Selbstmanagement – mit Coachingtools. Thomas Hanstein

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„personalen Begegnung“20 – bereits mitberücksichtigt hat (im Coaching würde man von der Kraft der Irritation sprechen), war für ihn – wesentlicher als ein Korrektiv – die Unterstützung der eigenen Selbsterfahrung grundlegend: Nicht das Problem steht im Zentrum, sondern das Selbsterleben des Klienten. Er geht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich von einem Bedürfnis nach Beachtung geprägt ist. Als ganzheitliches Wesen, das wechselseitig auf den Ebenen der Emotion, Kognition und Motivation agiert, ist der Mensch mit einer inneren Bewertungstendenz ausgestattet. Das rationale und willentliche Bestreben nach Beachtung kann jedoch, entgegen der „gefühlten“ – ggf. verdeckten und aktuell daher nicht bewusst wahrnehmbaren – inneren Bewertung, in Handlungen überführt werden. Die Folge davon nennt Rogers Inkongruenz, die sich ganzheitlich niederschlagen, sich wortwörtlich „organisieren“ kann: Körper, Geist und Seele reagieren auf diese Unstimmigkeit zwischen Selbst(konzept)21 und den aktuell erlebten, aber als nicht stimmig bewerteten Erfahrungen. Dabei gerät auch die organische Symbolisierung – die Übereinstimmung einer bewussten Erfahrung mit einer dazugehörigen adäquaten Empfindung – in Ungleichgewicht (vgl. Rogers, 1973; Müller, 2015).

      Die genannten Grundhaltungen im Ansatz von Rogers können – auf der Seite des Coachs – für die Möglichkeit neuartigen, authentischen Selbsterlebens mit dem Ziel der Kongruenz beim Klienten die Grundlage bieten. Statt des Begriffes der Wahrhaftigkeit findet sich in der Literatur heute oft die Bezeichnung Echtheit, an der Stelle des einfühlenden Verstehens der Begriff Empathie. Diese Grundhaltungen können jeweils eine Auswirkung beim Gegenüber zeitigen: Besitzt der Klient im Coaching einen hinreichenden Zugang zum eigenen inneren Erleben, kann dies eine Offenheit evozieren, die dem Gespräch Tiefe verleiht. Seine oder ihre Echtheit spiegelt sich in der des Gegenübers – wobei auch hier wieder bedeutsam scheint, was die Neuropsychologie in den letzten Jahren über die Funktion der Spiegelneuronen erforscht hat. Die Grundhaltung der wertschätzenden Anteilnahme zeigt sich in dem Glauben an die inneren Kräfte des Gegenübers sowie an dessen Wachstumsmöglichkeit, wenngleich beides aktuell (noch) nicht spürbar sein muss. Der Aspekt der Empathie setzt sich aus dem einfühlenden Verstehen (Ratio) und dem verstehenden Einfühlen (Gefühl) zusammen, wobei im Zusammenspiel beider Größen das innere Anliegen des betreffenden Menschen – um das er oft selbst bewusst (noch) nicht weiß – Stück für Stück ans Tageslicht gebracht werden will. Rogers beschrieb diesen Prozess als Vortasten in die eigene Wahrnehmungswelt des Anderen. Hieran wird der sensible Vorgang, aus dem ein unterstützendes Gespräch auf dieser Basis besteht, deutlich: Da ist einerseits ein äußerer Rahmen, ein geführtes Gespräch, und andererseits laufen – anfänglich von beiden Beteiligten unbemerkt – innere Prozesse ab, die Neues zulassen können, Altes, Verdrängtes (anfänglich wieder) erspüren lassen, das Erleben – besonders das Selbsterleben – auf eine veränderte Weise befördern. Als Selbstexploration bezeichnet Rogers dieses Phänomen. Diese Selbsterfahrung kann irritierend sein – und umso wichtiger ist es daher, dass der Coach um seine Grenze weiß bzw. sie im Gespräch spürt –, ist jedoch die Grundbedingung für die weitere Stimulierung der brachliegenden Aktualisierungstendenz.

