Selbstmanagement – mit Coachingtools. Thomas Hanstein
den zur Mit- und Umwelt, und drittens „das Wahrnehmen des Zwischenreichs der Phantasie“ (ebd.). Aus diesem Ansatz lässt sich die Bedeutung von Körpersignalen für ganzheitliches Coaching ableiten: „Körperliche Empfindungen stehen einem Menschen fortwährend als Informationsquelle zur Verfügung.“ (ebd.) Da diese aber nicht bzw. selten ins Bewusstsein treten, regen Roth und Ryba an, die Aufmerksamkeit auf die limbische Ebene zu lenken – dorthin, wo vegetative Vorgänge stattfinden (wie Herzschlag und Atemrhythmus). Die Gestalttherapie deuten sie als „Widerstandsanalyse“ – ähnlich der Psychoanalyse nach Freud’scher Prägung –, wobei die psychischen Widerstände nicht auf der kognitiven Ebene gedeutet, „sondern dem Klienten als Gestalt erfahrbar gemacht“ (ebd.) werden. Nicht das Warum der Vermeidungshaltung ist demnach entscheidend, sondern das Wann. Entsprechend kann im Coaching mit einem veränderten Selbsterleben gearbeitet werden.
Ergänzend dazu fügt sich das → körpertherapeutische Konzept nach Wilhelm Reich an. Nach diesem werden innerpsychische Konflikte auf den Körper übertragen (benannt in Begriffen wie „Charakterpanzer“ und „Muskelpanzer“). Bedeutsam ist hieran, dass – im Coaching – der Fokus auf die vorsprachliche Ebene gelenkt – und diese praktisch genutzt – werden kann. Roth und Ryba konstatieren, dass „körperorientierte Ansätze aktuell jedoch kaum genutzt“ werden würden, dass deren weitere Einbeziehung ins Coaching jedoch „zwingend erforderlich“ sei, „weil sie die tieferen limbischen Ebenen erreichen können“ (ebd., S. 53).
Das → systemische Modell nach Nicklas Luhmann sieht Menschen immer in Systeme, deren Regeln und auch Sanktionen eingebunden. Ergänzend scheint diese Perspektive durch den Blick auf die „Interaktion zwischen Personen und ihre rekursiven Wechselbeziehungen“ (ebd.). Bezüglich eines – reinen – systemischen Ansatzes im Coaching geben Roth und Ryba zu bedenken, nicht zu verkennen, „wie tief Erlebens- und Verhaltensmuster in die Psyche eingegraben sind“ (ebd., S. 54). Insofern gelte es, eine „integrative Coaching-Praxis“ (ebd., S. 50) zu entwickeln.
Zwischenertrag: Praktische Implikationen für Coaching
Aus diesen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben sich praktische Konsequenzen:
✓ Die angezielte – d. h. von Seiten des Klienten gewünschte – Änderung des Verhaltens oder (gesteigert) von Handlung oder (gar) Haltung ist nicht über Verstand und Vernunft möglich.
✓ Nur emotional – positiv – konnotierte Ziele haben die Chance, nachhaltig umgesetzt zu werden. Am nachhaltigsten ist die Zielformulierung auf der Haltungsebene.
✓ Dazu kann im Coaching das emotionales Erfahrungsgedächtnis genutzt werden. Der Körper als Sitz erlebter Erfahrungen sollte dabei nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. weiterführend die Kap. zu somatischen Markern, inneren Bilder, Embodiment).
✓ Beschreibungen sind nachhaltiger (weil für Entwicklung offener) als die Formulierung von Beurteilungen.
✓ Die Beschreibung von Zielen ist erst sinnvoll, wenn der Klient innerlich nicht mehr am Problem „klebt“ (vgl. weiterführend die Kap. zur Gesprächs- und Prozess-Struktur, speziell zur Musterunterbrechung). Denn Lösungen lassen sich am nachhaltigsten in einer buchstäblich gelösten Stimmung erarbeiten.
✓ Zielführend ist es, personen- und situationsadäquate Motivatoren herauszufinden, die auf dem Weg zur Zielsuche und Lösungsformulierung authentische Unterstützung bieten können.
✓ Integratives Coaching sollte nach Roth und Ryba auf den drei Persönlichkeitsebenen „explizit-bewusst“, „implizit-prozedural“ sowie „auf der Ebene des Körpers“ stattfinden (vgl. Roth/Ryba, 2017, S. 54).
Im O-Ton: „Nur wenn auf allen drei Ebenen interveniert wird, kann eine nachhaltige Wirkung erwartet werden.“ (ebd.)
