Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


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Beginn war Anita eine absolute Gegnerin des damals populären „Dolly Bird“-Look, der sich in den Medien durchsetzte. Trotz des möglichen Ruhmes, der durch die Zusammenarbeit mit bestimmten Fotografen entstehen konnte, hatte sie nicht die geringste Lust, sich den Anforderungen zu beugen, mit denen man sie in eine bestimmte Richtung drängen wollte. Wie später in Antonionis Film Blow-Up dokumentiert wurde, war der Kult um den aus dem Gefühl heraus, spontan arbeitenden Fotografen Mitte der Sechziger auf seinem Höhepunkt. Dadurch schlich sich bei Aufnahmesessions oft eine chauvinistische Arroganz ein, die alles dominierte. Trotz des Celebrity-Status von Jeanloup Sieff, Guy Bourdin und anderen berühmten Fotokünstlern, für die Anita posierte, beeindruckte sie dieses prahlerische Gehabe nicht die Bohne.

      Anita 2013: „Sie [die Fotografen] fragten mich: ‚Wo sind die Wimpern? Wo hast du deine Mascara?‘ Und ich rieb mir mit dem Finger über das Augenlid, verschmierte alles, worauf die Fotografen ausrasteten. Ich kam mit keinem von denen klar.“

      In ihrem Beruf waren Models zwar durch diese besondere, mächtige Weiblichkeit miteinander verbunden, doch angesichts der Vielzahl derer, die damals durch die pulsierende Pariser Modewelt zogen, stellte sich zwischen den meisten von ihnen höchstens eine flüchtige, oberflächliche Beziehung ein. Dennoch gelang es Anita, einige feste und länger andauernde Freundschaften mit eher angenehmen Kolleginnen zu schließen.

      Wie auch Anita hatte das amerikanische Model Deborah Dixon eine „andersweltige“ Aura, die sie über einen Großteil der Frauen auf dem Catwalk oder bei den Sessions erhob. Ihre Kultiviertheit wurde durch ihre zarte, anziehende Optik noch unterstrichen, dem blassen Gesicht und den herunterfallenden rotbraunen Haaren. Die sehr gefragte Dixon wurde als „Schneekönigin von Texas“ bezeichnet und dominierte während der Sechziger die Seiten der allerbesten Modezeitschriften. Auch sie hatte die „Dolce Vita“-Ära in Rom miterlebt und war während dieser Zeit bei einer Reihe erinnerungswürdiger Shootings für die wichtigsten Magazine zu sehen gewesen.

      1965 wohnte Deborah Dixon jedoch in Paris. Da die Models der zahlreichen Agenturen in verschiedenen Locations rund um die Uhr feierten, dauerte es nicht lange, bis Deborah auf Anita stieß.

      „Sie war spektakulär“, erzählte Deborah. „Es umgab sie eine faszinierende Aura, eine große Verführungskraft, und darüber hinaus war sie auch noch witzig. Anita war belesen und weit gereist, doch immer voller Neugier und einem Gespür für das Abenteuerliche. Sie hatte diese katzenähnliche Würde und ein wunderbares Lachen. Sie bewegte sich auch wie eine Katze. Und sie spielte wie eine Katze mit den Menschen – nicht aus Boshaftigkeit heraus, sondern weil sie es konnte. Ich glaube, dass sich viele Leute von Anita vor den Kopf gestoßen fühlten, denn sie entsprach nicht dem Durchschnitt.“

      Anita hatte bei Catherine Harlé anerkanntermaßen eine sehr produktive Zeit als Model, doch scheint sie ihren Beruf mit einer dilettantischen Einstellung ausgeübt zu haben – eine Tatsache, die ihren Freunden und Bekannten nicht verborgen blieb.

      „Ehrlich gesagt strebte Anita keine ernsthafte Model-Karriere an“, urteilte Deborah. „Sie arbeitete hier und dort, aber ich glaube nicht, dass sie das Modeln sonderlich interessierte – es war ein netter Weg, um ein gutes Leben zu führen und herumzureisen. Ich glaube nicht, dass sie sich allzu viel Mühe gab [eine Karriere aufbauen].“

      „Ich arbeitete schon bei der Agentur von Catherine Harlé, als ich ihr begegnete“, erinnert sich die Kollegin Zouzou heute. „Ich traf sie im Castel’s zusammen mit ihrem Freund Dennis Deegan [Schauspieler und Warhol-Mitarbeiter]. Niemand kannte sie näher. Anita arbeitete nicht viel. Im Grunde genommen arbeitete sie kaum. Vielleicht machte sie ein oder zwei Fotosessions, war wirklich nicht geschäftstüchtig. Wenn ich sie sah, dann meistens in den Nachtclubs.“

      „Anita war einfach anders“, berichtet die französische Sängerin und Dalí-Muse Amanda Lear. „Sie stand für einen aggressiven Look, einen Look, der ausdrückte, dass sie nicht nur ein Püppchen war. Schon damals hatte sie eine dominante Einstellung. Statt in die Fußstapfen ihrer Freunde zu treten, formte [Anita] sie.“

      „Ich mochte das Reisen, hasste aber das Modeln“, erzählte Anita 1994 in einem Gespräch mit dem Sunday Mirror. „Ich kam in der Hitze fast um, eingekleistert mit Make-up, und musste dann noch diese lächerlichen, großen Kunstwimpern tragen. Die anderen Models gingen meist schon um neun Uhr ins Bett und setzten sich Augenmasken auf. Ich ging jeden Abend raus und machte einen drauf.“

      So gern, wie sie sich mit Menschen umgab, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie auch Deborah Dixons damaligen Partner Donald Cammell kennenlernte. Das Trio führte eine enge Freundschaft und erlebte zahlreiche Abenteuer miteinander.

