Selbstmanagement – mit Coachingtools. Thomas Hanstein
geöffnet, neue Handlungsmöglichkeiten kommen in den Blick.
Gunther Schmidt (vgl. Schmidt, 2004; ebd, 2005; ebd. 82018) hat diese lösungsorientierten Konzepte zusammengeführt und zu einem ganzheitlichen, lösungsfokussierenden und zugleich hypnosystemischen Ansatz ausgebaut. Neben dem Aspekt der Wechselwirkung aller Elemente eines Systems ist für dieses Coachingverständnis die systemische Selbstorganisation zentral. Zur Systemstabilität gehört es demnach auch, dass Menschen durch ihr systemkonformes Verhalten – das ihnen nicht bewusst sein muss – dazu beitragen. Diese „Musterzustände“ – als „Einheit von äußeren und inneren Faktoren mit einem spezifischen Zusammenspiel von körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Reaktionen“ (Berg/Berninger-Schäfer, 2010, S. 19) – können entsprechend der systemtheoretischen Erkenntnis, dass jedes Einzelne das Ganze bedingt, aber auch jederzeit eine Infragestellung und Störung erfahren. Änderungen innerhalb eines Systems können demnach nicht nur durch Einwirkungen von außen erfolgen, vielmehr werden diese – entsprechend der Tendenz zur systemischen Selbsterhaltung – in einem ersten Impetus in der Regel abgewehrt. Entscheidender, da nachhaltiger und effizienter, ist demgegenüber die Möglichkeit des Ausbaus neuer Muster von innen, aus dem eigenen System heraus. Hier setzt Coaching an. Raum und kreative Möglichkeiten für die Neuorganisation neuer Muster werden durch die inhaltliche Lenkung auf die Ressourcen des jeweiligen Systems – sei es eine Organisation oder ein einzelner Mensch – angebahnt, und methodisch entsprechend gefördert. Dabei ist die Erkenntnis leitend, dass Veränderung praktisch nur möglich ist, wenn bisherige (Muster-)Zustände verlassen werden (können). Irritationen sind dazu ebenso notwendig, wie sie auch sensibel begleitet sein wollen, da sie immer mit entsprechenden Emotionen verbunden sind. Attraktoren – als „Funktionen mit hoher Anziehungskraft“ (Berninger-Schäfer, 2014) – können hier zur Perspektivenweitung und Musterzustandsunterbrechung ganzheitlich motivieren. Aufbauend auf dem hypnotherapeutischen Konzept Ericksons (vgl. Erickson, 1995) verbindet Gunter Schmidt diverse aktuelle systemische Ansätze und aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu einem integrativen Konzept. Einen wesentlichen Beitrag für die systemisch-lösungsorientierte Begleitung leistet Schmidt auch durch seinen konsequenten Verzicht darauf, in „Kategorien von entweder/oder oder wenn/dann“ (Müller, 2009, S. 31) zu denken. Statt kausal und linear zu systematisieren, übernimmt sein Konzept den Gedanken der Wechselwirkungen, die sich konkret durch Muster, Regeln, Rollen, durch Verhalten und Handeln sowie diesen zugrundeliegenden Bedingungen ergeben (vgl. Müller, 2009, S. 21–31). Schmidt beherzigt das humanistische Bild vom Menschen und Erkenntnisse des Konstruktivismus: Wenn davon auszugehen ist, dass Probleme, von denen Klienten berichten, autohypnotisch durch ihre (situative) Einengung der Wahrnehmung entstanden sind, kann nicht die (weitere) Fokussierung auf das Problem zur Lösung führen. Vielmehr gilt es – unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Kontextbedingtheit und Abhängigkeit der Wahrnehmung von der Perspektive – durch Umfokussierung dieser Autohypnose eine neue, zusätzliche Erfahrung zu ermöglichen, die sowohl den eingeschlagenen Kontext aufbrechen bzw. verlassen wie einen neuen Blick auf das Erlebte und Beschriebene ermöglichen kann. Durch Schmidts konzeptionelle Weiterentwicklung wurde der Blick auch auf ganzheitliche Reiz-Reaktions-Abläufe und Musterzustände in sozialen, lebenden Systemen und konkret beim Klienten gelenkt, wie auf die Frage nach weiteren Prinzipien für eine methodische Lösungsorientierung.
