Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


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flüchtigen Freundschaften und kurzen Liaisons erwies sich Anitas Beziehung mit Donald Cammell und Deborah Dixon als stabil. Auf dem Höhepunkt der Jugendexplosion der Sechziger hatte Anita alles: Jugend, Freiheit und Mobilität. Plakativ ausgedrückt: Niemals gab es für das Leben auf dieser Welt eine bessere Zeit.

      „Für einige wenige Jahre flogen wir einfach“, erzählte Anita 1990 in einem Interview für die Publikation Blinds & Shutters. „Wir hatten alles – Geld, Macht, Beziehungen und unser Äußeres – einfach alles.“

      Tatsächlich gibt es nicht nur eine, sondern Dutzende Londoner Szenen. Jede Einzelne ist ein funkelnder Edelstein, ein Medley gemusterter Sonnenbrillen und wunderbar reizend angemalter Telefonhäuschen, eine Mixtur des „blitzenden“ Amerikas, des auf Hochglanz gebrachten Europas und hartnäckiger alter englischer Einflüsse, die im heutigen London miteinander verschmelzen. Das Resultat ist ein prickelndes und verworrenes Lustspiel.

      Time, 5. April 1966.

      Anitas immer weiter an Fahrt gewinnende Karriere spielte sich hauptsächlich in den Modemetropolen Europas ab; im ersten Halbjahr 1965 wohnte sie noch in Paris. Häufig übernachtete sie in Catherine Harlés Agentur in der Passage Choiseul, doch manchmal auch in der Wohnung von Deborah Dixon und Donald Cammell in Montparnasse.

      Zu den Interessen des Trios gehörte die Musik. Trotz der vielen Reisen hielt sich Anita auf dem Laufenden, was die Popszene anbelangte, die die Jugend weltweit faszinierte. Sie ließ sich nicht von den zuckersüßen Klängen der Beatles vereinnahmen, sondern stand auf eher erdige Sounds. The Who zählten zu den Bands, die sie musikalisch bewegten, und wie sie sich später erinnerte, sah sie einige explosive Auftritte der Gruppe im Club La Locomotive in Montmartre.

      Am Osterwochenende (16.–18. April) 1965 stürmten die Stones Paris, wo sie eine Reihe von Gigs im L’Olympia (auch bekannt als Olympia Bruno Coquatrix) spielten. Die Band stand kurz davor, ein globales Phänomen zu werden, ihr kantiger, rauer Nonkonformismus zog eine enorme Anhängerschaft an. Allerdings hinkte nach mehr als zwei Jahren exzessiven Tourens die musikalische Qualität noch ein wenig dem populären Image hinterher. Stolz, derb und ungehobelt stand der nach außen getragene Dissens zu gesellschaftlichen Normen im krassen Gegensatz zu den Gewohnheiten der Hörer, die den braven Merseyside-Sound mochten.

      Viele, die von den Stones angezogen wurden, mochten ihre unverfälschte und direkte Grundhaltung, entdeckten darin eine Art revolutionärer Einstellung. Ihre Hörer kamen aus allen Gesellschaftsschichten. Ganz vorn im Rampenlicht standen Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones in wechselnden Rollen. Das wichtigste Element, der Kern der Gruppe, war eine ungestüme Sexualität, die zuvor noch nie Eingang ins populäre Entertainment gefunden hatte.

      In der Pariser Gesellschaft mit ihrem Hang zum Revolutionären brodelte es schon immer, wenn auch der Dissens unterschiedlich stark sein konnte. Den Stones sicherte dies eine Zuschauermenge, die von Musikfans bis hin zu Künstlern und Sozialisten reichte. Während die Band in England lange eine Außenseiterrolle spielte, wurde ihr Anti-Establishment-Status in der französischen Hauptstadt warmherzig angenommen.

      Der Mini-Gastspielvertrag im L’Olympia gewährte den Stones genügend Freizeit, um das Labyrinth des kulturellen Nachtlebens zu erforschen, das Paris im Übermaß bot. In einem Wirbelsturm von Aktivitäten soll die Band angeblich Catherine Harlés Agentur eine Stippvisite abgestattet und mit den Models geflirtet haben. Auch verbrachten sie eine Nacht im Chez Castel.

      Zu den zahlreichen anderen Acts (darunter sogar ein Magier), die bei den Pariser Auftritten im Vorprogramm der Stones auftraten, gehörten auch Vince Taylor & The Playboys. Taylor, ein schwieriger, aber talentierter Musiker, genoss in Europa einen Kult-Status, besonders in Paris, wo seine im Südwesten Londons liegenden Wurzeln der Aura des Coolen keinen Abbruch taten. Die Percussion für Taylor übernahm Prince Stanislas Klossowski de Rola, besser als „Stash“ bekannt. Der später von der Presse als „Pop Prince Stash“ gefeierte Rola – Sohn des Malers Balthus (eigentlich Balthasar Klossowski de Rola) – hatte schon im Jahr zuvor Anitas Bekanntschaft gemacht und sich in der Zwischenzeit intensiv mit ihr angefreundet.

