Dr. Norden Extra Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Schwester Beate hatte Nachtdienst auf der Station, und Jenny konnte sich jetzt mal um André Riedmann kümmern. Er schlief im Ärztezimmer und sah erschöpft aus. Bläulich schimmerten seine Lider. Er war ein interessanter Mann, und sicher hätte er auch eine bessere Frau verdient gehabt. Aber vielleicht ging man in diesem Beruf doch an jenen Frauen vorbei, deren Werte man nicht gleich erkennen konnte und ließ sich leicht von Äußerlichkeiten bestechen.
Riedmann war achtunddreißig, aber jetzt sah er älter aus. Seine Schläfenhaare waren schon ergraut, aber sonst war sein Haar schwarz. Er war ein leicht südländischer Typ, und über mangelndes weibliches Interesse hatte er sich nie beklagen können. Warum war er ausgerechnet an Tessa hängengeblieben, die eigentlich nur hübsch und eitel war?
Ja, das fragte man sich manches Mal, wenn man eine Ehe kennenlernte, in der nichts mehr stimmte.
Zur Ehe gehörte eben auch, daß man sich aufeinander einspielte. Liebe mußte immer wieder aufs Neue gepflegt und unter Beweis gestellt werden. Das Herumturteln in guten Stunden konnte schnell vorbei sein, wenn das Fundament des Vertrauens nicht vorhanden war.
Plötzlich schlug André die Augen auf und richtete sich erregt auf. »Ist etwas mit Benny?« fragte er heiser.
»Es geht schon ein bißchen besser, aber Sie sollten jetzt auch an sich denken, Herr Riedmann«, sagte Jenny.
»Ich bin doch nicht so wichtig!«
»O doch! Was soll denn Ihr kleiner Sohn mit einem kranken Vater? Benjamin wird noch einige Zeit brauchen, bis er wieder auf den Beinen ist. Deshalb sollten Sie sich jetzt gefallen lassen, daß auch etwas für Ihre Gesundheit getan wird.«
»Na schön, wie Sie meinen.« Er war ganz sanft und nachgiebig, so kannten ihn wenige. Er hielt auch nicht die Schwestern in Atem, wie man befürchtet hatte. Er saß still am Bett seines Kindes, mit gefalteten Händen und ganz in sich versunken, als wollte er beschwören, was er so heiß wünschte… nämlich, daß Benny bald die Augen aufschlagen würde.
Sein Wunsch ging in Erfüllung, als die Morgenvisite zu Ende war. Er hatte währenddessen seine Sekretärin angerufen und ihr gesagt, daß man an diesem Tag ohne ihn auskommen müsse.
An Anja Koenigs Stimme war zu hören, wie erschrocken sie war.
»Kam es so plötzlich, André?« fragte sie teilnahmsvoll.
Sie kannten sich schon vier Jahre. Sie duzten sich, wie alle, die zu seinem Team gehörten. Sie zogen ja alle an einem Strang, und eigentlich war Anja mehr Managerin als Sekretärin. Außerdem war sie ein guter Kumpel, wie alle immer wieder versicherten.
»Ich bin zum Glück früher heimgekommen, Tessa war mal wieder unterwegs. Ich muß jetzt bei Benny bleiben, bis er aufwacht. Später komme ich dann vielleicht mal, um alles zu besprechen.«
»Ich verstehe dich ja, André, aber ich möchte dich auch daran erinnern, wieviel für die anderen von der Produktion abhängt. Die Termine müssen eingehalten werden.«
»Ja, ich weiß, ich denke auch schon wieder klarer, da die Operation gelungen ist. Alles andere später, Anja. Ich kann mich doch auf dich verlassen? Notfalls kannst du mich ja auch vertreten.«
»Du traust mir viel zu«, sagte sie, und damit war das Gespräch beendet.
Ja, er traute ihr viel zu. Er kannte keine andere Frau, die so vielseitig und kreativ war. Durch sie war es ihm erst richtig bewußt geworden, wie hohl und oberflächlich Tessa war.
Er war glücklich und erleichtert, als Jenny Behnisch kam und sagte, daß es Benjamin schon viel besser gehe. Die größte Gefahr sei gebannt.
Und dann schlug der Kleine tatsächlich bald die Augen auf, große dunkle Augen, wie auch sein Vater sie hatte.