      Der oben zitierte Anspruch ganzheitlichen Coachings korrespondiert mit dem systemischen Blick auf menschliche und betriebliche Organisationen und der grundlegenden systemtheoretischen Erkenntnis, dass eine Veränderung an einem einzelnen Punkt – z. B. das Verhalten einer Person in einem bestimmten Interaktionsmuster – eine Auswirkung auf das System in seiner Ganzheit hat. Nach der soziologischen Systemtheorie Luhmanns definieren – und konstituieren – sich soziale Systeme durch dieselben Merkmale: Neben der grundlegenden Beobachtung, dass die kleinste Einheit im System bereits ein entscheidendes systemrelevantes Kommunikationsgeschehen in Gang setzen kann, besteht ein wesentliches Merkmal im selbstreferenziellen Charakter. Dies bedeutet, dass soziale Systeme „die Elemente, aus denen sie bestehen, durch die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst produzieren und reproduzieren“ (Luhmann, 1987, S. 403). Was positiv mit dem Begriff der Autopoiesis gedeutet werden kann, bedeutet aber eben auch symbolische und kommunikative Abgrenzung – oder auch durch ein Wertesystem – gegenüber seiner Umwelt und anderen Systemen. Rolf Arnold spricht hier von der „ärgerlichen Tatsache der systemischen Geschlossenheit“ (Arnold, 2012, S. 118). Systeme grenzen sich durch ihre je eigene Struktur und ihre je eigene Systemsprache von ihrer Umwelt ab, was im Alltag daran beobachtet werden kann, dass spezielle – z. B. kommunikative – Abläufe nur innerhalb des jeweiligen Systems funktionieren, aber auch wie von selbst durch die Mitglieder eines Systems – beim Wechsel in ein anderes soziales System – an der Systemgrenze zurückgelassen werden. An solchen alltäglichen Beispielen wird auch deutlich, dass Systeme sich nicht (nur) nach ihrem Wesen definieren lassen, sondern – nach Luhmann – v. a. entsprechend ihrer Funktion.

      Die Systemtheorie Luhmanns – der biologische daraufhin noch um soziale und psychische Systeme erweiterte – basierte auf der autopoietischen Systemtheorie der Zellbiologen Humberto Maturana und Francisco Varela (vgl. Maturana/Varela, 2009). Aufbauend auf der evolutionären Systemtheorie von Rupert Riedl (vgl. weiterführend Riedl/Delpos, 1996) entwickelten sie eine Theorie auf dem Ansatz zirkulärer Kausalitätsverhältnisse. Systeme sind, so verstanden, hoch komplexe und zugleich kommunikativ-dynamische Einheiten, in denen eine Vielzahl von „Wechselwirkungs- und Ergänzungsprozesse(n)“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 53) stattfindet. Diese befinden sich in so genannten „Fließgleichgewichten“, welche sich – entsprechend der Chaosforschung – stets „im Fluss“ befinden und dabei immer wieder neue Formen und Ordnungen ausbilden. Diese Charakteristika von Systemen gelten in allen Ansätzen der systemischen Begleitung und Beratung als Grundlage. Zugleich leiten sich aus dieser Erkenntnis Konsequenzen ab:

      Arnold Mindell, der einen prozessorientierten Ansatz entwickelt hat (vgl. Mindell, 1987), betrachtet das System Mensch in seiner körperlich-psychischen Ganzheit. Sein Modell geht davon aus, dass Symptome und Probleme systemisch derart zusammenhängen, dass die somatischen Anzeichen nicht nur auf die tiefer liegende Problematik verweisen, sondern im Problem selbst die Lösung liegt. Sein Ansatz setzt daher auf eine differenzierte Vertiefung des Problems, sogar auf die (erneute) Auseinandersetzung mit (bereits durchlebten) Grenzerfahrungen. – Die Herkunft aus der Psychoanalyse und der Einfluss der Tradition nach C. G. Jung sind kaum zu übersehen.

      Steve de Shazer und Milton Erickson setzten stattdessen lösungsorientiert an (vgl. De Shazer, 1989; Erickson, 1995; Erickson/Rossi, 2015). Ihre Ansätze gehen davon aus, „dass Ergebnisse auch ohne detaillierte Ursachenforschung gefunden werden können“ (Müller, 2009, S. 24). Der Soziologe de Shazer, der die „lösungsorientierte Kurzzeittherapie“ entwickelt hat, gibt dem geschilderten Problem daher nur so viel Bedeutung,


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