Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


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Anita dem Romanautor William Burroughs, woraus sich eine Beziehung entwickelte, die bis zu seinem Tod hielt. Bei einer anderen Gelegenheit traf sie Allen Ginsberg, den Hohepriester der progressiven Dichtkunst in Amerika. Seine Präsenz ließ üblicherweise bei allen Treffen die Gespräche verstummen, doch an diesem Abend unterhielt der Dichter die Anwesenden mit seiner „selbst geernteten“ Sammlung von Schamhaaren, die er in einer Streichholzschachtel aufbewahrte.

      Anita hatte ihre Teenager-Jahre zwar kaum hinter sich gelassen, doch ihre auf Empfang gestellte Antenne registrierte, dass sie Zeuge einer außergewöhnlichen Zeit wurde.

      „Wir trafen all diese Menschen, die Stars wurden und nun die Kultur des 20. Jahrhunderts repräsentieren“, berichtete sie 2017. „Ich spürte, dass ich mich an einem Ort befand, wo es wirklich abging. Es war wie ein Geschenk. Dadurch wurden wir zu einem Teil des Bildes, des Films, dieses besonderen Moments, der zur wichtigsten Erfahrung meines Lebens werden sollte.“

      Ein anderer Charakter, der einen transformativen Effekt auf nahezu jeden ausübte, dem er begegnete, war der außergewöhnliche Künstler Andy Warhol. Ende 1963, Warhol war damals 35 Jahre alt, befand sich sein Bildersturm gegen Amerikas Konsumgesellschaft auf dem Höhepunkt. Der aus seinem Apartment in Manhattan – genannt The Factory – heraus agierende Künstler setzte sich für die Kunst-Exzentriker und Bohemiens der Stadt ein und nannte sie seine „Superstars“. Es war ein Überfluss an künstlerischem Können, das in einem Schmelztiegel brodelte. Warhol förderte diese kreativen Abweichler und setzte sie bei Happenings ein. Da sich Anita in ähnlichen Gefilden bewegte, war es geradezu unvermeidlich, dem Künstler zu irgendeinem Zeitpunkt über den Weg zu laufen.

      „Die Begegnung war lustig, denn ich traf ihn in einer Telefonzelle“, erinnerte sich Anita. „Ich war da gerade reingegangen, und er wartete draußen darauf, dass ich das Telefonhäuschen verließ. Ich schaute ihn mir gründlich an. Sein Gesicht wirkte pink, graue Haare und ein pinkes Gesicht. Er war ganz in Schwarz gekleidet und sagte kein Wort. Als wir uns dann unterhielten, meinte er nur: ‚Fantastisch, fabelhaft‘“.

      Gerard Malanga, eine Persönlichkeit, die später von der New York Times als „Warhols wichtigster Mitarbeiter“ beschrieben wurde, erinnert sich an seine erste Begegnung mit Anita und Mario bei einer Cocktail-Party. „Da standen diese beiden jungen Menschen, chic angezogen. Ich habe vergessen, wer uns einander vorstellte, doch wir führten schnell ein sehr nettes Gespräch. Das Paar beeindruckte mich sehr. Anita hatte ein klassisch schönes Aussehen und einen höchst ambitionierten Geist.“

      Nach der eher schrägen, flüchtigen Begegnung war Anita des Öfteren bei den Aufführungen von Warhols Underground-Filmen dabei, die von der gleichermaßen progressiv ausgerichteten New American Cinema Group präsentiert wurden. Die meist nicht lizenzierten Veranstaltungen im Five Spot Café waren lebendig schillernde Leuchtfeuer für die, die New Yorks alternative Kunstszene durchstreiften. Bei Titeln wie Blow Job, Eat und Haircut, die natürlich den Rahmen des von der Zensur Erlaubten bei Weitem überschritten, erschien die Polizei oftmals ohne Vorankündigung, um die Vorführungen abzubrechen. Anita, die nicht nur geistig sehr beweglich war, zog sich vor diesen Veranstaltungen sicherheitshalber Tennisschuhe an für den Fall, dass sie eine schnelle Flucht antreten musste.

      Eine bedeutende Künstlergemeinschaft in dieser Welt der tausend Träume und Ideen stellte das Living Theatre dar. Als auf Provokation ausgelegte Schauspieltruppe war das Agitprop-Kollektiv dem Trend um Lichtjahre voraus, was das Verschieben der Grenzen und die Überwindung der Beschränkungen des konzeptuellen Theaters anbelangte. The Living Theatre war 1947 von der Schauspielerin Judith Malina und dem Maler/Dichter Julian Beck in England gegründet worden. Sie hatten ihre wahre Freude daran, experimentelle und selten gesehene Stücke aufzuführen, und ließen sich von den esoterischen Gefilden beeinflussen wie auch von aufstrebenden Dichtern und Schriftstellern, die ihre Arbeiten visualisieren wollten.