»Mein Butzerl«, sagte André zärtlich, »du hast mir einen schönen Schrecken eingejagt.«
»Kann doch nichts dafür, Daddy.« Kläglich klang sein Stimmchen, trocken und rauh. »Es hat doch keiner geglaubt, daß es mir weh tut. Und wo bin ich jetzt?«
»In der Klinik, und du bist gleich operiert worden, als ich dich hergebracht habe. Es war der böse Blinddarm.«
»Ich bin noch so müde«, murmelte Benjamin. »Bleibst du bei mir, Daddy?«
»Ich muß nur mal kurz weg, komme aber bald wieder. Aber es werden sehr nette Ärzte und Schwestern auf dich achtgeben. Du bist nicht allein, mein Schatz.«
»Tessa braucht nun aber auch nicht mehr zu kommen«, murmelte Benjamin. Er hatte nie Mama gesagt, gleich Tessa, und das auch erst, als er schon fast drei Jahre war, obgleich er sonst schon einen beträchtlichen Wortschatz gehabt hatte. Anfangs hatte er immer ›du da‹ gesagt, wenn er Tessa meinte. Sie hatte sich stets wenig um ihn gekümmert. Für Nebenrollen hatte man sie immer geholt, und so war Benjamin den Kindermädchen überlassen worden, die aber ständig wechselten, weil keine mit Tessa auskommen konnte… und auch nicht mit der Haushälterin Frau Schober, die Tessa alles recht machte und die gutbezahlte Stellung auch behalten wollte. Jetzt ahnte sie allerdings noch nicht, daß diese gute Zeit für sie bald vorbei sein würde.
Benjamin war wieder eingeschlafen, und André machte sich auf den Weg zum Studio.
Anja atmete auf, als er erschien. Sie war eine aparte Frau, aber sie wirkte vor allem durch ihre Ausstrahlung. Lebhafte graublaue Augen blitzten in einem schmalen, etwas herb wirkenden Gesicht. Aber die Strenge wurde durch den schöngeschwungenen, weichen Mund gemildert, der gern lächelte.
Zuerst erkundigte sie sich nach Benjamin, und ihr Gesicht hellte sich auf, als André sagte, daß das Schlimmste wohl überstanden sei. Über Tessa wollte er nicht viel reden. Er sagte nur, daß er jetzt endgültig mit ihr fertig sei.
Anja schaute ein bißchen skeptisch drein, denn sie kannte Tessa zur Genüge, aber sie sagte nichts. Die Arbeit war jetzt wichtiger.
*
Cordula dachte zu dieser Zeit an ihren Sohn, und sie verspürte einen stechenden Schmerz im Herzen. Drei Monate lag sie hier nun schon in der Klinik, und drei Monate waren für ein Kind eine Ewigkeit. Ob der Kleine überhaupt noch an sie dachte? Sie konnte sich vorstellen, daß Joana alles tat, um die Erinnerung an die Mutter in Ulrich auszulöschen, und Joana hatte wahrscheinlich auch gehofft, daß sie, Cordula, sterben würde.
Es tat weh, das zu denken, aber sie kannte Joana zu gut. Sie wußte, wie neidisch und intrigant ihre Halbschwester war.
Ich muß schneller gesund werden, dachte Cordula, ich muß etwas unternehmen, damit das Kind in eine andere Umgebung kommt. Ich muß Constantin sprechen, er wird mir helfen.
Constantin! Ein weiches Lächeln legte sich um ihren Mund. Warum hatte er ihr nicht früher gezeigt, daß er sie liebte? Und warum hatte sie nicht früher begriffen, was er ihr bedeutete? Er war so selbstverständlich in ihrem Leben gewesen, immer gegenwärtig, wenn sie ihn brauchte. Ihr bester Freund und Berater in allen Lebenslagen, zuverlässig und selbstlos. Zu selbstlos, wie ihr jetzt bewußt geworden war, denn nie hatte er ihrer Karriere im Weg stehen wollen.
Cordula sprach vor sich hin, so, wie sie es von früher gewöhnt war, wenn sie Sprechübungen machte. Sie lauschte auf ihre Stimme, die fremd und heiser klang. Ihre Kehle tat weh.
Sie drückte auf die Klingel und sofort kam Dr. Jenny Behnisch.
»Ich habe Durst«, sagte Cordula mühsam, »hier tut alles weh.« Sie deutete auf ihren Hals.
»Wir haben schon einen Spezialisten angerufen, Frau Bürgner. Er wird heute nachmittag kommen. Es ist Professor Eckert. Jetzt wird Ihnen Schwester Beate etwas zu trinken bringen. Aber bitte… kleine Schlucke. Sie bekommen dann wieder eine Infusion.«
»Aber ich will nicht schlafen, ich habe jetzt so viel zu denken«, murmelte sie. »Ich will meinen Sohn sehen!«
Jenny war es beklommen zumute. Wie sollte man es ihr beibringen, daß ihre Schwester mit dem Jungen verreist war? Würde das nicht einen gewaltigen Rückschlag in ihrem Befinden geben?
Ihr