Wie ein Regenbogen. Simon Wells
voller Zweifel steckte.“
Die Allianz zwischen Jones und Pallenberg stellte geradezu einen Schock für diejenigen dar, die Brians kurze Aufmerksamkeitsspanne hinsichtlich Beziehungen kannten. Anitas Intelligenz und ihr kraftvoller Feminismus erhoben sie über die Menge der unterwürfigen Frauen, die so häufig an den Rockschößen der Band hingen.
„Für mich war sie ein Rätsel“, berichtet der Fotograf Gered Mankowitz. „Wenn sie dich nicht dabei haben wollte – egal, was gerade abging –, zeigte sie es dir auch deutlich. Sie hatte ein einzigartiges, sehr vereinnahmendes und überaus sexuelles Charisma. Man kann sie als beängstigenden, manchmal ungeheuerlichen Charakter beschreiben. Sie konnte sehr cliquenhaft sein. Sie und Brian führten eine Beziehung, bei der sie sich abschotteten und zusammenhingen. Sie waren von allem um sie herum abgeschnitten.“
„[Anita] war extrem offen und unverblümt“, erklärte Marianne Faithfulls früherer Ehegatte John Dunbar. „Sie konnte dich aufziehen, aber auch ein ‚harter Kerl‘ sein. Wenn Leute sie auf irgendeine Art verarschen wollten, machten sie denen das Leben zur Hölle.“
Erzählungen nach warnte Jagger – der Anitas Ankunft als eine echte Herausforderung empfand – die Leute in seinem engen Umfeld vor einem näheren Kontakt mit ihr. Das änderte nichts daran, dass Jaggers damalige Freundin Chrissie Shrimpton Anita als eine ehrliche und gradlinige Person einschätzte. „[Sie] war sich ihres Einflusses bewusst, aber auch sehr mitfühlend“, berichtete Shrimpton dem Autor Victor Bockris. „Im Gegensatz zu den anderen Mädchen, die mir meinen Platz streitig machten, bemerkte ich bei Anita niemals so eine Tendenz. Vielleicht war sie manchmal boshaft, doch sie hatte auch viel Macht. Sie setzte ihre Macht aber niemals für bösartige Aktionen ein, was ich sehr an ihr schätzte. [Anita] war schräg, freaky und auch stark, aber ihre Gefühle waren immer echt.“
Obwohl sich Marianne Faithfull damals eher im Dunstkreis der Band aufhielt, bemerkte sie, dass Anita größtenteils dafür verantwortlich war, dass die Stones [im Rahmen der Psychedelic-Ära] ein Renaissance-Image aufbauten und eine andere Grundhaltung einnahmen. 1994 schrieb sie: „Das Bündnis von Anita mit Brian ist zugleich die Geschichte, wie aus den Stones die Stones wurden. Sie war eine der maßgeblich Verantwortlichen für die kulturelle Revolution in London, indem sie die Stones mit den wohlhabenderen Jugendlichen zusammenbrachte.“
Brian Jones’ oftmals ungehaltene und egomanische Präsenz befremdete zahlreiche Menschen, doch im Einklang mit Anita hielt die Kombination ihrer Charaktere den Kritikern stand. Durch den Energieschub, den die Beziehung ihm gab, nahm Brians Selbstvertrauen exponentiell zu.
„Ich empfinde Brians und Anitas Beziehung als höchst faszinierend“, erklärte Paul Trynka, Autor der besten und alles überragenden Jones-Biografie Sympathy For The Devil: Die Geburt der Rolling Stones und der Tod von Brian Jones. „Ich glaube, dass es für Brian eine bewusste Entscheidung war, eine Art Verdoppeln-oder-Beenden-Wette, denn er wusste, dass sie ein grandioses Team würden. Ein Teil von ihm liebte das Chaos, das Alles-oder-Nichts, alles in Aufruhr zu versetzen. Er wusste, dass Anita und er zusammen etwas Energiereiches freisetzten. Die beiden waren das ultimative Power-Paar, immer an vorderster Front, und Anita war nun mal 50 Prozent der Beziehung.“
„Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wann ich Anita das erste Mal traf“, erzählte der Stones-Manager Andrew Oldham dem Autor 2018, „doch ich spürte eine Kraft, eine Energie, die nicht nur Brian (und später Keith) berührte, sondern den gesamten Weg der Rolling Stones beeinflusste. Ich wollte diese Stärke nicht näher ergründen, es war mir schlichtweg egal, doch ich wusste, dass Anita zu den Hauptautorinnen der kommenden Kapitel der [Stones-Geschichte] zählen würde“.
Dank der Beziehung mit Brian (und der Tatsache, dass ihre Anwesenheit bei der Presse bislang größtenteils unbemerkt blieb) fand Anita genügend Freiräume, um eine Party in angesehener Gesellschaft steigen zu lassen. Ready Steady Go!, die heiße TV-Show mit den energiegeladenen Auftritten, gehörte zu einer der Gelegenheiten, bei denen sie mit einem eingeladenen Publikum das Tanzparkett „polierte“. Am 29. Oktober 1965 waren die Stones der Hauptact, doch auch The Animals traten auf, The Searchers und Chris Farlowe. Trotz der erhofften Anonymität war ein Fotograf von der Paris Match bei der Übertragung anwesend, der eine Reihe von Aufnahmen von der ekstatisch tanzenden Anita schoss. Aufgekratzt, grell und unbekümmert dominiert Anita die Menge der Gäste, die eine Party vortäuschen.