Systemisch-lösungsorientiertes Coaching als integrativer Ansatz
Auf der Grundlage der – oben angeführten – Begriffsbestimmung des Deutschen Bundesverbandes Coaching vertritt die „Karlsruher Schule“22 einen systemisch-lösungsorientierten Coachingansatz, der auf den dargelegten systemtheoretischen Erkenntnissen fußt, und der in der Systemtheorie integrierte Ansätze, insbesondere aus dem Konstruktivismus und der Chaosforschung, praktisch berücksichtigt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Aspekt der systemischen Selbstorganisation, wobei ein System als ein „sich organisierendes Ganzes“ betrachtet wird, jedoch nicht durch voneinander „isolierte Objekte“, sondern durch ein komplexes Geflecht von „Muster-, Regel-, Wechselwirkungs- und Ergänzungsprozesse“. Diese – relative, nie statische – Systemstabilität wird im sozialen Kontext durch die „Wiederholung von Verhaltensmustern, Denk- und Sichtweisen erreicht“ (Berninger-Schäfer, 2014). Die Wahrnehmung – nicht Analyse – dieser Phänomene gibt dem Coach einen ersten Zugang zum jeweiligen System. Auf dem Weg der Veränderung von Kontextbedingungen können im Coaching dann Veränderungen in diesen komplexen systemischen Gebilden angezielt werden. Wenn dabei ernst genommen wird, dass der Klient – bei allen gefühlten und ggf. benannten aktuellen „Defiziten“ – Experte seines eigenen „Systems“ ist, verbietet es sich von selbst, von allgemeingültigen, absoluten Aussagen auszugehen – bzw. diese zu suchen. So kann das Coachinggespräch „ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe“ sein – und bleiben –, bei dem der Klient selbst als „Experte für seinen Weg und sein Leben“ (ebd., 2011, S. 51) angesehen wird. Die systemisch grundrelevanten Aspekte der Autopoiese und Selbstreferenzialität bekommen so praktische Geltung.
Elke Berninger-Schäfer spricht von vier grundlegenden Merkmalen des systemisch-lösungsorientieren Coachings: Ein Coach, der sein Gegenüber als „Systemexperten“ versteht, orientiert sich in seinem Vorgehen nicht entsprechend seiner Fachkenntnis, sondern am persönlichen Anliegen und an den Rahmenbedingungen der jeweiligen Person und ihrer Rollen. Er selbst sieht sich als Prozessbegleiter, der eine, entsprechend Person, Anliegen und Situation möglichst „maßgeschneiderte (…) Maßnahme“ (ebd., S. 52) anstrebt. – Somit ist systemisch-lösungsorientiertes Coaching personenzentriert. Der Blick des Coachs richtet sich nicht auf die dargelegten – vermeintlichen – „Schwächen“, sondern auf die persönlichen Fähigkeiten und Stärken des Klienten. Systemisch-lösungsorientiertes Coaching bedient sich hierzu des von Bernhard Badura innerhalb der Sozialwissenschaften eingeführten Begriffs der Ressourcen (vgl. Badura, 1981; Bengel/Strittmatter/Willmann, 1998). – Insofern versteht sich Coaching dieser Ausrichtung als ressourcenorientiert. Werden diese je eigenen Ressourcen des Klienten, auch entsprechend des zugrundeliegenden Menschenbildes und der sich daraus ableitenden Grundhaltungen, als reale Gegebenheiten, die es mit Hilfe des Coachings zu stärken, ggf. auch erst zu bergen gilt, angesehen, drängen sie regelrecht organisch zu Lösungen in der aktuellen Situation. – Somit ist systemisch-lösungsorientiertes Coaching, wie das Wort bereits definiert, immer auch lösungsorientiert (vgl. Döring-Meijer, 1999; Mücke, 42009, Middendorf, 2018). Weil Lösungen, (nur) durch – im Coaching – zu erarbeitende konkrete Maßnahmen realisiert werden und in Handlung umgesetzt werden können, bedarf es der Definition von Zielen. – Daher arbeitet systemisch-lösungsorientiertes Coaching zielorientiert (vgl. Fischer-Ege, 2004). Derart konzipiertes Coaching „respektiert die Einzigartigkeit von Individuen, orientiert sich an der Persönlichkeit und den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Klienten und strebt maßgeschneiderte Ziele und praktische Lösungen an“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 53).
Dieser Prozess erfolgt im systemisch-lösungsorientierten Coaching ganzheitlich und orientiert sich – neben den skizzierten Ansätzen aus der Systemtheorie und den Neurowissenschaften – auch an den Erkenntnissen der Gesundheitspsychologie. Der Soziologe Bernhard Badura hat bereits vor 30 Jahren auf die Bedeutung sozialer Widerstandsfaktoren für die Erhaltung der – auch – seelischen Gesundheit hingewiesen (vgl. Badura, 1999, 1. Aufl. 1981), nachdem Aaron Antonovsky den Terminus Salutogenese – als Komplementärbegriff zur Pathogenese – in die wissenschaftliche Debatte eingeführt hatte (vgl. Antonovsky, 1997). Diese Herangehensweise änderte den Blick: von Defiziten auf Ressourcen, von der Vermeidungshandlung zur Zielgerichtetheit, von der – medizinischen und therapeutischen – Symptomarbeit hin zur systemischen Selbstregulation. Was seither für Soziologe und Medizin gilt, ist auch für Coaching bedeutend, das systemisch ansetzt (vgl. Schmidt, 2005): Wie der Prozess zur Gesundung dem zur Erkrankung entgegengesetzt wird, so gilt es im Coaching – durch Unterstützung des Coachs – vom Problem- in den Lösungszustand zu gelangen. Als Muster wird dabei das „Zusammenspiel zwischen gedanklichen, emotionalen und physiologischen Vorgängen“ verstanden, welches „einer neuronalen Aktivierung im vernetzten Gehirn“ entspricht, „das durch vorhergehende Bahnungen entstanden und (daher, Anm. des Autors) relativ stabil ist“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 62, nach: Roth, 2003). Die Ausführungen zum Embodiment