Selbstmanagement – mit Coachingtools. Thomas Hanstein
und Stabilität von Mustern, aber auch die Fähigkeit zur Änderung dieser Musterzustände, seien sie auch noch so „eingespurt“.
Dieses Verständnis von Coaching hängt zutiefst mit der Auffassung vom Menschen wie mit der ihm gegenüber – im Coachingprozess – einzunehmenden Haltung zusammen, woraus sich wiederum Werte für eine professionelle Begleitung ableiten lassen.
Menschenbild, Grundhaltungen, Standards
Grundlage für Coaching im systemisch-lösungsorientierten Zuschnitt bildet das humanistische Menschenbild. Dieses hat sich in einem über 200-jährigen geschichtlichen und gesellschaftlichen Prozess herausgebildet, weshalb auch nicht von dem humanistischen Menschenbild gesprochen werden kann. Wie die klassischen Ansätze, wonach der Mensch von Natur aus böse – Thomas Hobbes – oder im Grunde gut – Jean-Jacques Rousseau – sei, sich in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahrhunderte nicht einseitig bewähren konnten, so suchten auch Pädagogik und Psychologie – über Behaviorismus, Reformpädagogik, Interaktionismus etc. – bis zum heutigen Tage nach Kriterien einer humanistischen Sicht vom Menschen. Dennoch lassen sich die Grundpfeiler eines humanistischen Menschenbildes (nach Bullock, 1985; Davidson, 1992; Wertz, 1998) zusammenfassen: Jeder Mensch ist als Ganzheit zu verstehen, ist folglich mehr als die Summe seiner (Körper-, Seele- oder Geist-)Anteile. In der Konsequenz bedeutet das, dass „von außen“ nur Teilaspekte seiner Entität wahrgenommen werden können. Jeder Mensch besitzt Andersartigkeit, mit der er sich von anderen Menschen unterscheidet, die er aber wiederum in soziale Kontexte einbringt. Hieraus folgt, dass der Einzelne – und sein Verhalten und Handeln – nicht losgelöst von seinem jeweiligen Umfeld betrachtet werden kann. Jeder Mensch ist sich seiner selbst, aber auch seiner Freiheit und uneingeschränkten Würde bewusst. Das bedeutet, beides gleichermaßen zu beachten: das bewusste Wahrnehmen als Voraussetzung der (Selbst-)Reflexion, wie das Selbsterleben als Spiegelung der subjektiven Erfahrungswelt. Daraus ergibt sich regelrecht zwangsläufig: Jeder Mensch ist befähigt, sich – bzw. sein Verhalten und Handeln – zu ändern. Er ist in der Lage, – mehr oder weniger – frei Entscheidungen zu treffen und sich für Alternativen zu entscheiden. Der Mensch – als sich seiner selbst bewusstes und für sich selbst verantwortliches – Wesen strebt konkret danach, sich Ziele zu setzen.
Jeder Mensch bringt demnach Anlagen zur Selbstentfaltung und Entwicklung mit, die es zu steigern gilt – und die auch als steigerbar gelten. Entsprechend der Erkenntnisse der Systemtheorie (vgl. oben) wird der Mensch als grundsätzlich befähigt betrachtet, seine eigene systemische Selbstorganisation, Selbststeuerung und Selbstregulierung zu leisten. Einschränkungen dieser natürlichen Kompetenz können durch entsprechende Einflüsse, z. B. durch Erziehung oder soziale Determinanten, entstehen, werden aber nach dem humanistischen Menschenbild nicht als „Negativum“ des Einzelnen betrachtet. Vielmehr wird durch diese, situativ bedingten Beschränkungen der Selbstentfaltung der Zugang zu den eigenen Ressourcen blockiert. Begleitungsformen, die auf einem humanistischen Menschenbild wurzeln, sind daher bemüht, diese Zugänge „zum Entwicklungspotenzial der Klienten, zu alternativen Perspektiven und zu kreativen Lösungen zu ermöglichen“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 67). Wird der Klient wirklich als Experte seines eigenen „Systems“ – so keine Hinweise auf eine krankhafte Störung vorliegen (was zugleich eine Grenzziehung für das Coaching darstellen würde) – verstanden, ist er nach humanistischem Menschenbild grundsätzlich zu einer Lösung fähig. Coaching will dazu verhelfen, die hierfür notwendigen Ressourcen (wieder) zu erkennen und nutzbar zu machen. Musterzustände, in denen sich die Stabilität eines Systems zu erkennen gibt, können durch einen lösungs- und ressourcenorientierten Zugang verändert werden. Methodisch spricht man davon, den Klienten vom Problem- in den Lösungszustand zu begleiten. In diesem wird dem Klienten der ganzheitliche Zugang zu seinen Ressourcen (erst wieder) möglich.
