Der schöne Sommer. Cesare Pavese

Der schöne Sommer - Cesare Pavese


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– »Dummkopf.« – »Also tanzen wir.« – »Nein, ich habe Angst.« Nach der halben Runde hörte Ginia den Jungen rufen: »Du ungezogene Göre, eine Hexe bist du, hau ab und verschwinde. Geh doch zurück in die Fabrik!« Da lachte Rosa und brachte auch alle anderen zum Lachen, aber Ginia dachte im Weitertanzen, dass es wirklich die Fabrik war, die ein Mädchen so herunterkommen ließ. Übrigens brauchte man ja nur die Mechaniker anzusehen, die eine Bekanntschaft auch immer mit solchen Scherzen begannen.

      War einer von ihnen mit von der Partie, konnte man sicher sein, dass noch vor dem Dunkelwerden ein Mädchen wütend wurde oder, wenn sie dümmer war, weinte. Sie trieben genau solche Späße wie Rosa. Immer wollten sie die Mädchen mit in die Wiesen nehmen. Man konnte sich nicht mit ihnen unterhalten, sondern musste gleich auf der Hut sein. Aber schön war, dass dann an manchen Abenden gesungen wurde, und sie sangen gut, vor allem wenn Ferruccio mit der Gitarre kam, ein großer Blonder, der ständig arbeitslos war, aber noch ganz schwarze, rissige Finger hatte von der Kohle. Es schien unmöglich, dass diese groben Hände so geschickt waren, und Ginia, die sie einmal unter der Achsel gespürt hatte, als sie alle gemeinsam von den Hügeln zurückkehrten, achtete darauf, sie nicht anzusehen, während sie spielten. Rosa hatte ihr gesagt, dass sich dieser Ferruccio zwei- oder dreimal nach ihr erkundigt habe, und Ginia hatte geantwortet: »Sag ihm, er soll sich zuerst die Fingernägel sauber machen.« Beim nächsten Mal erwartete sie, dass Ferruccio lachen würde, aber er hatte sie keines Blickes gewürdigt.

      Doch dann kam der Tag, an dem Ginia aus dem Schneideratelier trat und sich noch mit beiden Händen den Hut zurechtrückte, als Rosa unvermutet am Haustor auf sie zusprang. »Was ist los?« – »Ich bin aus der Fabrik fortgelaufen.« Gemeinsam gingen sie den Bürgersteig entlang bis zur Straßenbahn, aber Rosa blieb stumm. Ginia war verärgert und wusste nicht, was sie sagen sollte. Erst als sie in der Nähe ihres Hauses aus der Straßenbahn stiegen, murmelte Rosa leise, dass sie Angst habe, schwanger zu sein. Ginia nannte sie ein dummes Ding, und sie stritten sich an der Ecke. Dann ging die Sache vorüber, denn Rosa hatte sich nur vor Schreck in diesem Zustand geglaubt, aber unterdessen war Ginia aufgeregter als sie, weil sie sich vorkam, als habe man sie betrogen und wie ein Kind behandelt, während die anderen sich amüsierten, und noch dazu Rosa, die kein bisschen Ehrgeiz hatte. »Ich bin mehr wert«, sagte Ginia, »mit sechzehn ist es noch zu früh. Selber schuld, wenn sie sich so wegwerfen will.« Das sagte sie, aber sie konnte nicht ohne Demütigung daran zurückdenken, denn die Vorstellung, dass die anderen Mädchen alle schon in den Wiesen gewesen waren, ohne es je zu erwähnen, während ihr, die allein lebte, die Hand eines Mannes noch Herzklopfen verursachte, diese Vorstellung nahm ihr den Atem. »Warum bist du an dem Tag zu mir gekommen, um es mir zu sagen?«, fragte sie Rosa eines Nachmittags, während sie zusammen aus dem Haus gingen. »Wem hätte ich es denn sonst sagen sollen?« – »Warum hast du mir vorher nie was gesagt?« Rosa, die jetzt beruhigt war, lachte. »Wenn man nichts sagt, ist es schöner. Es bringt Unglück, darüber zu reden.« Ginia dachte: »Sie ist ein dummes Ding. Jetzt lacht sie, aber vorher wollte sie sich umbringen. Sie ist noch gar keine Frau, das ist es.« Auch wenn sie allein durch die Straßen ging, dachte sie nun oft, sie seien alle zu jung und man müsste sofort zwanzig sein, um zu wissen, wie man sich verhalten solle.

      Einen ganzen Abend lang beobachtete sie Rosas Liebsten – Pino mit der krummen Nase, einen kleinen Kerl, der nur Billard spielen konnte und nichts tat und beim Reden die Mundwinkel verzog. Ginia verstand nicht, warum Rosa immer noch mit ihm ins Kino ging, nachdem sie erfahren hatte, wie feige er war. Ihr wollte dieser Sonntag nicht aus dem Kopf gehen, an dem sie alle zusammen Boot gefahren waren und man gesehen hatte, dass Pinos Rücken voller Sommersprossen war, wie Rost sah es aus. Jetzt, da sie alles wusste, erinnerte sie sich, dass Rosa an jenem Tag mit ihm unter den Bäumen verschwunden war. Wie dumm sie gewesen war, es nicht zu begreifen. Aber noch dümmer war Rosa, und das sagte sie ihr auch noch einmal am Eingang zum Kino.

