100 Prozent Anders. Tanja Mai

100 Prozent Anders - Tanja Mai


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fragte sie. „9 000 Menschen, ausverkauftes Haus“, antwortete ich. „Wie war Dieter heute drauf?“, wollte sie schlaftrunken wissen. „Er hat das Ende von Modern Talking auf der Bühne verkündet“, erzählte ich ihr ganz ruhig. „Was???“ Claudia war plötzlich hellwach. Sie klang fassungslos. „Ja, es ist vorbei“, antwortete ich. Zwischen Claudia und mir herrschte Stille. Wir waren geschockt. Nein, nicht über das Ende von Modern Talking. Wir waren geschockt, weil wir erleichtert waren. Endlich kein Wir-wissen-nicht-wie-er-heute-gelaunt-ist mehr. Kein Geschachere mehr hinter meinem Rücken, angesichts dessen ich Angst haben musste, dass er versuchte, auf meine Kosten mehr Geld für sich selbst rauszuschlagen. Keine Befürchtungen mehr, von ihm angelogen zu werden, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

      Es war kein Gefühl der Enttäuschung, sondern wir konnten endlich durchatmen. Endlich war es mir möglich, wieder ich selbst zu sein!

      Nach dem Konzert in Rostock waren im Vorfeld der Tournee ein paar Off-Days geplant gewesen, so nennt man die freien Tage während einer Tour. Ich hatte für meine Familie und mich von Berlin aus Flüge nach Mallorca gebucht, um Freunde zu besuchen. Es war das Pfingstwochenende, und ich wollte, bevor die Tournee fortgesetzt wird, zwei Tage Sonne tanken. So weit der Plan. Denn von Ruhe war nun keine Rede mehr. Das Medien-Echo war gewaltig: „Modern Talking am Ende“; „Dieter Bohlen macht Schluss!“; „Thomas Anders und Dieter Bohlen trennen sich zum zweiten Mal“; „Modern Talking hoffnungslos zerstritten“ und so weiter stand in großen Lettern in sämtlichen Zeitungen. Mein Handy stand nicht mehr still. Pausenlos Interviews, Statements und Besprechungen mit meinem Management.

      Im Gegensatz zu unserer ersten Trennung im Jahr 1987, als ich mich wie ein waidwundes Reh aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, war ich nun jedoch kampfbereit. Ich nutzte die Spielwiese der Boulevardmedien und bezog Stellung. Ich erklärte, dass der Zeitpunkt für die Trennung von Dieter falsch gewählt worden sei und er sich über die Wünsche und Hoffnungen unseres Publikums einfach hinweggesetzt habe. Ich betonte, dass ich trotz aller Misstöne zwischen Dieter und mir auf jeden Fall bereit gewesen wäre, die Tournee zu Ende zu spielen. Ohne Wenn und Aber!

      Wie ich später aus seinem Umfeld hörte, fand er wohl rückblickend seine Reaktion auf meine Amerika-Auftritte etwas überzogen und wollte sie relativieren. Doch ich hatte endgültig die Schnauze von ihm voll. Hier fällt mir ein Zitat von Götz Kiso ein, der Dieter immer wieder folgendermaßen beschrieben hatte: „Woher soll ich wissen, was ich denke, wenn ich nicht gehört habe, was ich sage.“ Eine verbale Punktlandung.

      Unsere Plattenfirma und unser Konzertveranstalter verlangten von Dieter, dass er mit mir noch ein letztes Abschlusskonzert am 23. Juni auf der Wuhlheide in Berlin geben müsse.

      Selbstverständlich sagte ich zu. Wenigstens konnte ich unseren Fans so etwas zurückgeben, was ihnen auf übelste Art und Weise genommen worden war. Ich flog mit Claudia und ein paar Freunden am 23. Juni vormittags von Frankfurt nach Berlin – mit tausend Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Was würde wohl am Abend passieren? Mit welchen Waffen würde Dieter auf der Bühne kämpfen? Fair, von Mann zu Mann, oder hatte er sich wieder verbale Gemeinheiten ausgedacht, um am Ende selbstverliebt in die Kameras zu grinsen und mich als Deppen dastehen zu lassen?

      Auch auf der Fahrt zur Wuhlheide, wo das Konzert stattfand, war ich in Gedanken versunken. Wir alle kennen das Gefühl, wenn man auf dem Weg zu etwas Ungewissem und Unangenehmem ist. Einerseits wünscht man sich, der Weg dorthin wäre noch lang. Auf der anderen Seite möchte man schnell am Ziel sein, um alles rasch hinter sich zu bringen.

      Im Backstage-Bereich der Wuhlheide herrschte gespielte Heiterkeit. Egal, ob es meine Freunde waren oder Dieters Umfeld. Man versuchte sich aus dem Weg zu gehen. Und wenn man doch jemanden aus dem anderen Lager traf, nickte man sich kurz zu und schaute schnell wieder in die andere Richtung. Die Chefs unserer Plattenfirma beteten, dass es nicht zu einem Eklat kommen würde, da am Montag nach unserem letzten Modern-Talking-Konzert unser „Best of“-Album im Handel sein sollte. Und Missstimmung ist immer ein schlechter Verkäufer.

