100 Prozent Anders. Tanja Mai

100 Prozent Anders - Tanja Mai


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gebracht: Yvonne Catterfeld. Sie erlitt das gleiche Schicksal wie Alexander Klaws in Rostock und wurde vom Publikum ausgebuht.

      Die Nerven der Fans lagen blank. Über der ganzen Veranstaltung lag eine leichte Wehmut, und die Frage nach dem Warum war in allen Köpfen! Warum musste es so weit kommen? Intuitiv kannten alle die Antwort.

      Ich kann mich nicht mehr an viele Dinge während der Show erinnern. Ich weiß aber, dass es total verkrampft zuging. Dieter und ich setzten unser Modern-Talking-Lächeln auf und sahen auf der Bühne professionell aneinander vorbei. Die Ansagen zwischen den einzelnen Liedern klangen heiter wie immer. Hier mal Bezug nehmend auf den nächsten Song, dann mal wieder ein lockerer Spruch, der die Leute zum Lachen bringen sollte. Doch irgendwie wollte an dem Abend niemand lachen. Ich fühlte ganz stark mit dem Publikum. 16 000 Menschen, die alle Songs mitsangen, frenetisch jubelten, um sich dann dessen bewusst zu werden, dass sie sich mit jedem Song wieder ein Stückchen näher ans endgültige Ende applaudierten.

      In all unseren Shows während der vergangenen Jahre war jedes Mal der Titel „You’re My Heart, You’re My Soul“ unsere Zugabe. Von Millionen Menschen gekauft und von noch viel mehr Menschen geliebt. Egal, ob „Cheri Cheri Lady“, „Brother Louie“, „You are Not Alone“ – das Publikum wartete am Ende eines jeden Auftritts auf „You’re My Heart, You’re My Soul“. Dieter wusste, wie wir alle, dass nach „You’re My Heart …“ das allerletzte Konzert vorbei sein würde. Unwiderruflich vorbei! Doch nicht einmal in dieser Situation schaffte er es, über seinen Schatten zu springen und den Menschen etwas Gutes zu tun.

      Das Konzert näherte sich also dem Ende. Es war ausgemacht, dass wir nach „Cheri Cheri Lady“ gemeinsam von der Bühne gehen sollten, um dann zusammen für „You’re My Heart …“ noch einmal zurückzukommen. Ich weiß bis heute nicht, ob es kalkuliert war oder ob Dieters Nervenkostüm vielleicht doch nicht so stark war, wie er gerne vorgibt. Die letzten Töne von „Cheri Cheri Lady“ jedenfalls waren noch nicht richtig verklungen, da sagte Dieter schon „You’re My Heart, You’re My Soul“ an. Au Scheiße, dachte ich. Wie kann ich die Situation retten? Wir müssen doch noch eine Zugabe geben. Es ist unsere allerletzte Show, und die soll tatsächlich ohne Zugabe enden? Ich war mit meinem Latein am Ende. Die Musik lief. Ich sang den Song, wie schon tausend Mal zuvor. Man kann mich nachts um 2 Uhr 47 wecken, und ich singe auf Knopfdruck „You’re My Heart, You’re My Soul“. Während ich sang, war ich in Gedanken permanent auf der Suche nach einer Lösung des Problems. Doch ich fand keine.

      Vorbei, der Song war zu Ende! Applaus, Jubel, Getrampel, winkende Hände, Tränen auf den Gesichtern, Tausende riefen und bettelten nach einer Zugabe. Ich verbeugte mich und dachte immer noch krampfhaft nach, wie die Situation zu retten wäre. Aber wo war Dieter? Ich sah nach rechts, dann nach links, zu den Musikern. Er war nicht mehr da. Ich blickte mich Hilfe suchend nach unserem Promoter um und sah durch das Getümmel aus Betreuern und Technikern hindurch, wie Dieter in die Limousine einstieg und wegbrauste. Mein Gott! Was für ein erbärmlicher Abgang!

      Was für ein armseliges Ende eines Duos, das Musikgeschichte geschrieben hat.

      Für mich wurde es dennoch eine lange Nacht. Claudia, Freunde und der Chef meines Musikverlages, Mike Weller, wir alle feierten im „Adlon“ in Berlin und mir wurde an dem Abend als Autor noch eine Goldene CD von „Universe“ überreicht. Wir feierten! Nicht das Ende von Modern Talking, sondern die einzigartige Karriere von Modern Talking und den Anfang eines neuen Lebensabschnittes.

      ***

      „Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie an Bord unserer Maschine von Berlin nach Ibiza und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug“, tönte es aus den Bordlautsprechern des Airberlin-Fliegers. Ich flog mit meiner Familie, wie jeden Sommer, nach Ibiza und wollte dort in unserem Haus einfach mal ausspannen. Die letzte Show von Modern Talking lag nur knapp einen Tag zurück und war doch schon so weit weg. Ich brauchte Urlaub. Einfach mal gar nichts tun! Einfach in den Tag hineinleben. Die lange Nacht steckte mir noch in den Knochen. Ich war todmüde. Während mir die Augen zufielen, ließ ich in Gedanken die letzten Monate und Jahre meines Lebens Revue passieren. Und noch bevor die Maschine abhob, war ich schon eingeschlafen und begann zu träumen …

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      Ich weiß heute nicht mehr genau, wann es anfing. Vielleicht mit drei oder vier Jahren. Aber seit ich denken kann, wollte ich immer nur Musik machen. Ich konnte kaum sprechen, da fing ich schon an, Lieder im Radio nachzusingen. Mein Bruder musste mir auch regelmäßig Songs aus dem Radio auf Kassette aufnehmen. „Rainer Holbe und die Starparade“ war Ende der 1960er Jahre total angesagt.

