Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


Скачать книгу
Anita nur eine eher schlichte, blassblaue Lederjacke, die kaum ihre atemberaubende Präsenz erkennen ließ. Jones schien von Beginn an seine Chancen bei dem Model Zouzou abzuwägen. Ihre außergewöhnliche Erscheinung und Ausstrahlung regten seine ausgeprägte Abenteuerlust an. Die Gruppe hatte den Abend mit einigen starken Joints eingeläutet und langweilte sich schnell im Chez Castel, woraufhin sie sich in das ruhigere Ambiente von Donald Cammells und Deborah Dixons Wohnung zurückzogen, wo sich eine Party traditionell immer bis in die frühen Morgenstunden erstreckte.

      Dort angekommen, versuchte Jones, Zouzous leichte Reserviertheit zu durchdringen und ihr rudimentäres Englisch zu verstehen. Jedoch lenkte ihn Deborahs geradezu ätherische Präsenz ab, ihr blasser Teint wirkte durch den Marihuana-Nebel visuell verstärkt. All die Energien schienen die Anwesenden zu verwirren, Brian und Anita wechselten an dem Abend nur wenige Worte. Im Morgengrauen begleiteten Stash, Zouzou und Anita den Rolling Stone zurück zu seinem bescheidenen Hotel in der Rue des Capucines, wo sich Brian und Zouzou auf sein Zimmer zurückzogen.

      Aus welchem Grund auch immer – Anita schwieg ihr Leben lang über diese erste Begegnung mit Brian und datierte sie stattdessen auf ein ausgiebigeres Treffen fünf Monate später. Auch Deborah Dixon, die Gastgeberin an dem Abend, weiß nichts darüber zu berichten. Andere Anwesende erinnern sich hingegen sehr wohl daran: „Sie war sehr an ihm interessiert“, kommentiert Stash die unmittelbare Zeit nach der ersten Begegnung, „doch sie kam wegen Zouzou nicht an ihn heran, was sie annervte. Dass [Anita] in der Nacht keinen Erfolg hatte, hat sie bequemerweise aus ihren Erinnerungen gestrichen.“

      Brian und die Stones flogen nach den Paris-Gigs nach Kanada, doch es gab keinen Mangel an englischen Bands, die die französische Hauptstadt aufsuchten. Nur wenige Tage nach der Stones-Performance spielten die Kinks am 24. April 1965 im Palais de la Mutualité, einem relativ kleinen Veranstaltungsort im fünften Arrondissement. The Kinks gehörten zu einer Reihe von Bands, die rauen und ruppigen R&B ablieferten, doch sie wirkten durch ihre skurrile Präsenz und ihren dandyhaften Stil, was im kontinentalen Europa sehr gut ankam. Anita war von der kantigen und androgynen Ausstrahlung der Band hin und weg. Andere aus ihrem Umfeld stellten eine engere Beziehung zu den Kinks her wie zum Beispiel Zouzou, die bei deren Nummer zwei, Dave Davies, landete.

      Als die Band in Paris vor über 500 begeistert mitgehenden Zuschauern spielte, war ein Filmteam anwesend, das die entstehende Hysterie auf Zelluloid bannte. Inmitten der allgemein hektischen, 30-minütigen Performance ist eine Sequenz zu sehen, die den charmanten Moment einfängt, in dem Anita wie gebannt zur Bühne schaut. Während „Got Love If You Want It“ – ein Song, bei der die Gruppe am meisten improvisierte – wechselt die Kameraperspektive mehrmals zwischen ihr und dem Sänger Ray Davies. Mit ihrem hinter die Ohren gesteckten Haar und der elfenhaften Schönheit stiehlt Pallenberg der Band die Show.

      Ob Anita damals an Brian dachte oder nicht – die Auftragsangebote im Frühjahr sorgten für eine Vielzahl von Kontaktmöglichkeiten. Zahlreiche kreative Persönlichkeiten aus aller Welt gingen in der Hauptstadt quasi ein und aus, wodurch sich viele Gelegenheiten ergaben, die Bekanntschaft mit den Protagonisten der angesagten Kreise zu machen. Pallenbergs Terminkalender füllte sich mit beruflichen Verpflichtungen, doch sie fand dennoch genügend Zeit, sich mit alten und neuen Freunden zu treffen, die in der Stadt auftauchten. Ihr alte Bekannte (und Mario Schifanos Agentin) Ileana Sonnabend führte eine Galerie am 37 Quai des Grands-Augustins. Im Mai eröffnete sie eine aufsehenerregende Ausstellung von Andy Warhols Flowers. Warhol reiste schon eine Woche vor der Vernissage an, mit einer Gefolgschaft, zu der auch Gerard Malanga gehörte, der vor der Eröffnung in der Galerie Gedichte vortragen sollte. Malanga hatte schon Ende 1963 in New York, wenn auch nur flüchtig, Anitas Bekanntschaft gemacht und nutzte nun während des Paris-Aufenthalts die Gelegenheit, den Kontakt zu vertiefen.

