So wird man Rockstar und Millionär. Gene Simmons
meine Lebensführung ganz darauf auszurichten und alles aufs Spiel zu setzen. Wie sich herausstellte, wäre das Spiel letztlich zu meinen Gunsten ausgefallen, doch das vorauszusehen, war so gut wie unmöglich. Schon bald schmiss ich die verschiedenen Jobs dann allerdings doch hin, da unsere neue Band meine ganze Zeit in Anspruch nahm. Innerhalb von eineinhalb Jahren sollten wir es schaffen, im Anaheim Stadium in Kalifornien aufzutreten. Doch selbst das war noch kein Hinweis darauf, dass ich all meine Hoffnungen auf ein Ziel hätte ausrichten und alles auf eine Karte setzen sollen. Während meiner beiden Jobs und dem zusätzlichen Engagement in der Band lernte ich eine wichtige Lektion, die mich immer wieder vor Unglück bewahrte: Streue das Risiko. Spiele, um zu gewinnen.
„Egal, ob du glaubst, es zu schaffen, oder glaubst, es nicht zu schaffen – du hast Recht.“
HENRY FORD
(Industrieller, Gründer der Ford Motor Company und Erfinder des modernen Fließbandes)
Ich habe mich selbst erfunden. Bei der Geburt taufte man mich auf den Namen Chaim Witz. Witz (ausgesprochen Vitz) war der Nachname meines Vaters.
Für die meisten Amerikaner klingt mein ursprünglicher Vorname, als hätte eine Katze ein Haarknäuel verschluckt. Das liegt daran, dass der hebräische Guttural „ch“ (es ist vielleicht der bekannteste Laut des Hebräischen) in der englischen Sprache und auch den meisten der vom Latein abgeleiteten Sprachen so gut wie unbekannt ist. Eine Ausnahme stellt das Deutsche dar, das über ein eigenes, aber weniger kehliges „ch“ verfügt.
Nach unserer Ankunft dauerte es nicht lange, bis ich herausfand, dass mein hebräischer Name hier nicht zweckmäßig war. Niemand wusste, wie man ihn buchstabierte oder aussprach. Aus dem Grund fällt es Menschen westlicher Kulturen schwer, den Namen des jüdischen Feiertags Chanukka, des Lichtfestes, zu buchstabieren oder auszusprechen.
Und so entschied ich mich zu einer Namensänderung!
Genau.
So einfach.
Wenn ich dich nach deinem Namen frage, stehen die Chancen gut, dass du ihn mir verrätst. Aber ich kann dir eins sagen: Es ist nicht dein Name. Du hattest bei der Wahl kein Mitspracherecht. Wahrscheinlich wurde er schon vor deiner Geburt für dich ausgesucht.
Ich entschied mich zu einem eigenen Namen. Einem Namen, den ich mir selbst gab.
Im Leben hat man nicht viele Wahlmöglichkeiten. Man kann sich seine Herkunft nicht aussuchen. Man kann weder die Hautfarbe noch das Geschlecht bestimmen. Und so fällte ich die Entscheidung, mich neu zu erfinden, und begann dabei mit meinem Namen.
Ich wählte Gene wahrscheinlich wegen Gene Barry aus, dem Schauspieler aus den Fünfzigern und Sechzigern, der im Fernsehen bei Bat Masterson und Burke’s Law eine wichtige Rolle spielte, so wie auch im Sci-Fi-Film Krieg der Welten. Gene Barry war cool, und so wurde ich eben Gene.
Als sich Mum von meinem Vater scheiden ließ, nahm sie wieder ihren Mädchennamen Klein an, um die jüdische Tradition aufrechtzuerhalten. Nach Verlassen der Yeshiva und zeitgleich mit dem Beginn der fünften Klasse der staatlichen Schule verwandelte ich mich in Gene Klein. Ich musste meinen Namen bei jedem Vorstellen nicht mehr länger langsam buchstabieren oder übergenau aussprechen. Der neue Name verringerte das Gefühl, ein Außenseiter zu sein.
Obwohl mir der Klang des Namens Gene Klein deutlich besser gefiel als der von Chaim Witz, fand er noch nicht den idealen Widerhall.