      Nach den zahlreichen Zusammenstößen mit den städtischen Behörden, durch die seine Arbeit auch einen Affront für die traditionelle Theatergemeinschaft New Yorks darstellte, half das Living Theatre dabei, die sogenannte Off-Off-Broadway-Bewegung zu popularisieren, da seine radikalen Produktionen in Opposition zur überbordenden Kommerzialität des Mainstream-Theaters standen. Die der Gruppe zugrunde liegende Ethik basierte auf einer Sammlung von Essays des französischen Dramatikers Antonin Artaud, die er 1938 publizierte. Das Credo des mit Das Theater und sein Double betitelten Buchs forderte den Theaterbesucher in seiner passiven Selbstgefälligkeit heraus und verlangte eine dringliche Kommunikation zwischen Darstellern und Publikum. Der lange und einflussreiche Schatten Artauds ebnete Anita später auch den Weg für ihre Beteiligung an dem 1968 gedrehten Film Performance.

      Andere ambitionierte Frauen, die ihren Stereotypen entfliehen wollten, wurden auch von der Unmittelbarkeit des Living Theatre angezogen. Zwei von ihnen waren Anita schon in Rom aufgefallen: Die deutsche Schauspielerin Nico und das Model Donyale Luna. Anita und Nico, die beide nicht dazu neigten, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, stritten sich häufig darüber, wer denn nun zuerst in New York angekommen sei, was auf ein Konkurrenzdenken hinwies, das sich auf alle Lebensbereiche erstrecken sollte. In den folgenden Jahren kreuzten sich ihre Wege häufig, doch die Antipathie zwischen den beiden blieb bestehen.

      Das Living Theatre hatte eine wahre Freude daran, jedes Element der Konventionen und der Zensur anzugreifen. Die wohl spektakulärste und provokanteste Präsentation war die Marathon-Aufführung Paradise Now, ein teils auf Improvisationen beruhendes Stück, das die Barrieren zwischen Zuschauer und Performer niederreißen sollte. Die interaktive Ausrichtung ließ die Darbietung eher wie ein Happening aussehen. Regelmäßig gab es erboste Aufschreie im Publikum, da die „Schauspieler“ die Bühne verließen, um die Gäste zu traktieren, anzufeinden oder auszuschimpfen. In zahlreichen Büchern und Artikeln findet sich die Behauptung, dass Anita an dem Paradise Now-Event teilgenommen habe, doch das Living Theatre hatte schon längst die Stadt verlassen, bevor Anita überhaupt ankam. Der Druck der Behörden zermürbte die Truppe, woraufhin sie dem kreativen Zeitgeist nach Rom folgte, zumal die Regularien in Europa nicht so streng waren. Sie hatte sich schon zuvor in der Stadt aufgehalten, besonders während der harten Winter an der Ostküste der USA. Dennoch – die Energien, die sie mit ihren Aktivitäten in New York freigesetzt hatte, wirkten nach, und die Vitalität und der anarchistische Freigeist beeinflussten auch Anita. Rufus Thomas, der Anführer der Schauspielerschar und später der berühmte Regisseur von Hair und Jesus Christ Superstar, freundete sich schließlich mit Anita, Mitgliedern der Stones und besonders Robert Fraser an.

      Im Lauf der Sechzigerjahre kam es zu weiteren zwar nicht so bissigen, doch ähnlich explosiven kreativen Ausbrüchen. Die Ankunft der Beatles im Februar 1964 in New York alarmierte die Staaten, dass sich eine neue Jugendbewegung in Großbritannien Bahn brach, angetrieben von einem Haufen aktueller Bands. Jung, rau, gefühlvoll und zu dem Zeitpunkt partiell schon vermögend, sandten sie ein neues Lebensgefühl rund um den Globus aus, das junge Menschen ansprach und darüber hinaus leicht zugänglich war. Für Mario stellte die neue Welle überwiegend englischer Bands eine Art von Offenbarung dar. Er beobachtete die tumultähnliche Resonanz, die diese Gruppen hervorriefen, und wurde von dem gottähnlichen Status verzaubert, den sie innehatten. Als die Welt von diesen kreativen Senkrechtstartern wie von einem Erdbeben erschüttert wurde, begann er über seine Kollagen hinauszublicken und versuchte sich dieser neuen Bewegung anzuschließen.

      Auch Anita konnte sich der explosionsartig verbreitenden Jugendbewegung nicht entziehen, die jeden Winkel der Welt eroberte. Der kreative Brennpunkt bewegte sich weg von New York. Sogar ein untrainiertes Auge erkannte, dass die weitaus größere „Action“ in Europa stattfand. Anita hatte sich zwar einen Agenten in New York gesichert, doch plötzlich kamen Arbeitsangebote aus den verschiedensten Richtungen. Anfang März hatte sie bereits den dringenden Wunsch geäußert, die USA zu verlassen.

      Doch allen Berichten nach waren es nicht nur professionelle Gründe, die Anita zur Abreise bewegten. Während Mario regelmäßig ein hohes Arbeitspensum bewältigte, hatte Anita den Zauber der Unabhängigkeit gespürt und war darauf versessen, sich eine eigene Karriere aufzubauen. Sie wollte nicht mehr länger nur den Sternenstaub reflektieren.

      Darüber hinaus zeichneten sich Anitas und Marios Charaktere nicht nur durch das Streben nach Unabhängigkeit aus, sondern auch durch ein überschäumendes


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