Bei einer ganzheitlichen Begleitung vor diesem Menschenbild kann es sich nicht rein um Techniken handeln, die erlernbar wären, sondern basaler als handwerkliche Methoden sind Haltungen, die vom Coach verinnerlicht sein müssen. Das Wort „müssen“ bereits ist schwierig, da Haltungen nicht „gemacht“ werden können, sondern sich in Erfahrungen erst konstituieren, wie Gerald Hüther immer wieder betont hat. Aber erfahrende Coachs wissen, dass sich die Haltungen in der Prozesssteuerung wie auch in der Anwendung der Methoden widerspiegeln. Insofern steht am Anfang das Wissen um den grundlegenden Charakter dieser Haltungen sowie ihrer Verortung in Systemtheorie und humanistischem Menschenbild, darüber hinaus aber die andauernde Reflexion der Anwendung dieser Grundhaltungen im praktischen Coachen. Respekt und Akzeptanz gegenüber dem, was der Klient wahrnimmt, was er erlebt hat und an Schilderungen und auch an subjektiven Bewertungen vorbringt, zeigen sich in Askese und Wertschätzung im Coachinggespräch. Auch wenn dem Coach das Geschilderte abwegig erscheint, weil es sich nicht mit dessen eigener Erfahrung deckt, so sehr ist es seine Aufgabe – Rolle und Kompetenz als Coach –, wertfreies Interesse daran zu haben. Seine eigenen Erfahrungen sind an dieser Stelle nicht gefragt, sie würden Ziel- und Lösungssuche unter Umständen nur erschweren, weil sie – wenn auch ungewollt – Erfahrungen von ganz anderen Menschen aus ganz anderen Kontexten an die Stelle der eigenen Ressourcen des Klienten setzen würden. Eine spürbare Empathie des Coachs, die Fähigkeit, für den Moment in die Gefühls- und Erlebniswelt der Klienten einzutauchen, ist ebenso zentral für einen gelingenden Gesprächsprozess. Da auch Coaching letztlich auf Vertrauen beruht, ist ebenso eine, für den Klienten spürbare Echtheit auf Seiten des Coachs – in dessen Worten, aber auch in der Kongruenz zu seinen nonverbalen Signalen – wesentlich. Wie sich Haltungen grundsätzlich im praktischen Handeln und Verhalten zu erkennen geben, lassen sich auch im Kontext Coaching aus diesen Grundhaltungen ethische Verhaltensregeln ableiten:
Zu den ethischen Standards gehört die Auftragsbezogenheit eines Coachings. Damit muss ein Anliegen vorliegen oder als erster Schritt herausgearbeitet werden. Die Übertragung eigener Themen vom Coach auf den Klienten entspricht nicht den ethischen Standards. Ebenso sollte eine verbindliche Ausformulierung von Auftrag und Ziel des jeweiligen Coachings vorliegen. Dieser Standard schützt beide Seiten und sichert den Coachingprozess. Dies ist insbesondere bei so genannten Dreiecksverträgen wichtig, z. B. bei einem Auftrag zu einem Mitarbeiter- oder Führungscoaching von Seiten der Unternehmung. In diesem Fall wäre wichtig zu klären, wer den Auftrag erteilt und wie er sich inhaltlich definiert. Nach dem oben dargelegten Verständnis vom zugrunde liegenden Menschenbild wäre es ethisch z. B. nicht vertretbar, ein Coaching im nicht nur im Auftrag eines Vorgesetzten anzunehmen, sondern mit formulierten Erwartungen an das Coaching und den Coach. Deshalb gehört es zu den Standards ebenso, Anfragen und Aufträge abzulehnen, die nicht diesen Grundsätzen entsprechen. Ebenso verhält es sich bei späteren Fragen zum Coachingprozess. Coaching findet grundsätzlich in einem vertraulichen Rahmen statt und „ein Coach verpflichtet sich zur Einhaltung des Berufsgeheimnisses und zur aktiven Sicherung der ihm anvertrauten Informationen“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 74). Für den Fall, dass die Schweigepflicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben berührt werden muss, ist dem Klienten dies „unter Angabe von Grund und Inhalt“ (ebd.) mitzuteilen. Aufbewahrung und Dauer der Verwendung angefertigter Dokumentationen sind im Zuge des Inkrafttretens bzw. der Anwendung der europäischen Datenschutzgrundverordnung24 auch für den Bereich von Coaching und Beratung neu fixiert worden. Neben dem generell obligatorisch gewordenen Datenschutzverzeichnis und der Datenschutzerklärung auf der eigenen Coaching-Homepage sind hierin die Fristen zur Aufbewahrung und Löschung von Daten, zur notwendigen aktiven Zustimmungserklärung und zu den nun verpflichtenden Verträgen für die Auftragsverarbeitung geregelt. Coachingverbände halten für diesen Zweck wie für die Vereinbarung zum Coaching selbst Musterverträge bereit. In diesen wird – neben Vereinbarungen zu Umfang, Dauer und Honorar – auch der ethische Kodex – mit den Aspekten Datenschutz, Schweigepflicht und im Businesskontext in der Regel auch Entschädigungsvereinbarungen bei Terminausfällen – festgeschrieben. Aufgrund der oben dargelegten Grundhaltungen eines Coachs ist im Coaching immer die Integrität des Klienten zu gewährleisten. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Klienten kommt ein hoher, für das Coachingverständnis basaler Wert zu. Der Coach verantwortet den Prozessablauf, der Inhalt und die eigenen Entscheidungen kommen – mit Unterstützung durch Fragen, Techniken, Interventionen und Tools – stets vom Klienten selbst. Dazu gehört auch, dass ein professioneller Coach mögliche