Geister sind unser Geschäft. Jana Scherer
als Kind zu lange an einer Schaufensterscheibe platt gedrückt. Man konnte von vorne in seine Nasenlöcher hineinschauen wie in einen Autobahntunnel mit zwei Röhren. Wahrscheinlich schaltete er jedes Mal die Scheinwerfer ein, bevor er sich in der Nase bohrte.
Trix hustete und hustete.
Der Nasen-Herr sah uns bedauernd an. »Hat Frau Donnerschlag euch denn gar nicht mitgeteilt, dass sie in der Tat so freundlich war, mir das Zimmer zu vermieten?«
Ich räusperte mich. »Nein, dieser Fakt ist mir nicht bekannt.«
Trix hustete noch stärker.
»Trix? Alles in Ordnung?«
»Bonbon – verschluckt«, röchelte sie.
Der Nasen-Herr warf ihr einen besorgten Blick zu. »Ist es sehr schlimm? Soll ich das Heimlich-Manöver bei dir zur Anwendung bringen?«
»Heimlich-was? Nein!«, keuchte Trix.
»Was ist denn das Heimlich-Manöver?«, erkundigte ich mich, während ich Trix noch stärker auf den Rücken klopfte.
»Das Heimlich-Manöver ist nach seinem Erfinder, dem amerikanischen Arzt Henry J. Heimlich, benannt, nicht wahr?«, erläuterte der Mann in aller Seelenruhe. »Dabei wird der Bauchraum komprimiert, um einen Überdruck zu erzeugen, der den Fremdkörper aus der Luftröhre katapultiert.«
Trix machte ein Geräusch wie ein lungenkranker Frosch, dann flog etwas Grünes in hohem Bogen aus ihrem Mund.
Der Mann duckte sich gerade noch rechtzeitig. Das Bonbon zischte über ihn hinweg in sein Zimmer.
Er lächelte und entblößte dabei eine breite Lücke zwischen den Schneidezähnen. »Offenbar hat allein die Beschreibung des Heimlich-Manövers schon ausgereicht, nicht wahr?«
Trix wischte sich die Tränen aus den Augen. Ich kombinierte: Sie war für die nächsten Minuten nicht ansprechbar.
»Meine Großmutter hat Ihnen also das Zimmer vermietet, ja?«, nahm ich das Gespräch mit dem Nasen-Typen wieder auf. »Wollen Sie Urlaub in Ruckelnsen machen?«
»In der Tat. Ich möchte die Osterfeiertage nutzen, um die Gegend ein wenig mit meinem Kajak zu erkunden. Ich brauche in der Tat Bewegung, ich hab ein wenig Bauchfett angesetzt in letzter Zeit.« Er klopfte auf seinen stattlichen Bauch. »Und natürlich will ich mir morgen Abend die berühmten bunten Osterfeuer am Strand ansehen. Das muss ja in der Tat eine ganz tolle Sache sein, nicht wahr?«
»Ja, Sie werden nicht enttäuscht sein«, prophezeite ich ihm. »In die Flammen wird Leuchtfarbe gekippt, sodass sie in allen Farbschattierungen flackern. Es ist ein beeindruckender Anblick.«
»Genau so hat mir die nette Frau Schuhpisser das vorhin auch geschildert. Unglaublich großartig – das waren ihre Worte. Von ihr habe ich auch eure Adresse bekommen. Wenn ich das richtig verstehe, betreibt sie nicht nur die Zimmervermittlung im Ort, sondern ist hier auch die Bürgermeisterin?«
Ich nickte. Trix schnäuzte sich.
»Frau Schuhpisser teilte mir außerdem mit, dass in eurem schönen Ort das Leitungswasser heute leider eine grüne Färbung angenommen hat. Aber sie sagte, die Wasserwerke würden einen Tankwagen mit Trinkwasser vor dem Rathaus aufstellen. Das habe ich dann gleich deiner Großmutter mitgeteilt, nicht wahr? Sie hat mir netterweise eine Kanne Kakao zu trinken gegeben und mir versichert, dass ihr nach eurer Rückkehr zeitnah Wasser holen gehen würdet. Es wäre gut, wenn ihr das in der Tat sofort erledigen könntet. Die grüne Giftbrühe möchte ich dann doch nicht zu mir nehmen, nicht wahr? Ich bin schließlich hier, um mich zu erholen, und nicht, um meine Gesundheit zu ruinieren.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Meine Oma hatte ganz offensichtlich meinen Kakao an diesen Fremden verschenkt! Und wir hatten wirklich Wichtigeres zu tun, als eimerweise Wasser herzuschleppen. Doch leider war der Nasen-Typ ein Feriengast. Der Gast ist König. Das war zwar keine Detektiv-Regel, aber meine Großmutter bestand trotzdem darauf.