Ein weiterer kurzer Augenblick von Anita im Party-Modus in der damaligen Zeit wird in der Rediffusion-Doku Go, Go, Go, Said The Bird festgehalten, einer der scheinbar endlos vielen Filme, die versuchen, das Swinging-London-Phänomen zu erklären. Während des Programms wird Anitas Präsenz in London erstmalig von einer Filmkamera eingefangen.
Einige Personen lernten sie damals näher kennen wie der Musikverleger Tony King, der 2005 dem Autor Andy Neill berichtet: „In konventioneller Hinsicht war Anita nicht schön, doch sie raubte einem den Atem. Ich begegnete ihr zuerst [1965] mit Andrew [Oldham] und [seiner Frau] Sheila im Scotch Of St James. Später traf ich sie im Chez Castel, wo sie zu mir rüberkam und sich vorstellte. Sie erzählte mir, dass sie mit Brian ging. Sie und Brian waren ein fantastisch aussehendes Paar.“
Trotz des vollen Terminplans verbrachten die beiden so viel Zeit wie möglich zusammen. Die räumliche Entfernung stellte niemals ein Hindernis dar, denn ihre Leidenschaft war offenkundig. Bei einem Job in Paris Ende 1965 traf Anita wieder Deborah Dixon und Donald Cammell. Während des Aufenthalts in Montparnasse sah sie Donalds Bruder David (späterer Produzent von Performance). Donald hatte schon überschwänglich über das bevorstehende Treffen gesprochen, und David zeigte sich tief beeindruckt, als er sie das erste Mal sah.
„Ich wohnte bei meinem Bruder und Deborah in ihrem Studio“, erinnert sich David Cammell heute. „Anita hielt sich da auf und wollte nach London reisen. Ich war mit meinem Lotus Elan in Marokko gewesen und sie fragte: ‚Kannst du mich mit nach London nehmen?‘ Ich antwortete: ‚Klar.‘ Ich hatte in Marokko ein wunderschönes Tongefäß erstanden. Da der Lotus ein Zweisitzer war, musste ich nun eine Entscheidung treffen. Ich opferte also das Gefäß und Anita nahm den Platz ein. Sie setzte sich rein und schon ging es los.“
Cammell, der wie ein Wahnsinniger durch die ländlichen Regionen Frankreichs fuhr, um die Fähre rechtzeitig zu erreichen, zeigte sich von Anitas Intellekt und ihrem enzyklopädischen Wissen beeindruckt.
„Das war außergewöhnlich“, berichtet er. „Sie konnte jedes Thema mit einer langen Ausführung beantworten. Als ich sie mit nach London nahm, dachte ich, dass eine gemeinsame Nacht ganz schön sein könne! Dann hielten wir beim Scotch Of St James, und ich erfuhr, dass sie dort mit Brian Jones verabredet war.“
Als die US-Tour 1965 kurz unterbrochen wurde, kam Anita auf die Idee, in die Staaten zu fliegen, um mit Brian einen Kurzurlaub in Miami einzulegen. Doch wenige Tage vor dem Termin musste ihre Arbeitserlaubnis für Großbritannien erneuert werden. Sie brach ihre Arbeit in London ab und flog direkt nach Paris, um möglichen Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Von Frankreich aus telefonierte sie täglich mit Brian, bevor sie endlich einen Flieger nach Florida bestieg.
„Soweit ich mich erinnere“, erzählte Anita, „zahlte ich mein Ticket selbst, holte sie ein, aß mit den Roadies und dann ging’s direkt ins Hotel. Das war damals so – nichts organisiert. Auch die Pässe und dieser ganze Mist. Das waren noch die Zeiten, in denen sie ein Hotelzimmer total verwüsteten – voll auf Adrenalin, das beim Verlassen der Bühne immer noch in ihnen pulsierte.“
Besessene Fans fanden schnell heraus, dass Anita mehr war als nur das obligatorische Groupie. Der daraus entstehende Frust und die Eifersucht richtete sich oft gegen sie. „Das war sehr beängstigend“, erläuterte sie in dem Buch The Early Stones von Michael Cooper und Terry Southern. „Die haben mir die Klamotten zerrissen, mich ständig zu Boden gestoßen – mich getreten, mich hingeworfen, damit ich ihnen nicht im Weg stand. Totaler Neid und Misshandlung, verbal und körperlich.“
Doch Gefahr und Gewalt ging nicht nur von den Fans aus. Es war Anitas erste Fahrt in der Achterbahn des Tourlebens, die gemeinsame Zeit mit Brian wurde oft unterbrochen und gelegentlich gab es aufsehenerregende Vorkommnisse. Ronnie Schneider, der Tourmanager während der Konzertreise, war Zeuge