohn von Oonagh Guinness und Dominick Browne, 4th Baron Oranmore und Browne, war der zukünftige Erbe eines riesigen Familienvermögens, darunter ein 2000 Hektar großes Anwesen in Irland und zahlreiche Vermögensanlagen rund um den Globus.

      Der hinsichtlich seines Vermögens die anderen wohlhabenden Aristokraten der damaligen Zeit weit hinter sich lassende Browne konnte problemlos alles unternehmen, was ihm Freude bereitete, und zeichnete sich durch eine ungewöhnliche Intelligenz aus. Er war Ehemann, Vater, Clubbesitzer, Investor, mit Hunderten von Menschen befreundet und hatte ein geradezu enzyklopädisches Interesse, was ihn in Kontakt mit denselben Kulturkreisen brachte, aus denen heraus Anita wirkte. Er hatte Zugang zu den angesagtesten Charakteren Londons, und er unterhielt schon bald eine enge und lebensfrohe Freundschaft mit Brian und Anita. Die beiden wurden von ihren Bekannten bereits als „verwunschene Zwillinge“ bezeichnet, doch durch den „Neuzugang“ von Browne, der einen ähnlichen Gang und auch blonde Haare hatte, wurden sie ein einzigartiges Triumvirat.

      Browne konsumierte natürlich auch die damals populären chemischen Substanzen, was als eine Selbstverständlichkeit galt. Das Rasen unter Einfluss der oft stimmungsaufhellenden chemischen Cocktails wurde gelegentlich ein Erlebnis, das er mit Freunden und Bekannten teilte.

      „Ich erinnere mich, dass ich bei einem der ersten Acid-Trips von Tara Browne dabei war“, berichtete Anita 1996. „Er besaß einen Lotus-Sportwagen. In der Nähe des Sloane Square wurde plötzlich alles rot, die Bäume entflammten und wir sprangen aus dem Wagen und ließen ihn stehen.“

      Es überraschte wirklich keinen, dass man Browne 1966 den Führerschein entzog, was ihn in sicherer Entfernung zur Straße hielt, bis ihn im Dezember des Jahres eine wesentlich tragischere Bestrafung ereilte.

      Tara Brownes 21. Geburtstag im Frühling 1966 wurde zu einem Anlass, dem Überschwänglichen und Dekadenten freien Lauf zu lassen. Natürlich war Anitas Anwesenheit obligatorisch. Obwohl zahlreiche Londoner Locations die Feier problemlos ausgerichtet hätten, wurde Brownes Familiensitz Lugga Lodge in den irischen Wicklow Mountains für angemessener erachtet. Das war für den inneren Kreis des Swinging London ein willkommener Anlass, sich massenhaft zu einigen Tagen der Ausschweifungen aufzumachen.

      Die Feierlichkeiten sollten am Wochenende beginnend mit dem 23. April starten, also wenige Wochen nach Taras wichtigem Geburtstag. Seinem Stil entsprechend charterte man zwei Caravelle-Passagier-Jets, um die über 200 Partygäste, ein bunt gemischter Haufen aus jungen Aristokraten und der hippen Elite, nach Dublin zu befördern. Zu den Partywütigen gehörten Paul McCartney, der wohlhabende Paul Getty und seine damalige Freundin Talitha Pol, der Designer und Lebemann Christoper Gibbs, der Innenausstatter David Mlinaric, der neue BBC-Moderator David Dimbleby und natürlich Anita, Brian und Mick Jagger, Letzterer zusammen mit seiner Freundin Chrissie Shrimpton.

      Um sie alle in Partylaune zu bringen, hatte der kreative Designer Bill Willis gleich eine ganze Flasche LSD mitgebracht und Anita, Brian und Taras Frau schon auf die Reise geschickt, bevor der Flieger mit Kurs auf die irische Hauptstadt abhob. In Dublin angekommen, standen Limousinen bereit, um die Gäste zu der eine Fahrtstunde entfernten Lugalla Lodge zu bringen. In Anitas und Brians Limo saßen auch der Fotograf Michael Cooper, Paul Getty und Talitha Pol.

      Die Fahrtroute führte die aufgeregten und erwartungsfreudigen Gäste über die schmalen und sich windenden Straßen durch die spektakulären Wicklow Mountains, eine Landschaft, die, verstärkt und ergänzt durch die LSD-Visionen, ein Gemeinschaftsgefühl entstehen ließ. Irgendwann forderte Brian Jones einen kurzen Halt der Karawane, um sich zu erleichtern. Sie hielten auf einem hoch gelegenen Berggipfel, der einen Ausblick auf das Guinness-Anwesen ermöglichte.

      „Das war alles verdammt hart“, erinnerte sich Anita in Michael Coopers Blinds & Shutters. „Wir fuhren in einer Limousine und sahen plötzlich eine tote Bergziege. Wir stiegen alle aus, tickten völlig ab.“

      Wie immer war Cooper darauf versessen, die Momente der Euphorie und des Erschreckens einzufangen, die sich vor seinen Augen abspielten. Auf einem Foto sieht man Anita, Brian, Bill Willis und Nicky Browne, die eng beieinander für die Kamera posieren, im Hintergrund die Schönheit des Lough Tay, die zu verschwimmen scheint. Ein eher intimer Schnappschuss zeigt Pallenberg in Jeans und Pullover, flankiert von Jones und der frierenden Nicky Browne. Letztere hat aufgrund der kühlen Frühlingstemperaturen das Gesicht verzogen. Im Gegensatz zu Jones, dem die Erfahrung nicht zu bekommen schien, strahlte Anita, lächelte entrückt durch die chemischen Substanzen, die ihr Bewusstsein zu neuen Horizonten führten. Nach der Ankunft beim Browne-Anwesen starteten die Gäste das, was später als „ein entscheidender Moment in den Sixties“ beschrieben wurde. Laut Nicky Browne in Paul Howards fantastischem Buch I Read The News Tody, Oh Boy spürten sie und Anita etwas Merkwürdiges von Mick Jagger ausgehen. Der Stones-Frontmann befand sich in den Klauen eines aufreibenden LSD-Trips. „Anita und ich dachten plötzlich, dass Mick Jagger der Teufel sei“, berichtete Browne dem Autor. „Wir schlossen ihn im Innenhof ein und rannten dann in den hinter dem Haus gelegenen Wald. Wir hatten Walkie-Talkies bei uns, ich glaube, sie waren ein Geschenk für Tara. Wir standen also im Wald und sprachen da rein … natürlich total paranoid, und beobachteten, wie Mick versuchte, aus dem Innenhof auszubrechen.“

      Da


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