      „Ich begegnete ihm in den frühen Sechzigern“, erklärte Anita 1998 gegenüber der BBC. „Ich kam gerade aus New York und flog direkt nach Paris. Damals hatte ich einen Model-Agenten in New York und arbeitete in Paris. Ich glaube, seine Freundin Deborah traf ich zuerst – bei einem Job in einem Club, vielleicht auch in einem Club, den wir zum Tanzen besuchten … Wir verbrachten dann auch die Ferien gemeinsam.“

      Ähnlich wie Deborah Dixon stellte sich der in Edinburgh geborene Donald Cammell als eine Konstante in Anitas Sechziger-Chronik heraus. Er war ein Mensch, der an Geschick für kaum spürbare Manipulation, kombiniert mit einem einnehmenden Charme, alle machiavellischen Persönlichkeiten übertraf, die sich in den angesagten Kreisen der High Society tummelten.

      Gesegnet mit einem angeborenen Talent für die Kunst, hatte Cammell schon mit 16 Jahren ein Stipendium an der prestigeträchtigen Royal Academy erhalten. Seine Fähigkeiten wurden dort geschult und verfeinert, woraufhin er sich auf Gesellschaftsporträts spezialisierte, für die er ein besonderes Talent hatte. Schon bald hatte er sich hinsichtlich dieser überragenden Geschicklichkeit einen Ruf erworben. In Florenz studierte er unter der Anleitung von Pietro Annigoni, bevor er sich in London niederließ. Verwurzelt in der schillernden Chelsea-Boheme der späten Fünfziger und mit einem Studio in einer Seitenstraße von Londons kultureller Hauptschlagader King’s Road, fügte er sich mühelos in die progressive und eher bizarre Gemeinschaft ein.

      Sein Talent, seine Jugend und sein Intellekt öffneten Donald zahlreiche Türen und stellten sich bei den Frauen als unwiderstehlich heraus. Damals tummelten sich in Chelsea ungebildete, politisch linksgerichtete Schönheiten, was er voll und ganz auskostete. Wie Colin MacCabe in seinem Buch über den Film Performance (1968) enthüllte, hatte Donald in seiner Wohnung in Chelsea ein Schlüsselerlebnis, als er seine damalige Freundin zusammen mit ihrer Schwester in seinem Bett vorfand. Da einer seiner wichtigsten Charakterzüge die Spontaneität war, schlug Donald vor, die unterschiedlichen Energien doch einfach zu vereinen – ein Szenario, das für ihn zu einer Konstante wurde.

      Cammells zügellos ausgelebte Libido stand der Aussicht auf längere Beziehungen sehr im Weg. Er ertrug eine Ehe – aus der ein Kind hervorging –, bevor er aus Chelsea nach New York floh. Dort lernte er Deborah Dixon kennen und tauchte in eine Szene ein, die sich auf seine Sinne geradezu elektrisierend auswirkte. Dank ihrer beider schillernden Karrieren und Cammells Status als ein „dem Königreich“ Entflohener schlugen die beiden wie eine Bombe in die gesellschaftlichen Kreise des Big Apple ein.

      Kurz vor Beginn der Ära des „Swinging London“ war Paris kurzfristig en vogue, und so zogen Cammell und Dixon in die französische Hauptstadt, um ihre kreativen und persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Mit einem „Basislager“ in der Rue Delambre im Stadtbezirk Montparnasse und einer Welt, in der sich Kunst, Film und Mode vereinten, kamen sie in Kontakt mit unzähligen Persönlichkeiten, darunter auch Anita.

      Sie erinnert sich: „Das war wirklich spaßig. Nach einem Zug durch die Clubs am Samstag fuhren wir einfach nach St. Tropez oder machten ähnlich Verrücktes! Jeder schien irgendwie abgedreht zu sein, doch wir hatten unseren eigenen Stil, eher international … wie die kleinen [aber energiereichen] Schritte von James Brown.“

      Während Anita in Donald Cammells zwielichtige Welt abtauchte, begann sie eine neue, sexuelle Lebenslust zu entdecken, bei der Erlebnisse außerhalb der monogamen Beziehungen zur Norm wurden.

      „Es war absolut extrem“, erinnerte sie sich 1998. „Er wollte alles oder nichts. Was den Sex anbelangte, brachte er dich in riskante Situationen.


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