      „Ich kam ’65 mit Andy in Paris an“, berichtet Malanga. „Anita erschien mit Denis Deegan – einem sehr engen, gemeinsamen Freund, der sich in der Stadt aufhielt – und Stanislas de Rola alias ‚Stash‘. Die drei holten mich vom Hotelzimmer ab und wollten mich zur Lesung in die Galerie geleiten. Sie hatten einen dicken, länglichen Klumpen marokkanisches Haschisch dabei, eingerollt in einer Ausgabe von Le Temps, damit es wie ein Baguette aussah. Kurz darauf füllte sich das ganze Zimmer mit dichten Rauchschwaden, da sie mich total dicht erleben wollten. Als wir die Galerie von Ileana Sonnabend erreichten, waren meine Lippen ziemlich trocken, doch ich hielt durch und schaffte die Lesung.“

      Etwas mehr als ein Jahr war vergangen, seit Malanga Anita in New York gesehen hatte, und ihn beeindruckte ihre Verwandlung in eine selbstbewusste Frau.

      „Als ich sie erstmals in New York traf, wirkte sie eher reserviert“, erklärt Malanga heute, „doch in Paris nahm sie mich sofort in den Arm. Sie war zu einer offenen Persönlichkeit gereift – und ich liebte das. … [Anita] strahlte eine Selbstsicherheit und Zuversicht aus, die mich erstaunte.“

      Diese Selbstsicherheit ist auf einem bizarren Foto zu erkennen, das bei der Flowers-Eröffnung geschossen wurde. Neben Malanga und Warhol sieht man Anita mit der Schauspielerin Edie Sedgwick, dem Veranstalter Chuck Wein und Stash. Ohne einen erkennbaren Grund hielten sie Kaninchen in ihren Armen.

      Mit zunehmendem Selbstvertrauen und reisefreudig tauchte Anita im Sommer in Italien auf und ließ sich in einem durchsichtigen Regenmantel ablichten. Allerdings trug sich nichts darunter. Ein anderes Foto zeigte sie in einer alpinen Location, kaum bekleidet, vor den schneebedeckten Bergen.

      Für Anita war die Welt ihr Zuhause und das schon in einem Alter von nur 22 Jahren. Das Tempo ihres Lebensstils ermöglichte ihr nur selten eine „Bestandsaufnahme“ ihrer Leistungen. „Ich war mir eigentlich über nichts im Klaren“, erzählte sie Ruby Wax 1999. „Ich wusste, dass ich von einem Ort zum anderen reiste und meist in einer anderen Sprache redete. Da ich niemals zu Hause war, stellte sich kein Gefühl für ein Zuhause ein. Ich fühlte mich wie eine Zigeunerin.“ Im September 1965 wurde Anita von Catherine Harlé zu einer Fotosession nach München geschickt. In der Stadt herrschte Vorfreude auf das Oktoberfest, und das junge Model baute eine starke Beziehung zu den deutschen Medien auf, besonders zum zukunftsweisenden Magazin Twen, das sich darüber freute, ihre körperlichen Vorzüge zu vermarkten. „Ich arbeitete als Model in Deutschland, da sie täglich abrechneten“, erinnerte sie sich gegenüber dem Guardian. „Das gefiel mir natürlich. In Frankreich oder Italien erhielt man sein Honorar erst mehrere Tage [nach den Aufnahmen].“

      Abgesehen von den finanziellen Aspekten stellte sich der Auftrag in München als geradezu schicksalsträchtig für sie heraus, denn die Termine fielen mit zwei Shows der Stones am 14. September im Circus Krone-Bau zusammen. Es wurde zu einer waschechten britischen Show, denn neben den Stones als Hauptattraktion traten die Spencer Davis Group und eine stilistisch ähnliche Gruppe auf, nämlich die ruppigen und krachenden Troggs. Die Stones badeten im Erfolg der Single „(I Can’t Get No) Satisfaction“, die die zweite Woche den ersten Platz in den USA belegte, doch abseits der Bühne nahm die Band Brian Jones in die Mangel. Sein privates Leben stellte ein emotionales Minenfeld dar und seine Einstellung war den Kollegen ein Gräuel. In Kürze sollte eine Vaterschaftsklage öffentlich gemacht werden, und der ständige Streit verdeutlichte, dass Jones auch schon in großer Distanz zum Rest der Gruppe stand. Doch auch Jones hatte sich nicht gerade liebenswürdig gegenüber den anderen verhalten und – sehr zu ihrem Ärger – bei Auftritten während „Satisfaction“ einen Auszug aus dem Popeye-Thema genudelt.

      Während die 3000 Zuschauer im Circus Krone nichts über die Streitigkeiten und das böse Blut innerhalb der Band wussten, gab es andere, die das Besondere in Jones’ enigmatischer Präsenz spürten – und dazu gehörte auch Anita.

      Unter den Anwesenden in der Menge fand sich auch Bent Rej. Dem jungen dänischen Fotojournalisten war es gelungen, eine dauerhafte kreative Beziehung zu den Stones aufzubauen. Sie gewährten ihm für eine Serie von Bildreportagen sogar Zugang zu ihren Privatwohnungen.

      Rej hatte eine solide Beziehung zu Jones aufgebaut, und wie sich durch die Aufnahmen der beiden München-Gigs belegen lässt, war sich Brian der Präsenz des Fotografen bewusst, da er einen intensiven Augenkontakt zur Kamera hielt. Wenn Jones den Fotografen in einer Menge von Tausenden ausrastenden Menschen fokussieren konnte, war es wahrscheinlich, dass er auch Anita mit ihrer unverkennbaren Ausstrahlung entdeckte.


Скачать книгу