Wie ein Regenbogen. Simon Wells
einzufangen. Sie trug ein Kopftuch und hielt eine Zigarette in einer Hand. Anita gab sich entrückt und unbestimmt, ein Image, das ausdrückte, dass sie mit nur 19 Jahren ihre Umgebung mühelos kontrollierte. Obwohl es noch zwei Jahre dauerte, bis ihr einzigartiges Charisma erneut mit der Fotokamera erkundet wurde, schien ihr Potenzial – egal, welche Richtung sie einschlagen sollte – grenzenlos zu sein.
In ihrem Alter und bei ihrer Energie ergaben sich zu dieser Zeit zahlreiche Beziehungen, die aber typischerweise von flüchtiger Natur waren und lediglich einen Übergang darstellten. Eine kurze Liaison mit dem bekannten Fotografen Gianni Penati sollte ihren Status erhöhen. Als seine Geliebte und Begleiterin unternahm sie mehrere Überseereisen. Im Lauf des Jahres 1963 traf sie jedoch auf eine Persönlichkeit, die den wohl nachhaltigsten Eindruck in ihrem bisherigen Leben hinterlassen sollte.
Mit 29 war Mario Schifano gute acht Jahre älter als Anita, doch das Alter spielte bei einer Gemeinschaft niemals eine Rolle, bei der Talent und Einstellung zählten. Obwohl sich Schifano unter supercoolen Leuten wiederfand, war er mehr als nur ein Gesicht in der Menge. Der Künstler, der Kollagen anfertigte, malte, Filme machte und gelegentlich auch Musik, stellte die lebende Verkörperung der Grundhaltung der europäischen Postmoderne dar.
1934 in der libyschen Stadt Al-Chums geboren, entfloh Mario den Konventionen schon in einem jungen Alter bei jeder sich bietenden Möglichkeit. Nach dem Umzug nach Rom zeigte er, ähnlich wie Anita, ein eher beiläufiges Interesse an der Schulausbildung und verbrachte mehr Zeit mit seinem Vater, dem er bei der Keramikrestauration im Etruskischen Nationalmuseum assistierte. Später studierte er Bildrestauration und begann gleichzeitig mit der Kreation eigener Werke. Wagemutig, einfallsreich und provokant präsentierte Schifano eine aufsehenerregende Reihe von gelben Monochrom-Arbeiten. Die zuerst 1959 in der Appia Antica Gallery ausgestellte Sammlung wurde weithin beachtet. Obwohl er einen großzügigen, warmherzigen Charakter hatte, war Schifano völlig auf seine Karriere fixiert, wobei er sich kaum Zeit nahm, um sich mit Kritik oder Ratschlägen auseinanderzusetzen.
Zuerst lag seine künstlerische Daseinsberechtigung vornehmlich darin, sich provozierend dem Einfluss der steifen römischen Kunstakademie entgegenzustellen, doch dann verbreitete sich der Ruf seines außergewöhnlichen Talents in ganz Europa. Mit zunehmendem Selbstvertrauen nahm Schifanos multimedialer Kunstansatz einen größeren Raum in der Öffentlichkeit ein. Er interessierte sich besonders für die urbane Werbung und die Funktionalität von Straßenschildern und etablierte später einen seltenen europäischen Pop-Art-Ansatz.
Marios gutes Aussehen und sein geschmackvoller Kleidungsstil wurden von einer eher zurückhaltenden Präsenz unterstrichen, die seine Anziehungskraft zusätzlich erhöhte. Anita hatte bereits die Bekanntschaft der meisten Kunstkenner Italiens gemacht, doch Schifano begegnete sie erst 1963. Beide hatten an der Akademie studiert, doch trafen sich erstmalig außerhalb des „freigeistigen“ Caffè Rosati.
Anita erinnerte sich 2017: „Ein faszinierender Mann. Sehr schüchtern, mit einem Hauch des Unverschämten, doch allgemein ein sanftmütiger Charakter. Er trug immer ausgesuchte Kleidung, Hemden von den Brooks Brothers und seine Jacketts ließ er von Osvaldo Testa anfertigen, einem Halb-Amerikaner. Clarks-Desert-Boots, khakifarbene Hosen und sehr schmale Krawatten gehörten auch zu seinem Modestil. Schifano sah wie ein sensibler Mensch aus, hatte ein sehr zartes Gesicht, sehr süße Augen und ein beinahe kindliches Lächeln.“
Ihre Welten verschmolzen in vielerlei Hinsicht, wodurch eine feste Beziehung entstand, die Anita veranlasste, in Schifanos Apartment einzuziehen. Fotos des Pärchens aus dieser Zeit zeigen eine warmherzige Symbiose – Anita wirkte völlig vernarrt und Mario mehr als zufrieden, solch eine attraktive Geliebte an seiner Seite zu wissen. Gemäß seiner Lebensmaxime ermutigte er Anita, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, wurde ihr Mentor und half ihr dabei, ihre „Menagerie“ aus Träumen und Ambitionen zu verwirklichen. Durch ihre Lebenseinstellung zogen die beiden gemeinsame Freunde an.