      Auch bei dieser Show wurde, mal wieder ohne mein Wissen, ein „Produkt“ von Dieter Bohlen auf die Bühne gebracht: Yvonne Catterfeld. Sie erlitt das gleiche Schicksal wie Alexander Klaws in Rostock und wurde vom Publikum ausgebuht.

      Die Nerven der Fans lagen blank. Über der ganzen Veranstaltung lag eine leichte Wehmut, und die Frage nach dem Warum war in allen Köpfen! Warum musste es so weit kommen? Intuitiv kannten alle die Antwort.

      Ich kann mich nicht mehr an viele Dinge während der Show erinnern. Ich weiß aber, dass es total verkrampft zuging. Dieter und ich setzten unser Modern-Talking-Lächeln auf und sahen auf der Bühne professionell aneinander vorbei. Die Ansagen zwischen den einzelnen Liedern klangen heiter wie immer. Hier mal Bezug nehmend auf den nächsten Song, dann mal wieder ein lockerer Spruch, der die Leute zum Lachen bringen sollte. Doch irgendwie wollte an dem Abend niemand lachen. Ich fühlte ganz stark mit dem Publikum. 16 000 Menschen, die alle Songs mitsangen, frenetisch jubelten, um sich dann dessen bewusst zu werden, dass sie sich mit jedem Song wieder ein Stückchen näher ans endgültige Ende applaudierten.

      In all unseren Shows während der vergangenen Jahre war jedes Mal der Titel „You’re My Heart, You’re My Soul“ unsere Zugabe. Von Millionen Menschen gekauft und von noch viel mehr Menschen geliebt. Egal, ob „Cheri Cheri Lady“, „Brother Louie“, „You are Not Alone“ – das Publikum wartete am Ende eines jeden Auftritts auf „You’re My Heart, You’re My Soul“. Dieter wusste, wie wir alle, dass nach „You’re My Heart …“ das allerletzte Konzert vorbei sein würde. Unwiderruflich vorbei! Doch nicht einmal in dieser Situation schaffte er es, über seinen Schatten zu springen und den Menschen etwas Gutes zu tun.

      Das Konzert näherte sich also dem Ende. Es war ausgemacht, dass wir nach „Cheri Cheri Lady“ gemeinsam von der Bühne gehen sollten, um dann zusammen für „You’re My Heart …“ noch einmal zurückzukommen. Ich weiß bis heute nicht, ob es kalkuliert war oder ob Dieters Nervenkostüm vielleicht doch nicht so stark war, wie er gerne vorgibt. Die letzten Töne von „Cheri Cheri Lady“ jedenfalls waren noch nicht richtig verklungen, da sagte Dieter schon „You’re My Heart, You’re My Soul“ an. Au Scheiße, dachte ich. Wie kann ich die Situation retten? Wir müssen doch noch eine Zugabe geben. Es ist unsere allerletzte Show, und die soll tatsächlich ohne Zugabe enden? Ich war mit meinem Latein am Ende. Die Musik lief. Ich sang den Song, wie schon tausend Mal zuvor. Man kann mich nachts um 2 Uhr 47 wecken, und ich singe auf Knopfdruck „You’re My Heart, You’re My Soul“. Während ich sang, war ich in Gedanken permanent auf der Suche nach einer Lösung des Problems. Doch ich fand keine.

      Vorbei, der Song war zu Ende! Applaus, Jubel, Getrampel, winkende Hände, Tränen auf den Gesichtern, Tausende riefen und bettelten nach einer Zugabe. Ich verbeugte mich und dachte immer noch krampfhaft nach, wie die Situation zu retten wäre. Aber wo war Dieter? Ich sah nach rechts, dann nach links, zu den Musikern. Er war nicht mehr da. Ich blickte mich Hilfe suchend nach unserem Promoter um und sah durch das Getümmel aus Betreuern und Technikern hindurch, wie Dieter in die Limousine einstieg und wegbrauste. Mein Gott! Was für ein erbärmlicher Abgang!

      Was für ein armseliges Ende eines Duos, das Musikgeschichte geschrieben hat.

      Für mich wurde es dennoch eine lange Nacht. Claudia, Freunde und der Chef meines Musikverlages, Mike Weller, wir alle feierten im „Adlon“ in Berlin und mir wurde an dem Abend als Autor noch eine Goldene CD von „Universe“ überreicht. Wir feierten! Nicht das Ende von Modern Talking, sondern die einzigartige Karriere von Modern Talking und den Anfang eines neuen Lebensabschnittes.

      ***

      „Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie an Bord unserer Maschine von Berlin nach Ibiza und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug“, tönte es aus den Bordlautsprechern des Airberlin-Fliegers. Ich flog mit meiner Familie, wie jeden Sommer, nach Ibiza und wollte dort in unserem Haus einfach mal ausspannen. Die letzte Show von Modern Talking lag nur knapp einen Tag zurück und war doch schon so weit weg. Ich brauchte Urlaub. Einfach mal gar nichts tun! Einfach in den Tag hineinleben. Die lange Nacht steckte mir noch in den Knochen. Ich war todmüde. Während mir die Augen zufielen, ließ ich in Gedanken die letzten Monate und Jahre meines Lebens Revue


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