      „Ich begegnete Anita zum ersten Mal Anfang Sommer 1964“, erinnert sich Rola heute. „Es war im Apartment des Hauses eines Philosophen namens Alain Jouffroy. Vince Taylor und ich lagen zusammen mit dem unglaublich attraktiven amerikanischen Model Johanna Lawrenson im Bett, eine Freundin von Anita. Als wir am Morgen aufwachten, sahen wir dieses atemberaubende Mädchen, das in der Sonne auf der Terrasse stand und uns mit einem unwiderstehlichen süffisanten Lächeln ansah. Sie musste das erst mal checken – ihre Freundin mit zwei Typen im Bett.“

      Später in dem Jahr – Anita war wegen eines Modeljobs in Spanien – traf sie Stash de Rola wieder, der mit Vince Taylor tourte. Es entwickelte sich eine enge Freundschaft. Während die Stones Ostern 1965 in Paris einfielen, lebten sowohl Anita als auch Stash in der Stadt. Es war naheliegend, dass sie bei dem Konzert im L’Olympia auftauchte.

      Nach dem Gig verließ ein Grüppchen mit Stash und einigen Freunden den Veranstaltungsort, um das Pariser Nachtleben zu erkunden. Die Stones gingen an diesem Abend getrennte Wege, und Brian Jones suchte eher exklusive Gesellschaft.

      In dem Kreis um ihn befanden sich bereits die Sängerin Françoise Hardy, ihr Partner, der Fotograf Jean-Marie Périer, Stashs Freundin Anita Pallenberg und das exotische Model/die Sängerin Zouzou (alias Danièle Ciarlet). Letztere hatte in dem Jahr für ein kleines Skandälchen gesorgt, als sie den eher reservierten Ballett-Star Rudolf Nureyev auf das Tanzparkett gezogen hatte, um ihn so richtig durchzuschütteln. Das war für damalige Zeiten eine gewagte Einlage, die von den sensationshungrigen französischen Paparazzi ausgeschlachtet wurde.

      Die kleine Gruppe stürzte sich ins Pariser Nachtleben, angeführt von Jones, dessen Celebrity-Status ihn über die anderen erhob. Anita mag Brians öffentliches Erscheinungsbild gut unter die Lupe genommen haben, doch sie konnte wohl kaum die Komplexität erahnen, die hinter dem coolen Auftreten lag.

      Der phänomenale Erfolg hatte den Stones einen unermesslichen Reichtum eingebracht, aber im Jahr 1965 war Brian Jones’ Präsenz weniger offensichtlich als die der beiden Frontmänner Jagger/Richards. Und wie um diesen scheinbaren Widerspruch zu verstärken, stand Jones für einen Look, der elegant war, aber auch reserviert wirkte. Sein Erscheinungsbild spiegelte seine Herkunft aus der oberen Mittelschicht in dem verschlafenen Cheltenham in Gloucestershire wider.

      Brian war zwar nicht in der Lage, überzeugend zu singen oder eigene Songs zu schreiben, besetzte aber eine kultige Nische, was ihm enormen Respekt von seinen Zeitgenossen in der Musikindustrie einbrachte. Jones’ Geschicklichkeit als Multiinstrumentalist hatte sowohl seinen Status erhöht als auch für eine seltene Textur im Klangbild der Stones gesorgt. Dennoch wussten nur die wenigsten – angesichts der Dominanz des kraftvollen Duos Jagger/Richards –, dass die Rolling Stones das Baby von Brian Jones waren. Es war eine Kreation, die er hartnäckig etablierte, bevor sie ihm von anderen Kräften aus den Händen gerissen wurde.

      Ungeachtet seiner kreativen Stärke und des Status des Bandgründers musste er sich mit zahlreichen psychisch-sexuellen Problemen und einer Paranoia herumschlagen, was seinem stark angegriffenen Ego schadete und das chauvinistische Verhalten zusätzlich verstärkte. „Es ist kein Wunder, dass ich mich noch nicht fest gebunden habe“, bekräftigte er in einem Feature im Magazin Fabulous Anfang 1965. „Wie viele Mädchen könnte ich finden, die mir meinen Tee machen, das Essen kochen, mein Haus putzen und sich auf einer intellektuellen Ebene mit mir unterhalten, während ich die Füße hochlege?“

      Aufgrund seines Celebrity-Status konnte er viele Frauen gewinnen, doch nur wenige waren in der Lage, Jones’ ausgeprägte Libido zu befriedigen. Trotz mehrerer anhängiger Vaterschaftsklagen hielt er ständig Ausschau nach „Frischfleisch“. Brian mochte eine eher gehobene Gesellschaft – was sowohl das intellektuelle Niveau als auch den sozialen Status anbelangte –, stammte er doch selbst aus der aufstrebenden Mittelschicht. Die elegante Truppe, die in dieser Nacht das L’Olympia verließ, war ganz nach seinem Geschmack.

      Sie legten den ersten Stop beim


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