Schifanos Kontaktliste erstreckte sich weit über die Grenzen Italiens, und er stellte Anita dem Kunsthändler Robert Fraser vor, einem in der Welt herumtingelnden Geschäftsmann, dessen Mobilität in der Kunstszene die der meisten zeitgenössischen Londoner bei Weitem überstieg. Der stolze, intuitive und in sexueller Hinsicht abenteuerlustige Eton-Abgänger und ehemalige Army-Angehörige hatte die von seiner Klasse diktierte Erwartungshaltung schon weit hinter sich gelassen. Seine Ablehnung der Konventionen grenzte schon an Abscheu, woraufhin er sich genüsslich in der Welt des Bizarren und Verbotenen herumtrieb. Dieser ungewöhnliche Charakterzug wurde später als „Gourmet-Promiskuität“ beschrieben.
Die Armee konnte Frasers Lust auf das Kuriose und Exotische keineswegs befriedigen (er beschrieb diese Lebensphase als „13 Monate quälender Langeweile“), doch ein Geschenk seiner Mutter von über 10.000 Pfund ermöglichte es ihm, sich der Kunstwelt zu nähern. Er versuchte sein Glück mit einigen New Yorker Galerien und führte Beziehungen mit Ellsworth Kelly und Jim Dine. Fraser legte mehr als einen Finger auf den Puls der Zeit. Während einer seiner regelmäßigen Europareisen erfuhr er von Mario Schifanos aufgehendem Stern und erhob den Künstler in seinen Freundeskreis. Da sich Mario von Frasers Blick für das Schräge und Ungewöhnliche beeindruckt zeigte, entstand schnell eine tiefe Verbundenheit. Daher überrascht es auch nicht, dass Anita bald in Frasers Zirkel auftauchte.
„Ich lernte Robert durch Mario kennen“, erinnerte sich Pallenberg 1999 gegenüber der Autorin Harriet Vyner. „Er sprach ständig über die Künstler der Pop-Art. In Rom gab es einige Galerien, und Mario meinte scherzhaft, dass Robert der Einzige war, der dorthin ging und sich die Bilder ansah.“
1962 eröffnete Fraser eine Galerie an der Duke Street 69 in London, die seinen eigenen Namen trug. Innerhalb des verstaubten und traditionalistischen Mayfair war sie eine sprichwörtliche „Landmine“ und entwickelte sich zu einer Art Leitstern für das Schräge, Außergewöhnliche und Ungewöhnliche. Schon nach kurzer Zeit stellten dort unter anderen Richard Hamilton, Bridget Riley, Peter Blake und Eduardo Paolozzi regelmäßig aus, während ein begehrter Abschnitt der Räumlichkeiten den Ikonen aus Übersee vorbehalten blieb wie zum Beispiel Andy Warhol und Jean Dubuffet.
Von Fraser eingeladen, ihn auf heimischem Terrain zu besuchen, nahm Mario Anita mit in die Metropole, noch bevor sie sich in das „Swinging London“ verwandelte. Wie sich Anita später erinnerte, begann die Pilgerreise in Frazers Welt mit einer Mahlzeit in dem protzigen französischen Restaurant Chez Victor im Londoner Westend. Bei diesem frühen Gipfeltreffen aufeinanderprallender Kreise waren einige Persönlichkeiten anwesend, die Eingang in Anitas sich ständig füllendes Notizbuch fanden: der Designer und ihr zukünftiger Model-Agent Christopher Gibbs und der Aristokrat Mark Palmer. Frasers Modegeschmack war so wundersam wie seine Kunstauffassung. Anita erzählte, dass er bei dem Treffen einen aquamarinfarbenen Anzug trug, der den Anwesenden die Tränen in die Augen trieb.
Durch die Bekanntschaft mit Gibbs und Fraser hingen Mario und Anita mit Londons aufblühender, cooler Aristokratie ab. Sie verbrachten ihre Zeit im Haus von Lord Harlech (David Ormsby-Gore) im Stadtteil Chelsea, wo sie seinen Kindern Jane, Julian sowie Victoria Ormsby-Gore begegneten. Die Teenager tauschten während des erstes Aufkommens der Beatlemania mit den Gästen Informationen über die neuen Bands aus, die Europa eroberten.
Trotz des stetig ansteigenden Erfolgs auf dem Kontinent träumte Mario davon, auch in New York Fuß zu fassen, denn 1963 war die Stadt das Epizentrum der modernsten Kunst und meilenweit von den erstickenden Beschränkungen Roms entfernt.
Ein Jahr zuvor waren Schifanos Arbeiten Teil der „New Realists“-Ausstellung in der Sidney Janis Gallery in New York gewesen. Zwei seiner Bilder hingen neben Werken von Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Jim Dine. Schifanos gefühlsbetonte Präsentation schlug bei der gefeierten Zusammenkunft hohe Wellen, woraufhin ein Kritiker schrieb, dass der Italiener „die Party im Sturm genommen hat“. Da sein Name nun im Big Apple die Runde machte, war die Anziehungskraft New Yorks für ihn überaus stark.
„Er redete ständig von Rauschenberg und Jasper Johns“, beschrieb Anita den überwältigenden Einfluss, den die beiden Künstler auf Mario hatten. „Amerika war wie ein Traum, eine andere Welt. Eines Tages sagte ich zu ihm: ‚Ich habe einen Cousin, der in New York lebt, und auch einen Onkel, dem ein Reisebüro gehört.‘ Er verschaffte