Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


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reisten Anfang Dezember 1963 ab. Sie hatten die Tickets nur wenige Tage nach dem Attentat auf Präsident Kennedy reserviert. Bevor sie Rom verließen – die Nachricht ihres Neubeginns wurde in der Künstlergemeinschaft der Stadt heiß gehandelt –, wurden sie von einem lokalen Bildhauer angesprochen, der sie bat, einem seiner amerikanischen Freunde ein Päckchen zu übergeben. Der Empfänger war der New Yorker Mafiaboss Vito „Don Vitone“ Genovese.

      Als sie Neapel zur Überseefahrt mit dem Transatlantikschiff Christoforo Colombo erreichten, stellten die beiden fest, dass sie dank der Beziehungen von Anitas „Reisebüro-Onkel“ in einer besseren Klasse reisten. Pallenberg erzählte, dass ihr bei der Überfahrt die Kluft zwischen den Klassen deutlich aufgefallen war, da die Ärmeren und Auswanderer in den Kabinen unter Deck hausten, wohingegen die gut betuchten Reisenden eine erheblich luxuriösere Unterbringung genossen. Während der neuntägigen Reise nach New York musste das Schiff einige schreckliche Stürme überstehen. Einmal wurde es so schlimm, dass man die Möbel am Boden festnagelte. Weder Anita noch Mario wurden seekrank, und wenn es das Wetter erlaubte, genoss das Paar die atemberaubende Aussicht. Als leidenschaftlicher Fotograf dokumentierte Schifano das Leben an Bord der Christoforo Colombo, und wie sein Portfolio der Überfahrt beweist, gestattete er auch anderen Reisenden, mit seiner Kamera Fotos von dem glücklichen Paar zu machen. Auf seinem und Anitas Gesicht war deutlich die Vorfreude zu erkennen, während sie sich New York näherten.

      Wie abgesprochen, trafen die beiden am Dock von Ellis Island Vito Genovese in einem schwarzen Taxi, der die beiden – nachdem das Päckchen sicher übergeben worden war – durch die Stadt zu Anitas Cousin brachte, wo sie sich erst mal ausruhten. Unmittelbar nach Kennedys Tod schien die ganze Stadt mit einem traurig-dunklen Farbton eingefärbt zu sein.

      „Ich werde niemals vergessen, wie wir New York erreichten“, erinnerte sich Anita 2017. „Auf der 42nd Street sah ich all die Anzeigetafeln und Plakate mit einem schwarzen Rahmen. Als Hinweis auf Kennedys Tod hatte man auch zahlreiche Plakate mit Schwarz übertüncht.“

      Auch wenn sie in einer Stadt ankamen, die in einen Nebel des Trauerns eingehüllt war, zeigte sich deutlich das Gefühl der Befreiung aus den italienischen Gegebenheiten. Schifano schrieb einem Freund: „Ich fühle mich großartig, so weit von dem wählerischen, nutzlosen Rom entfernt zu sein.“

      Nach der Ankunft bei Anitas Cousin versuchte sich das Paar so gut wie möglich einzuleben. Sie wohnten in einem der wohlhabenderen Bezirke der Stadt, denn Anitas Cousin hatte eine leitende Position bei dem einflussreichen Nachrichtenmagazin Newsweek inne. In dem Haus wohnte auch Anitas Onkel, der die eher liberalen Ansichten der Gäste überhaupt nicht teilte. Schnell stellte sich eine gegenseitige Antipathie heraus. Anita erinnerte sich 2017: „Wir machten in der weißen amerikanischen Umgebung eine schlimme Zeit durch. Mario stritt sich ständig mit meinem Onkel. Er war ein weißer Mann, der sich von der Überlegenheit seiner Rasse überzeugt zeigte und überhaupt nicht fortschrittlich dachte.“

      Bei dem Versuch, seinen Traum zu verwirklichen, hatte Schifano große Probleme, sich in die Künstlerkreise der Stadt zu integrieren. Anita beschrieb einige der Charaktere als „verdammt eklige Typen, zynisch und snobistisch … [Sie] dachten, die Italiener wären auf keinem hohen Niveau, und wollten weiterhin nur mit den eigenen Künstlern Geld verdienen.“

      Der Dichter und Warhol-Mitarbeiter Gerard Malanga erinnert sich. „Da war der gut aussehende junge Typ aus Italien – ein äußerst charmanter Mensch und höchst talentiert. Und er kam in die New Yorker Szene in der Erwartung, dass man ihn willkommen hieß. Doch leider verfügte er über keine hilfreichen Kontakte in der Stadt.“

      Mario und Anita bauten dann aber eine enge Beziehung zu dem in New York lebenden Dichter Frank O’Hara auf. Der eher sachliche O’Hara besaß ein klar umrissenes Talent und verbrachte seine Zeit teils als Autor und teils als assistierender Kurator am Museum of Modern Art. Ungeachtet seiner starken Verbindungen zu den in der Stadt schöpferisch tätigen Künstlern beeindruckte ihn Schifanos Status als Außenseiter, was ihn eine starke Seelenverwandtschaft spüren ließ, und so lud der Dichter Mario und Anita in seinen Zirkel ein.

