Wie ein Regenbogen. Simon Wells
ich wegen eines Anrufs von der Rezeption zu Brians Zimmer gegangen. Es sollte dort sehr laut geworden sein. Als ich hinkam, erfuhr ich nur, dass sie sich über irgendetwas gestritten hatten. Anita meinte hinterher, sie sei von Brian unfair behandelt worden, aber ich würde mal meinen, dass die beiden sich gegenseitig nichts geschenkt hatten.“
Spannungen gab es nicht nur hinter geschlossenen Türen. Anita zeigte einen damals seltenen Widerwillen gegen das von Musiker-Partnerinnen erwartete Verhalten und hielt während der US-Tour unübersehbar die Fahne des Feminismus hoch.
„Wir verbrachten einen freien Tag in Miami“, berichtet Ronnie Schneider. „Damals wohnten wir im Hotel Fountainebleau. Wir hatten alle diese Speedboote, mit denen wir über das Wasser rasten. Plötzlich sah ich Anita, die direkt auf andere zufuhr, dann auf mein Boot und voll reinknallte.“
Nach der Episode in Miami kehrte sie kurz nach Paris zurück, bevor sie wieder nach Los Angeles flog, um beim Ende der Tour dabeizusein und etwas Zeit mit Brian zu genießen. Der Stones-Tross reiste mit einigen Agenten der mächtigen Agentur GMC, und Anita lernte den für die Band zuständigen Repräsentanten Michael Gruber kennen.
„Sie war ein freigeistiges, wunderbares Mädchen“, berichtet Gruber heute. „Sie zeigte sich an allem interessiert und war eine witzige Person, die man gern um sich hatte. [Anita] sorgte für den zündenden Funken. Manchmal waren Brian oder Keith niedergeschlagen und in sich versunken, und dann ging Anita hin und sagte so was wie: ‚Hört doch mit dem Scheiß auf, kommt aus dem Arsch und lasst uns loslegen.‘“
Da die Band nach dem Ende der Tournee noch einige Aufnahmen machen sollte, wurde Gruber als ihr Agent beauftragt, für die passende Unterbringung zu sorgen.
Gruber: „Ich erinnere mich noch an das Einchecken im Hotel Bel-Air. Ich musste die Buchung unter falschen Namen machen, sonst hätte man uns da nie reingelassen. Normalerweise wohnten wir im Beverly Wilshire, doch Mick wollte unbedingt ins Bel-Air, weil es über große Gärten verfügte und Bungalows für die Unterbringung der Gäste. Ungefähr eine Stunde nach der Ankunft meinte Anita zu mir: ‚Michael, wir wollen die Möbel aus dem Raum haben – wie bleiben ja hier. Die Stones nehmen ihr Album auf und wir haben für Brian schon einen Flügel bestellt.‘ Egal, wenige Stunden darauf wurde der Flügel angeliefert. Während der Nacht hatten die beiden einen unglaublichen Streit. Cary Grant wohnte eine Tür weiter und beschwerte sich über den Krach. Um vier Uhr morgens suchte mich der Manager in meinem Bungalow auf, berichtete von dem ganzen Lärm und dem entstandenen Schaden. Ich ging zu Brians und Anitas Bungalow. Der sah ziemlich verwüstet aus, als sei ein Truck da reingefahren. Anita meine beiläufig: ‚Was soll ich nur mit ihm machen? Er hört einfach nicht zu.‘ Na ja, man warf uns aus dem Bel-Air raus und wir checkten im Beverly Wilshire ein.“
Nach Beendigung der Tour machten die beiden Urlaub auf den Virgin Islands. Anschließend beabsichtigten sie einige Zeit in New York zu verbringen, wo sie die Gelegenheit zu einem Treffen mit Bob Dylan wahrnehmen wollten. Dylan, der eigentlich nicht dafür bekannt war, sich zu Verrückten hingezogen zu fühlen, war fasziniert von den beiden, die sich in ihrem Wesen glichen wie ein Ei dem anderen. Wenn man den Mythen Glauben schenkt, schrieb Dylan „Ballad Of A Thin Man“ 1965 als eine Art von Hymne auf Jonesʼ Komplexität und sein oft abgemagertes Erscheinungsbild. Mögliche Referenzen an Anita finden sich auf dem legendären Album Blonde On Blonde, besonders beim Track „I Want You“. Der Sinn ist natürlich – denkt man an Dylans Hang zur Mehrdeutigkeit – sprachlich chiffriert, doch die Zeile über ein tanzendes Kind, das einen „Chinese suit“ trägt, lässt sich möglicherweise auf Anita zurückführen. Hinzu kommen noch mehrere Andeutungen, wenn der Protagonist sagt, dass die Zeit auf seiner Seite ist (eine eventuelle Anspielung auf den Stones-Track „Time Is On My Side“). Auch der Albumtitel könnte Dylans Interesse an Jones und Pallenbergs bemerkenswerter Uniformität glaubwürdig widerspiegeln.
