Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells


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drängelte sich Rej zur Garderobe durch, wo sich die Band auf ihre zweite Show vorbereitete.

      „Ich machte mich vom Auditorium zum Backstage-Bereich auf“, erinnert sich Rej. „Da kam ein Mädchen auf mich zu und bat mich, sie mit den Stones bekannt zu machen. Sie war sehr hübsch und ich zögerte nicht – es war ja Teil meines Jobs. Ihr Name lautete Anita Pallenberg.“ Mithilfe von Rejs Journalisten-Status gelangte Anita in die Garderobe der Band. Sie hatte es darauf angelegt, die Musiker zu beeindrucken, und stellte an diesem Tag das Sinnbild der verführerischen Eleganz dar. Anita trug einen beigen Pelzmantel, einen knallengen Pullover und einen modischen Minirock. Das atemberaubende Erscheinungsbild wurde von dunkelster Wimperntusche verstärkt. Ihre Präsenz – für diejenigen, die sich von der Optik überzeugen ließen – wurde noch durch ein packendes Mitbringsel verstärkt. Sie trug einen Klumpen Haschisch bei sich und einige der aufputschenden Amylnitrit-Poppers.

      Die Stones waren bei dem ersten Auftritt mit einer alle Grenzen sprengenden Hysterie empfangen worden, doch in der Garderobe herrschte eine eher bedrückte Stimmung. Man hatte die Band in einen abgelegenen Teil der Räumlichkeiten verfrachtet, der eigentlich für Bierfeste, Zirkusdarsteller und -tiere vorgesehen war. Dort einige Stunden auf den nächsten Auftritt zu warten, stellte sicherlich keine große Freude dar. Pallenbergs Erscheinungsbild und das gebrochene Englisch, gespickt mit Akzenten mehrerer Sprachen, wurde vermutlich mit Interesse, wenn nicht sogar hochgezogenen Augenbrauen honoriert. Zwar war ihr Jones schon früher in dem Jahr begegnet, doch es war höchst unwahrscheinlich, dass einer der anderen Musiker, übersättigt von Celebritys überall auf der Welt, sie kannte – trotz der Veröffentlichungen in zahlreichen Modemagazinen. Angeblich gab es keine anderen weiblichen Besucher, woraufhin Anita den Raum durchstreifte, um das Gesehene schnell einzuschätzen.

      „Die waren wie Schuljungen“, berichtete sie später. „Sie sahen mich an, als sei ich eine Bedrohung. [Mick] Jagger versuchte mich runterzuputzen, doch ich ließ es nicht zu, dass mich ein ruppiger Typ mit dicken Lippen fertigmachte. Ich konnte ihn leicht abwürgen und fand schnell heraus, dass Mick in sich zusammenfällt, wenn man ihm die Stirn bietet.“

      Anita bot Mick und Keith ihren narkotischen Warenbestand an und behauptete seitdem, dass die Dogen schlichtweg abgelehnt wurden. Sie fühlte sich durch diese Ablehnung wie vor den Kopf gestoßen und gesellte sich zu Brian. Allerdings existieren keine Berichte darüber, dass einer von ihnen sich an die Pariser Begegnung erinnerte (oder sie angesprochen hätte).

      Jones fläzte sich auf einem Sofa im Backstage-Bereich und wirkte distanziert von den anderen. Das Haar ließ ihn wie das Abbild einer blonden Gottheit erscheinen, er trug einen weißen Rollkragenpullover sowie weiße Jeans und saß breitbeinig auf dem Möbel. Sogar ohne Socken war er das am modischsten gekleidete Mitglied der Gruppe. Anitas blondes Haar, die langen Beine und die elegante Haltung bezauberten ihn, doch war es vor allem ihre furchtlose Präsenz, die seine Aufmerksamkeit erregte.

      Einigen Berichten nach (darunter auch die Aussage des Fotografen Bent Rej) war es Jones, der Anita buchstäblich auserwählte, indem er sie auf Deutsch ansprach: „Ich weiß nicht, wer du bist, aber ich brauche dich.“ Andere – darunter auch Pallenberg selbst – behaupten hingegen, dass sie es war, von der die Initiative ausging.

      „Ich ging direkt auf Brian zu, denn er war derjenige, auf den ich stand“, erzählte sie später. „Brian konnte sich gut ausdrücken, sprach leise und war auch des Deutschen mächtig. Er packte mich durch die Art, wie er sich bewegte, durch seine Haare und die sanfte Art. Wenn er redete, forderte er deine ganze Aufmerksamkeit. Er war sensibel, aufgekratzt, seiner Zeit weit voraus und auch in einer anderen Zeit verwurzelt – der Dandy, mit all seiner Kleidung und so weiter!“

      Wer auch immer den ersten Zug machte – zwischen den beiden entwickelte sich an diesem Abend eine ungewöhnliche, aufsehenerregende Beziehung. Jones, der eine Fülle von schnell aufeinander folgenden desaströsen, unerfüllten Beziehungen hinter sich hatte, entdeckte bei Anita die gleiche Abenteuerlust, die auch er verspürte.

