100 Prozent Anders. Tanja Mai
terminiert. Also: Lutz schickte wieder die beiden Faxe an uns raus, damit wir bestätigen konnten. Nach ein paar Tagen kam die Antwort von Dieter: „Kann nicht! DB.“ Aha, was war das? Ich war alarmiert. Da war es wieder, dieses mulmige Gefühl im Magen. Ich kannte Dieter gut genug, um zu wissen, dass er niemals ein Geschäft ausschlagen würde, wenn er nicht längst ein besseres in petto gehabt hätte. Trotzdem konnte ich seine Absage nicht einfach so hinnehmen. Ich griff zum Telefonhörer und rief Götz Kiso an. Götz war unser gemeinsamer Anwalt für die Belange von Modern Talking und auch der ehemalige Chef von Dieter. Doch dazu komme ich später.
Götz war immer der Vermittler zwischen uns beiden. Er nahm sich Dieter zur Brust, wenn dieser bei seinen Höhenflügen mal wieder nicht mehr zu stoppen war, und er bat mich oft um Erklärungen in schwierigen Situationen. Ich erzählte Götz von der Amerika-Sache.
Ich hatte nichts dagegen, dass Dieter Bohlen sich bei DSDS verwirklichen wollte oder in seinem Buch sein Leben als Comic illustrierte. Aber ich hatte etwas dagegen, wenn man Modern Talking und mich im Regen stehen ließ. Ich fragte Götz, was ich tun solle. Denn ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, und ich verdiene schließlich mein Geld damit. „Ich werde jetzt unsere US-Shows zum zweiten Mal absagen. Wann ist denn der beste Zeitpunkt für einen Alternativtermin?“, fragte ich Götz. „Ich kann es dir nicht sagen“, war seine lapidare Antwort. „Aber ich kann doch nicht darauf warten, bis Dieter irgendwann mal wieder Lust darauf hat, mit Modern Talking aufzutreten“, erwiderte ich. Ich werde die Antwort von Götz nie vergessen: „Thomas, ich gebe dir den guten Rat, nimm mit, was du kriegen kannst.“ Diese Botschaft war für mich eindeutig! Der „große Meister“ hatte keinen Bock mehr auf Modern Talking, wusste aber noch nicht, wie er das Ende für sich medial nutzen konnte.
Ich schrieb daraufhin Dieter ein Fax, dass ich seine Absage zwar nicht verstehe, als Alternative könne ich aber noch mal versuchen, die USA-Termine in den Mai zu legen. Ich sei auch gewillt, die Auftritte für mich alleine durchzuziehen, erklärte ich ihm. Ich bekam nie eine Antwort von Dieter.
Zwischenzeitlich hatte Lutz-Rainer Seidel immer wieder Kontakt mit unserem Agenten für die Amerika-Jobs. Lutz erklärte ihm, dass Dieter Bohlen keine Zusage für die Konzerte in den USA geben würde. Über dessen Antwort muss ich auch heute noch, nach so vielen Jahren, schmunzeln: Er fragte einfach, wo denn das Problem sei? „Dann soll Thomas Anders eben ohne seinen Gitarristen auftreten.“
Zwei Wochen später erfuhr ich über Dritte des Rätsels Lösung. Dieter hatte schon lange für eine Tournee mit den Teilnehmern der DSDS-Staffel im Mai 2003 unterschrieben und deshalb keine Zeit mehr für die Auftritte mit Modern Talking. Ich rief sofort Lutz an und sagte: „Unterschreibe bitte für die Shows in den USA. Ich mache es allein.“
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Nach rund zweieinhalb Stunden Fahrt kamen wir in Rostock vor der Konzerthalle an. Ich ging direkt in meine Garderobe. Ich wusste nicht, ob Dieter schon da war. Ich hatte aber auch nicht das dringende Bedürfnis, ihn freundlich zu begrüßen. Ich sagte „Hallo“ zu meinen Musikern, und wir stimmten uns auf die Show ein. Es ist immer etwas Besonderes vor der Eröffnungsshow einer Tour. Das Programm ist noch nicht hundertprozentig eingespielt, man singt neue Songs, man ist einfach etwas nervöser als sonst.