»Selbstverständlich. Wasser kommt gleich«, grummelte ich also.
»Danke schön, sehr zuvorkommend. Ach ja – ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Remmer Klaus. Remmer ist der Vorname, nicht wahr?«
»Angenehm«, antwortete ich, »mein Name ist Harald Donnerschlag. Und das ist Trix Dobbsen.«
»Trix ist der Vorname«, röchelte Trix. Sie klang immer noch ziemlich mitgenommen.
Remmer Klaus lächelte. »Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, nicht wahr?«
Dann haute er uns die Tür vor der Nase zu.
Trix krächzte: »Ich schlage vor, wir gehen nun in der Tat sofort Wasser holen, nicht wahr?«
Ich nickte. »Und anschließend machen wir zeitnah mit den Ermittlungen weiter!«
Kapitel 5 In dem mein Mathelehrer Trix kennenlernt, ich mein Geburtstagsgeschenk bekomme und wir herausfinden, was Aurora Schwartz mit der Farbe Grün zu tun hat.
Wir holten vier leere Eimer aus dem Keller und liefen los. Fräulein Karnelia und Miss Moneypenny begleiteten uns. Sie schienen gerade nichts Besseres vorzuhaben.
Ich dachte über unseren Feriengast nach. »Dass meine Großmutter mir wegen diesem Remmer Klaus keinen Zettel hingelegt hat, finde ich schon seltsam.«
»Ruf sie doch einfach auf dem Handy an«, schlug Trix vor.
»Sie hat kein Handy.« Doch mir fiel etwas ein. »Telefonieren ist trotzdem eine gute Idee. Warte mal.« Ich stellte die Eimer ab, kramte mein Mobiltelefon heraus und wählte die Nummer von Magnus.
Es tutete lange.
»Was ist denn, Harald?«, kam dann die Stimme meines Bruders aus dem Telefon. »Ich hab grad gar keine Zeit.«
»Du, Magnus, ich wollte dich nur kurz fragen, ob Oma dir gesagt hat, dass ein Ferieng…«
»Ach ja, deshalb hat sie mich vorhin angerufen. Dich konnte sie nicht erreichen. Ich sollte dir eine Nachricht schreiben, dass Frau Schuhpisser euch einen Gast geschickt hat. Er heißt Remmer Klaus. Remmer ist der Vorname. Kann übrigens sein, dass ich heute Abend ziemlich spät komme, wartet nicht mit dem Abendessen auf mich.«
»Aber das Abendessen solltest du doch kochen, Magnu…«
Es tutete.
»Und?«, fragte Trix.
Ich steckte das Telefon ein. »Er hat mich wie immer nicht ausreden lassen. Aber offenbar hat meine Großmutter ihn über die Vermietung in Kenntnis gesetzt. Er sollte mir das ausrichten, hat es aber natürlich vergessen. Damit scheint also alles in Ordnung zu sein.« Ich sah auf mein Mobiltelefon, das tatsächlich einen verpassten Anruf von meiner Oma anzeigte. »Typisch Magnus. Er sagt, er kommt heute Abend erst sehr spät. Dabei sollte er uns Abendessen machen. Na ja, verhungern werden wir nicht. Wir haben ja meinen Geburtstagskuchen. Und Magnus kann sowieso nicht besonders gut kochen.«
Wir setzten unseren Weg fort.
Auf halber Strecke begegnete uns ein Mann im gelben Regenmantel. Er zog einen Bollerwagen hinter sich her, in dem vier volle Wassereimer standen.
Kurz entschlossen sprach ich ihn an. »Moin, ist bei Ihnen zufällig das Leitungswasser grün?«
Der Mann blieb stehen und lachte. »Nee, ich finde es nur irgendwie origineller, das Wasser am Brunnen zu holen. Na ja, besser gesagt, am Tankwagen.«
»Entschuldigen Sie, dass ich so dumm gefragt habe«, bemerkte ich in einem verbindlichen Tonfall. »Aber als Detektiv darf ich aus den vollen Eimern, die Sie transportieren, nicht voreilig auf die Farbe Ihres Leitungswassers