      „Brian war ungewöhnlich“, berichtete Anita der Mail On Sunday 2006. „Er war launisch und körperlich attraktiv. Auf irgendeine witzige Art sah er wie ein Mädchen aus. In sexueller Hinsicht stehe ich auf Frauen und Männer, und er hatte diese wunderbare Uneindeutigkeit. Die anderen Stones wirkten – wie soll ich es am besten ausdrücken? – ängstlich, doch Brian war bereit, fremde Orte zu erkunden. Er war die Ausnahme; die anderen Stones waren zu der Zeit einfach nur Vorstadt-Normalos.“

      Bent Rej, in dessen Begleitung Anita bis zur Band hatte vordringen können, war Zeuge der Begegnung und fing diesen Moment mit einer Menge Fotos ein. Bei näherer Betrachtung der entstandenen Bilder fällt die außergewöhnliche Ähnlichkeit zwischen den beiden auf. Jones’ erweiterte Pupillen sind kaum sichtbar, da die blonden Haare bis über die Augenbrauen hängen, während Pallenberg – die man auf einem Foto mit einer Packung Zigaretten sieht – wie sein sprichwörtliches Spiegelbild erscheint. Anita und Brians für die Zukunft wichtiges Gespräch kam zu einem abrupten Ende, da man die Stones für die zweite Show des Abends auf die Bühne zurückrief. Pallenberg kehrte daraufhin zu ihrem Stuhl im Publikumsbereich zurück. Dort erlebte sie erneut Jones’ schwelendes Enigma, obwohl er sich immer einige Schritte hinter der Frontline von Jagger/Richards bewegte. Schon damals machte sie sich für Brian stark: „Brian stand so weit hinter ihnen, dass man es kaum glauben konnte. Da waren sie – Mick und Keith ganz vorne, bei den ersten Gehversuchen, ein Sexobjekt zu werden, wohingegen Brian schon einige uneheliche Kinder hatte!“

      Nach der Performance der Stones, die damit endete, dass die Polizei das Publikum mit Schlagstöcken und Hunden aus dem Raum trieb, ging Anita wieder in den Backstage-Bereich. „Ich fragte ihn, ob er Lust hätte zu kiffen, und er antwortete: ‚Klar, lass uns einen Joint durchziehen.‘ Und dann meinte er: ‚Komm mit mir ins Hotel.‘ Er regte sich über Mick und Keith auf … erzählte, dass sie sich gegen ihn verschworen hatten … Er war so verletzlich. Brian hatte alle gegen sich. Er tat mir so leid … Ich hielt ihn die ganze Nacht in den Armen, während er weinte.“

      Am nächsten Tag folgte Anita dem Stones-Tross nach Westberlin und hängte sich wieder an Jones. Wie sie später berichtete, sagte sie unmittelbar nach der Münchner Episode alle deutschen Model-Jobs ab und bat Catherine Harlé, ihr so schnell wie möglich Aufträge in London zu verschaffen. Aus den Legenden über den Rock’n’Roll (und den Film Spinal Tap) lässt sich entnehmen, dass eine weibliche Anwesenheit in der eindeutig maskulinen Umgebung einer tourenden Band mindestens eine „Herausforderung“ darstellt, wenn nicht sogar weitaus mehr. Anitas Ankunft auf dem Planeten Stones stellte keine Ausnahme von dieser Regel dar, gerade weil sie sich von bürgerlichen Konventionen nicht beeindrucken ließ.

      „Ich entschied mich, Brian zu entführen“, erzählte Anita später. „Es klingt wirklich albern, doch daraus wurde sogar ein Film gemacht [Zwischen Beat und Bett, 1968, mit Donald Cammell als Ko-Autor], also über die Entführung eines Popstars. Brian schien der sexuell flexibelste Stone zu sein, ich wusste aber auch, dass ich mit ihm reden konnte. Tatsächlich war ich aber zuerst sein ­Groupie – wirklich!“

      Anitas längere Anwesenheit sollte – und das wird wohl niemanden überraschen – die bereits gegenüber Brian bestehenden Animositäten der Band verstärken und die anderen provozieren. Der aufgrund seiner unabhängigen Einstellung und seines so wesentlich anderen Charakters oftmals von den Stones ausgeschlossene Musiker hatte nun eine mächtige Fürsprecherin an seiner Seite. Von Anfang an spiegelte das Paar die Persönlichkeit des jeweils anderen wider. Sie teilten und zeigten eine Arroganz, die gelegentlich in dunkle Wege mündete. Da Jones’ Status als Bandgründer nur noch eine schwache und wenig überzeugende Daseinsberechtigung bei den Stones ausmachte, „packte“ sich Anita die kultiviertere Seite von Brian und verstärkte sie.

      Anitas Unterstützung bedeutete für Jones einen riesigen Triumph über Micks und Keiths Dominanz, eine Parteinahme, die in diesem Schurkendrama eine seltene Ausnahme darstellte. Über Jones’ emotionalen Ballast aus der Vergangenheit mochten seine Bandkollegen mal verzweifeln, mal gemeine Witze reißen, doch mit Anita hatte er einen echten „Fang“ gemacht.

      „Ich fand auf jeden Fall, dass Brian sehr viel Glück gehabt hatte“, erzählte Richards später. „Als ich Anita das erste Mal sah,


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