      Mich faszinierte die Welt der Musik und der Stars. Musik war für mich ein Gefühl auf einer anderen Ebene. Meine Eltern unterstützten diesen Drang zu meinem Glück.

      Mein Vater war es auch, der mit einem gewissen Nachdruck den Wunsch an uns Kinder weitergab, dass wir mindestens ein Instrument lernen sollten. Was ich übrigens für richtig halte. Er spielte sogar in seiner ehrenamtlichen Funktion als Bürgermeister von Mörz am St. Martinstag Akkordeon. Meine Geschwister und ich bekamen Klavierunterricht, bei Frau Pies im Nachbarort. Aber richtig gut singen kann bei uns in der Familie nur ich. Ich übte mich also am Klavier, sang in meinem Zimmer und bereitete mich schon als Dreikäsehoch mental vor auf die Bretter, die die Welt bedeuten.

      Mein Vater und meine Mutter bestaunten meine Musikbesessenheit mit diesem verständnisvollen Schmunzeln liebender Eltern. Dennoch gaben sie mir von Anfang an das Gefühl, dass sie mich ernst nahmen. Sie ließen uns Kinder sein, wie wir waren, und ließen uns machen, wozu wir Lust hatten. Während Achim in unserem Schützenverein Mitglied war, klebte ich von früh bis spät an jedem x-beliebigen Elektrogerät, aus dem Musik ertönte.

      Ich wuchs in einem liberalen, offenen Elternhaus auf. Meine Eltern erzogen uns Kinder dazu, fair und ehrlich miteinander umzugehen. Natürlich haben wir uns früher auch gestritten. Aber wenn es Probleme gibt, löse ich sie bis heute immer, indem ich Konflikte direkt anspreche und eine Lösung erarbeite. Grundsätzlich bin ich auf Harmonie bedacht. Jeder Tag, an dem ich mich streite, ist für mich ein verlorener Tag. Allerdings nur mit Blick auf Menschen, die ich mag, bei allen anderen ist es mir vollkommen egal.

      Als Schüler war ich sieben Jahre lang Klassensprecher. Wegen meiner ruhigen, bedächtigen Art strahlte ich auf meine Mitschüler anscheinend Führungsqualitäten aus. Ich war ihr Problemlöser. Sie wussten, wenn ich mich um etwas kümmerte, klappte das meist. Bis heute werde ich weder laut noch hysterisch, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Wozu auch? Wer rumschreit, löst keine Probleme. Es kommt immer auf den Ton und die Gestik an, wenn man persönliche Kritik übt. Das habe ich von meinen Eltern gelernt. Sie waren nie wirklich streng mit uns, sondern eher, wie man heutzutage erziehungstechnisch sagt, „liebevoll-konsequent“. Das ist auch nötig, wenn man drei Kinder hat. Dazu noch jede Menge Freunde, die ständig bei uns zu Besuch waren. Ohne eine klare Linie in der Erziehung, wäre es bei uns wie in einem Taubenschlag zugegangen.

      Meine Mutter besitzt ein ganz ruhiges, ausgeglichenes Wesen. Aber wehe, jemand sagt etwas Schlechtes über ihre Lieben, dann wird sie zur Löwin. Mama ist gelernte Dekorateurin. Von ihr habe ich die Liebe fürs Detail und alles Schöne geerbt. Solange ich denken kann, hat sie zu allen möglichen Jahreszeiten und Anlässen unser Haus umgestaltet und liebevoll geschmückt. Mein Vater baute seiner Familie ein Nest, meine Mutter richtete es ein und machte es uns gemütlich. Charakterlich habe ich mir – als Kind sicher unbewusst – vieles von meinen Eltern abgeschaut. Papa und ich sind total pragmatisch veranlagt. Haben wir uns mal für etwas entschieden, wird es auch durchgezogen. Nach dem Motto, jetzt haben wir A gesagt, dann sagen wir auch B, und dann gucken wir mal, was kommt.

      Papas Motto lautet, seit ich denken kann: Durch das Zerreden von Dingen ist noch niemand weitergekommen, durch das Anpacken schon. Das ist unsere Mentalität. Immer geradeheraus und dabei ehrlich sein. Man hat mir schon als Teenager nachgesagt, ich würde eine sehr ausgeprägte Form von Diplomatie besitzen. Meine Freunde meinten, ich könne Menschen ins Gesicht sagen, sie seien Arschlöcher, und dennoch fänden sie mich nett. Nur bei Dieter Bohlen hat das nicht funktioniert. Ihm habe ich ins Gesicht gesagt, was ich von


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