      Wenn sie daran dachte, wie oft sie Boot gefahren waren! Man scherzte, lachte, neckte die Paare. Ginia, die mehr auf die anderen Mädchen achtete, hatte Rosa und Pino nicht bemerkt. In der Mittagshitze waren sie und die hinkende Tina allein im Boot zurückgeblieben. Die anderen, einschließlich Rosa, waren an Land gegangen, wo man sie schreien hörte. Tina, die Rock und Bluse anbehalten hatte, sagte zu Ginia: »Wenn niemand kommt, ziehe ich mich aus, um mich zu sonnen.« Ginia erwiderte, sie würde aufpassen, lauschte aber stattdessen den Stimmen und dem Schweigen am Ufer. Nach einiger Zeit war es ganz still auf dem ruhigen Wasser. Tina lag in der Sonne, ein Handtuch um die Hüften. Da war Ginia ins Gras gesprungen und barfuß ein paar Schritte gegangen. Auch die Stimme von Amelia, die alle anderen hinter sich hergezogen hatte, war nicht mehr zu hören. Dumm, wie sie war, hatte Ginia sich eingebildet, sie spielten Verstecken, und nicht nach ihnen gesucht, sondern war aufs Boot zurückgekehrt.

      II.

      Von Amelia wusste man wenigstens, dass sie ein anderes Leben führte. Ihr Bruder war Mechaniker, doch sie tauchte an jenen Sommerabenden nur ab und zu auf und gestattete niemandem Vertraulichkeiten, lachte aber mit allen, weil sie schon neunzehn oder zwanzig war. Ginia hätte gern ihre Figur gehabt, denn an Amelias Beinen machten sich die feinen Strümpfe wirklich gut. War Amelia allerdings im Badeanzug, sah man ihre ausladenden Hüften, und ihre Gesichtszüge erinnerten ein bisschen an ein Pferd. »Ich bin arbeitslos«, sagte sie eines Abends zu Ginia, während diese ihr Kleid musterte, »ich habe den ganzen Tag Zeit, über ein Modell nachzudenken. Ich habe Zuschneiden gelernt, als ich noch wie du in der Schneiderei arbeitete, weißt du?« Ginia dachte, dass es am schönsten wäre, sich die Kleider machen zu lassen, sagte aber nichts. Vielmehr drehten sie an jenem Abend zusammen eine Runde, und Ginia begleitete Amelia bis nach Hause, denn sie fühlte sich hellwach und dachte nicht ans Schlafen. Es hatte geregnet, und der Asphalt und die Bäume waren wie frisch gewaschen: Man spürte die Kühle im Gesicht.

      »Du gehst gern spazieren«, sagte Amelia lachend. »Was meint dein Bruder Severino dazu?« – »Um diese Zeit ist Severino bei der Arbeit. Alle Straßenlaternen zündet er an und überwacht sie.« – »Dann ist er es, der den Paaren Licht macht? Wie ist er angezogen? Wie ein Gasmann?« – »Aber nein«, sagte Ginia lachend, »er überwacht die Schalter in der Zentrale. Er verbringt die Nacht an einer Maschine.« – »Und lebt ihr allein? Hält er dir keine Moralpredigten?« Amelia redete fröhlich und unbefangen, wie jemand, der alle kennt, und Ginia fiel es nicht schwer, sie zu duzen. »Bist du schon lange arbeitslos?«, fragte sie sie.

      »Eine Arbeit habe ich. Ich lasse mich malen.«

      Nach der Stimme zu urteilen, klang es wie ein Scherz, und Ginia sah sie an. »Malen? Wie?«

      »Von vorn, im Profil; angezogen, nackt. Modell stehen nennt man das.«

      Ginia hörte zu und heuchelte Erstaunen, damit sie weiterredete, aber sie wusste längst, was Amelia da erzählte. Nur hätte sie nie geglaubt, dass Amelia mit ihr darüber sprechen würde, weil sie es nie einer von ihnen gesagt hatte, sondern Rosa das Geheimnis nur durch Portiersfrauen entdeckt hatte.

      »Gehst du tatsächlich zu einem Maler?«

      »Ich ging«, sagte Amelia. »Aber im Sommer kommt es ihn billiger, im Freien zu malen. Im Winter ist es zu kalt, um nackt zu posieren, und so arbeitet man so gut wie nie.«

      »Hast du dich wirklich ausgezogen?« – »Aber ja«, sagte Amelia.

      Dann hakte sie sich bei Ginia unter und fügte hinzu: »Es ist eine schöne Arbeit, weil du nichts tust und den Gesprächen zuhörst. Ich ging mal zu einem, der hatte ein wunderbares Atelier, und wenn Leute kamen, wurde Tee getrunken. Da lernt man, sich in der Welt zu bewegen, besser als im Kino.«

      »Kamen sie einfach herein, während du Modell standest?«

      »Sie klopften vorher an. Das Schönste sind die Frauen. Wusstest du, dass Frauen auch Bilder malen? Sie bezahlen ein Mädchen, um es nackt abzumalen. Warum stellen sie sich nicht vor den Spiegel? Wenn sie einen Mann malten, würde ich es noch verstehen.«

      »Vielleicht tun sie das auch«, sagte Ginia.

      »Kann gut sein«, sagte Amelia, indem sie am Haustor stehenblieb, und zwinkerte Ginia zu. »Aber manchen Modellen zahlen sie das Doppelte. Na wenn schon, die Welt ist schön, weil sie bunt ist.«

      Ginia


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