      O’Hara wusste über die missliche Wohnsituation der beiden bei Anitas Verwandten und verhalf ihnen zu einer Loftwohnung in einem im Herzen von Greenwich Village gelegenen Wohnblock, der ihm gehörte. Die Räume in der Broadway Avenue 791 waren ausladend und so angenehm, dass alle Bedürfnisse der beiden erfüllt wurden – und das für eine eher symbolische Miete. Im Parterre befand sich ein Orthopädiegeschäft, das Prothesen verkaufte, doch in den darüber liegenden vier Stockwerken beherbergten die Wohnungen schillernde Künstlergestalten, wobei O’Hara „der Dichter unter den Malern“ war und die Rolle des netten Vermieters spielte. Während New Yorks kreative Lichtgestalten im Gebäude aus und ein gingen, richteten sich Mario und Anita in den Räumlichkeiten mit den hohen Decken ein. Fotos des Paars in ihrem Zuhause zeigen sie vor einem Müllhaufen aus den Resten von Marios Kollagen-Arbeiten posierend und belegen eine beinahe schon „erwachsene Glückseligkeit“.

      Mario gab sich alle Mühe, in der produktiven New Yorker Kunstszene Fuß zu fassen, wogegen sich Anita in einer eher praktischen Rolle wiederfand – vordergründig versuchte sie ihr Interesse an der Kunst weiterzuverfolgen, während sie als Schifanos Muse agierte. Darüber hinaus assistierte sie zum Beispiel dem multimedial ausgerichteten abstrakten Expressionisten Jasper Johns. „Ich machte nur seine Pinsel sauber“, verriet sie Anthony Haden-Guest 1990. Doch schon damals hatte sie Größeres im Sinn. „Ich wollte nicht die ganzen Botengänge erledigen. Ich wollte entdeckt werden.“

      Auf der Suche nach Aufmerksamkeit musste Anita unweigerlich den Weg in die Welt der Mode einschlagen. Während man sie 1962 für den Playboy noch in Rom auf der Straße abgelichtet hatte, posierte sie vor Marios Linse lebendiger und offensiver. In der Nähe lebende Fotografen wollten Anitas Dienste auch in Anspruch nehmen. In der aggressiven und erbarmungslosen New Yorker Modewelt – Models kamen gelegentlich zu spät oder waren nicht verfügbar – wurde Anita oft gebeten, einzuspringen und vor die Kamera zu treten. Diese spontanen Einsätze legten den Samen für weitaus größere Projekte in der Zukunft. Anita engagierte Ende 1963 einen Agenten, woraufhin ihr Arbeitspensum zunahm und ihre neue berufliche Ausrichtung abgesichert war. Jerry Schatzberg gehörte zu den zahlreichen Celebrity-Knipsern, die ihre Kameralinsen während dieser prägenden Jahre auf Anita ausrichteten. Er engagierte sie für Aufnahmen in seinem Studio an der Park Avenue South.

      „Sie gab sich sehr professionell“, erinnert sich Schatzberg heute. „Sie wusste, was sie tat – in jeder Hinsicht. Wenn sie zur Arbeit erschien, arbeitete sie auch. Sie war noch sehr jung, aber zugleich auch unabhängig. [Anita] wusste, was sie wollte und wie man das verwirklichte. Da gab es niemals irgendeinen Zweifel.“

      Während Anita still und nahezu unbemerkt in die Modewelt eintauchte, gab ihr Partner sich immer noch alle Mühe, einen bleibenden Eindruck in der Szene zu hinterlassen, zu der er so dringend gehören wollte. Seine wichtigste Gönnerin in der Stadt war die bodenständige Galerieinhaberin Ileana Sonnabend, die sich schon bei der Ausstellung „New Realists“ 1962 für Marios Arbeiten eingesetzt hatte und auch bei einigen hochkarätigen Shows in Paris und Rom. Die dominante, äußerst fokussierte Frau scheuchte Mario und Anita durch einige der angesagten Locations von New York, um Schifanos Bekanntheitsgrad zu erhöhen.

      Sonnabend fungierte auch als Puffer, indem sie ihrem Schützling einige snobistische Zudringlichkeiten vom Hals hielt. Privat hatten die beiden Neuankömmlinge nur ein kleines soziales Netzwerk; sie fanden aufrichtigere Freundschaften in der progressiv ausgerichteten Literatur-Community der Stadt.

      Die auf Straßen und in Gassen zu findenden Beatniks passten eher zu Marios und Anitas gefühlsbetonten Persönlichkeiten. Durch Freunde wie Frank O’Hara und Gerard Malanga erlebte Anita die rauere Seite der Stadt. Die unsichere und unvorhersehbare Umgebung New Yorks stellte kein Hindernis für Anitas aufblühende Weltsicht dar. Das Five Spot Café wurde ihr und Marios am häufigsten besuchter Zufluchtsort. Erst kürzlich war das angesagte Lokal zum 2 St Mark’s Place im East Village umgezogen. Bei ihren Besuchen im Club sah Anita Auftritte der Jazz-Legenden Charles Mingus und Thelonious Monk vor kleinem Publikum, während sie sich unter die kreativen Dichter Gregory Corso, Peter Orlovsky und Lawrence Ferlinghetti mischte. Weitere geistige Nahrung kam vom Schriftsteller Terry Southern


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