Die Bedeutung (organisations-)theoretischer Ansätze
Wie entscheidend der theoretische Zugang für das, was Begleitung – jedweder Couleur – will, kann und tut, ist, macht Astrid Schreyögg am Vergleich zwischen Coaching und Supervision deutlich. Ähnlich verhält es sich mit allen anderen, oben genannten, Formen.17 Ausgehend von der Beobachtung, dass „Supervision (…) nicht mehr in zu sein“, scheint, da auch „Psychologen (…) ihren Fokus sehr stark auf das Coaching verlagert“ hätten, (Schreyögg, 2017, S. 15), betont Schreyögg die unterschiedlichen Konzepte in beiden Formaten. Wichtig erscheint diese Differenzierung praktisch auch aufgrund der Beobachtung, dass Psychologen nicht selten davon ausgehen, mit Studium und Therapeutenausbildung sowohl das eine als auch das andere Angebot abdecken zu können. Im Bereich schulischer Unterstützungsangebote verhält es sich z. B. so,18 dass Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter und Supervisoren in aller Regel auch Anfragen zum Coaching übernehmen – ob sie dazu eine eigene Ausbildung vorweisen können oder nicht. Insofern kann diese exemplarische Differenzierung von Schreyögg – entsprechend der theoretischen Zugänge – als grundsätzlicher Hinweis für die eigene Standortbestimmung und die Reflexion über das Berufsprofil des Coachs (und Supervisors) verstanden werden. Bezüglich dieser beiden Formen scheint hier wichtig:
• Die Supervision kommt traditionell im sozialen Bereich zum Einsatz, ihr Schwerpunkt liegt auf der Beziehungsgestaltung und der Beratungsaspekt hat ein größeres Gewicht. Es geht darum, „Leute zu beraten, die ihrerseits Klienten beraten“ (ebd., S. 18). Daher werden für die Supervision Konzepte und Modelle benötigt, die diese Themen stützen und theoretisch untermauern.
• Coaching kommt, neben persönlichen Fragestellungen,19 im Business zum Einsatz, um Führungskräfte und Mitarbeiter „dahingehend fit zu machen, dass sie das System, in dem sie tätig sind, möglichst optimal steuern“ (ebd.). Organisationstheoretische und systemische Konzepte sind folglich für den Coach ebenso unerlässlich, wie das Wissen um z. B. informelle Muster, Organisationskulturen und -prozesse.
Zusammengefasst: „In der Supervision spielt die Organisation natürlich auch eine Rolle, aber die Beziehung ist das Primäre.“ (ebd.)
Fazit: Personenzentrierung statt Guru
Neben diesen Zugängen und einigen neueren Forschungen sei an dieser Stelle ein (ebenfalls) älterer Ansatz in Erinnerung gerufen, dem für das Coaching – auch in Organisationen und von Systemen – eine hohe Aktualität beigemessen werden kann: Der amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers hat in seinem humanistisch-psychologischen Modell die Grundhaltungen Wahrhaftigkeit, wertschätzende Anteilnahme und einfühlendes Verstehen zur Basis gemacht. Ausgangspunkt des diesem Ansatz zugrundeliegenden humanistischen Menschenbildes und der darauf von Rogers – in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts – entwickelten klientenzentrierten Psychotherapie ist die so genannte Aktualisierungstendenz. Dahinter steht die Überzeugung, dass – in aller Regel – der Mensch von seinem Wesen her an Selbstverantwortlichkeit und Selbstbestimmung, Reife und Selbstgestaltung des Lebens weiterwachsen möchte: Er „hat die Tendenz, seine Möglichkeiten zu werden“ (Rogers, 1973, S. 340; zitiert nach Schmid, 1990, S. 77). Für die Umsetzung dieser Tendenz sind jedoch Mindestbedingungen notwendig, bei deren Fehlen sich Beeinträchtigungen und Störungen einstellen (können). Wesentlich ist hier, dass Rogers ein destruktives Verhalten auf Defizite innerhalb dieser Umgebungsfaktoren zurückführt, die den Menschen bei der zielgerichteten Umsetzung seiner Aktualisierungstendenz hindern, nicht auf „Defizite“ im oder beim Menschen selbst. An diesem Punkt nun will der personenzentrierte Ansatz greifen und den unterbrochenen kreativen Prozess der Selbstgestaltung durch positive, neue Erfahrungen wieder anregen. Peter Schmid vergleicht den Begleiter in diesem Prozess mit einem Gärtner, „der die optimalen Bedingungen für das Wachstum (…) herzustellen sucht, das Wachstum (…) aber selbst nicht ‚machen‘ kann“ (Schmid, 1990, S. 77). Wie dieser ist auch der Klient in der Regel nicht passiv, sondern er bringt sich in diesen Beziehungsprozess auf der Basis der genannten Grundhaltungen aktiv ein, mit dem Resultat, dass er „in der Zuwendung zum aktuellen gegenwärtigen Erleben (…) sich auf neue Gefühlswahrnehmungen und Erfahrungen einlassen“ kann.