Während der Audienz beim Barden wurde passenderweise viel in Metaphern gesprochen. „Wir suchten Dylan im Chelsea Hotel auf. Als er Brian das erste Mal sah, fragte er: ‚Na, wie hoch steht dein Paranoia-Zähler, Brian?‘ Dann machte er uns an, denn Brian hatte eine Limousine bestellt, die uns in einen Club bringen sollte. Er meinte: ‚Was soll denn das mit der Limousine? Nur Popstars kutschieren in Limousinen.‘“
Trotz des krachenden Aufpralls auf dem Planeten Rolling Stones führten Anita und Brian ihre Beziehung weiter. Es überraschte niemanden, dass sich schon vor Ende der US-Tour Gerüchte in den Kolumnen der Klatschpresse verbreiteten, die sich um eine mögliche Ehe rankten. Das britische Musikmagazin Disc Weekly war die erste Publikation, die darauf anspielte, dass hinter Anitas Aufenthalt mit Brian in Los Angeles mehr stecken könne, als der Anschein vermuten ließ. Die Schlagzeile auf der Titelseite „Brian Jones Wedding?“ mit einem Foto des Paars wurde von der Presse im großen Stil aufgegriffen und stieß auf eine beträchtliche Resonanz. The New Musical Express folgte schon bald und in der Ausgabe vom 7. Dezember stand, dass in London „in den letzten Tagen Gerüchte die Runde machten, dass Brian Jones von den Rolling Stones kurz vor einer Hochzeit steht. Seine zukünftige Frau ist das 21-jährige deutsche Model Anita Pallenberg. Bei einer Party in Chelsea kommentierte Jones dies kürzlich so: ‚Die Hochzeit ist definitiv geplant, und Bob Dylan wird Trauzeuge sein.‘“
Angesichts der unkonventionellen Grundhaltung der Stones sorgte das Thema von Jones’ Heiratsabsichten für reichlich Mutmaßungen in den Klatschspalten. Überall wurde darüber spekuliert, wie diese bemerkenswerte Frau den schwierigen Stone zähmen und in den Hafen der Ehe locken konnte. Um noch Öl ins Feuer zu gießen, wurde berichtet, dass Anita in den USA beim Betreten einer Hochzeitsboutique gesehen wurde.
Während sich der Klatsch und Tratsch über die Regale der Zeitschriftenhändler verbreitete, bedrängten Reporter das Paar bei der Rückkehr am Londoner Flughafen. „Es wird schon sehr bald sein“, bestätigte Anita, wonach sie kryptisch einlenkte: „… oder es wird nie passieren.“
Jones wurde gedrängt, zu Anitas Aussage Stellung zu nehmen. „Ich denke natürlich über eine Heirat nach“, eröffnete er den wartenden Journalisten. „Anita ist das erste Mädchen, bei der ich mir ernsthafte Gedanken mache.“ Konkret auf Anitas Erklärung angesprochen, verhielt er sich eher ausweichend: „Es ist mir ein wenig peinlich, denn das ist alles privat. Wir schätzen uns sehr und es ist ja ganz offensichtlich mehr als eine flüchtige Bekanntschaft.“
Die Neuigkeiten fanden schließlich ihren Niederschlag in den Teenager-Magazinen. In der Ausgabe der deutschen Bravo vom 3. Januar 1966 wurde die Geschichte auf zwei Seiten ausgewalzt. Obwohl Brian betonte, dass „Anita für mich die Einzige ist“, rutschte ihm noch heraus, dass sie „verrückt“ sei.
Rave veröffentlichte im Februar 1966 einen ganzseitigen, etwas seriöseren Artikel über Anitas und Brians Beziehung mit der Schlagzeile: „Die Story eines Stone – eine Love Story“, auch wenn der aus verschiedenen Quellen zusammengemixte Bericht voller Fehler war. Die letzten Worte des Textes, in dem man die gegenseitige Liebe zu romantisieren versuchte, wirkten allerdings geheimnisvoll: „Was wird nun geschehen? Wird Brian seine Anita heiraten? Das vermag niemand mit Sicherheit zu sagen, weder Brian noch Anita. Die Zeit wird es weisen.“
Ungeachtet seiner Beziehung zu Pallenberg lebte Jones seinen Rock’n’Roll-Lifestyle auf Tour weiter, mit all den Drogen und flüchtigen Momenten körperlicher Lust. Wenn die Band nicht unterwegs war, wohnte der launische Brian in verschiedenen Wohnungen, die er jeweils nur sporadisch nutzte, im Großraum Westlondon. Nachdem er aus einem Stadthaus in Belgravia herausgeworfen worden war, das er sich mit einigen Musikern der Pretty Things geteilt hatte, zog er im März 1965 in eine umgebaute und für seine Verhältnisse sehr bescheidene Wohnung in der Elm Park Lane Nummer 7. Zuerst hatte er Pat Andrews mit ihrem gemeinsamen Sohn Mark dort wohnen lassen, doch nachdem sie eine Unterhaltsklage gegen ihn angestrengt hatte, gab er den beiden den „Marschbefehl“. In dem Haus herrschte für weibliche Besucherinnen eine Politik der sich schnell öffnenden und schließenden Tür; nur Linda Lawrence (die Mutter seines Sohnes Julian), das Model Zouzou und die deutsche Schauspielerin und Sängerin Nico gingen dort regelmäßig ein und aus – bis Anita kam.
Obwohl es nur kurz war, stellte sich für Nico das „Arrangement“ mit Brian als glücksbringend heraus, denn er machte sie mit den damals noch in ihrer