Mittlerweile waren auch Dieter und seine damalige Lebensabschnittsgefährtin Estefania (die eigentlich Ingrid Stefanie heißt) eingetrudelt. Wir nickten uns kurz zu. Minuten vor der Show bat Dieter mich in seine Garderobe, und da wusste ich, es drohte mal wieder Ärger. Wir standen uns gegenüber. Er sah mich missmutig an und fragte: „Bist du in Amerika aufgetreten?“ „Jetzt tu doch nicht so, als wüsstest du das nicht. Es ist schließlich schon einige Wochen her“, antwortete ich. „Damit das klar ist“, fauchte er, „ich verbiete dir mit Modern-Talking-Songs aufzutreten.“ „Du kannst es mir nicht verbieten“, gab ich scharf zurück. „Und ob ich das kann! Ich verbiete dir, mit meinen Songs aufzutreten. (Aha dachte ich, es sind also seine Songs.) Ich bin der Produzent und der Schreiber der Songs.“ Meine Freunde wissen, wie süffisant ich sein kann, wenn jemand unverschämt wird. Ich antwortete mit einem eiskalten Lächeln: „Verbieten kann es mir nur die Plattenfirma, denn sie besitzt die Rechte an den Titeln. Jedoch auch nur dann, wenn ich die originalen Produktionen benutze. Tue ich aber nicht. Zudem bist nicht du im Besitz der Rechte an den Produktionen, sondern die Schallplattenfirma. Und da ich die Songs alle neu vertone, kannst du mir gar nichts anhaben. Das weißt du genauso gut wie ich.“
Auch wenn er sich in seinem Buch zu erinnern glaubt, „ganz ruhig“ gewesen zu sein, in Wahrheit schäumte Dieter vor Wut und schrie: „Das werden wir sehen!“ „Abgesehen davon“, sagte ich, „ich finde es mal wieder hervorragend, vor einer Show und zum Start einer Tournee mit dieser Stimmung auf die Bühne zu gehen.“ „Das ist mir scheißegal!“ „Klar ist dir das scheißegal. So wie alles. Hauptsache, du hast dein überzogenes Ego mal wieder raushängen lassen. Du bist und bleibst ein A…!“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und ließ ihn allein zurück. Ich ging in meine Garderobe und war fassungslos. Was für ein niveauloser und egoistischer Typ dieser Bohlen doch war!
Das Sahnehäubchen der Egomanie wurde mir dann auch prompt akustisch serviert. Als Opener für unsere Show wurde just in dem Moment der Sieger der damaligen DSDS-Staffel angekündigt: Alexander Klaws. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass ich davon natürlich nichts wusste. Es brachte mir auch keine Genugtuung, dass er vom Publikum ausgebuht wurde. Die Fans wollten uns – und ich saß in meiner Garderobe und wusste, dass die letzten Minuten von Modern Talking eingeläutet waren.
Ich war froh, dass Claudia nicht dabei war. Als hätte sie eine Vorahnung gehabt, dass an diesem Abend ein großes Kapitel Musikgeschichte und gleichzeitig ein wichtiges Kapitel meines Lebens zu Ende gehen sollte. Wäre Claudia hier gewesen, hätten wir mit hängenden Köpfen in meiner Garderobe gesessen und versucht, uns die Situation zu erklären und Dieters Gehabe zu analysieren. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Claudia hätte sich nur ein weiteres Mal unnötig mit dem ganzen kindischen Bohlen-Kram belastet.
Nein, es war gut so, wie es war.
Unsere Show begann mit einem Instrumental als Intro. Dieter und ich standen hinter der Bühne auf Position und würdigten uns keines Blickes. Noch zehn Sekunden, neun, acht und … raus!
9 000 jubelnde Fans, begeisterte Gesichter, tosender Applaus und euphorische Stimmung. Glückseligkeit für die Nichtwissenden!
Wir zogen unsere Show durch. Dank meiner Professionalität und Disziplin lasse ich mich durch Missstimmungen und Probleme zum Glück nicht verunsichern. Alles, was auf der Bühne für mich zählt, ist das Publikum. Schließlich haben sich diese Menschen seit Wochen auf diesen Tag gefreut. Sie haben viel Geld für die Eintrittskarten bezahlt und womöglich große Anstrengungen auf sich genommen, um uns sehen zu können. Das gilt es zu respektieren, und ich tue alles dafür, dass ihr großer Tag für sie unvergesslich wird.
Das wurde er dann auch für das Rostocker Publikum, leider im negativen Sinne.
„Hallo, liebe Fans“, rief Dieter mitten in der Show, „ich muss euch sagen, mit Modern Talking ist es heute vorbei.“
Die Bombe war explodiert. Es war eine Erfahrung wie bei einem gewaltigen Gewitter! Die Menschen blicken zum Himmel, sehen den Blitz – und mit leichter Verspätung kommt dann der ohrenbetäubende Knall. Ich hatte den Eindruck, in den ersten Sekunden glaubten die meisten Zuschauer an einen Scherz von Dieter Bohlen. Es waren genau die Sekunden, die das Gehirn braucht, um eine unerwartete Information über die Ohrmuschel bis zu den Nervenenden zu empfangen und die Botschaft zu verstehen. AUS! VORBEI! ENDE!
Unser Publikum buhte und pfiff, bei den ersten Fans liefen die Tränen. Ich stand auf der Bühne und dachte: Was für ein armseliges Verhalten von Dieter. Es war ihm piepegal, dass wir am Anfang einer Tour standen! Es war ihm egal, dass uns in den kommenden zwei Wochen noch 50 000 Menschen sehen wollten, die sich auf uns gefreut hatten. Er nahm keinerlei Rücksicht auf Musiker, Techniker, Bühnenhelfer oder den Veranstalter. Dieter musste mal wieder den großen Zampano geben, der allein bestimmte, wo’s langging. Wohl aus einer Laune heraus, weil er wegen der USA-Reise beleidigt war. Er kam mir vor wie ein kleines Kind, ohne Sinn und Verstand. Auch das kannte ich bereits zur Genüge von ihm.
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