Von der fünften Klasse bis um College-Abschluss hieß ich Gene Klein. Bis ich 1972 auf Paul Stanley traf! Paul trug damals auch einen anderen Namen, den er zu Paul Stanley änderte. Clever. Als es dann so aussah, dass ich in einer Rockband spielen würde, wurde mir bewusst, dass jüdisch anmutende Namen bei der breiten Masse von Hörern in den USA nicht gut ankamen. Das trifft eigentlich auch auf den Rest der Welt zu.
Ich bin sicherlich nicht derjenige, der über ein Falsch oder Richtig bei der Namenswahl entscheidet oder darüber urteilt, ob es von Bedeutung sein könnte, wie er klingt oder ob man ihn leicht aussprechen kann. Aber es ist wichtig, ob du ihn magst oder nicht.
Ich nahm die Situation nicht persönlich, sondern erkannte die Fakten an. Mir wurde klar, dass sich Robert Zimmerman in Bob Dylan verwandelt hatte. Marc Bolan von T. Rex wurde mit dem Namen Mark Feld geboren. Und einen Leslie West von Mountain kannte man früher als Leslie Weinstein. Sie alle hatten sich neu erfunden, ihre Namen geändert und damit zusammenhängend ihr Image.
Ich erkannte, dass ich meine Namenskreation abschließen musste. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, woher der Name Simmons stammte, doch er klang amerikanisch, und ich wollte Amerikaner sein.
Und so wurde ich 1972 Gene Simmons. Ich erinnere mich deutlich daran. Nach einer Probennacht mit der neuen Band fuhren Paul und ich mit der U-Bahn zurück nach Queens. (Wir konnten uns zu der Zeit beide keine Wohnung leisten. Paul lebte bei seinen Eltern und ich bei Mum.) Es war nach Mitternacht, und ich erklärte Paul, dass ich meinen Namen in Gene Simmons ändern würde.
Ganz einfach – und ich hatte mich neu erfunden.
Doch ich sah nicht so aus, als spielte ich in einer Rockband. Rockbands sahen so aus, als kämen sie aus Großbritannien, und bestanden meist aus Weißen. Es liegt nicht an mir, die sozioökonomischen Gründe für das Phänomen zu erklären, ich stelle nur fest, dass es so war. Und zum Großteil hat sich bis heute nichts daran geändert. Es ist wichtig, im Leben und im Geschäft die vorherrschenden Muster zu erkennen, sozusagen als eine Art Marktanalyse. Bitte denke immer daran, dass wir hier nicht über Künstler im Studio reden. Ich spreche von Rockstars!
In der modernen Rock-Ära (von 1962 bis heute) war der überwiegende Teil der Rockstars weiß und jung. Es tauchten kaum afroamerikanische Stars auf. Abhängig von der Definition eines „Rockstars“ sind sie auch heute kaum zu finden. Jimi Hendrix stellte eine der Ausnahmen dar, obwohl man bemerken muss, dass seine Kollegen in der ersten Besetzung weiß und Briten waren.
Niemals betraten asiatische Rockstars mit einem ähnlich weltweiten Erfolg die Bühne – nicht aus Indien, Japan, China oder irgendwo anders in Asien. Natürlich gab es noch nie chassidische Rockstars. Mal von Janis Joplin abgesehen, finden sich keine Frauen mit einer ähnlichen Bedeutung wie die Beatles oder Elvis.
Die wenigen jüdischen Rockstars änderten ihre Namen und/oder spielten die Tatsache herunter, dass sie als Juden geboren wurden. Sie kapierten, dass es den Massen egal war und dass das Herumwedeln mit einer jüdischen Flagge eher als abstoßend empfunden wird. Die Massen wollen einfach Rockstars!
Wir reden hier über Rock, denk dran! Nicht Pop oder Disco und New Wave noch einen anderen Musikstil. Sondern R-O-C-K.
Man musste in einer Band sein, Songs schreiben und selbst die Instrumente spielen. Voraussetzung waren Gitarren, ein Bass und Drums. Man musste jung sein, weiß (ich habe es ja gesagt!) und ein Mann. Es liegt wiederum nicht an mir, an dieser Stelle ein Werturteil zu fällen: Das Ganze mag ein Resultat der „weißwaschenden“ Medien gewesen sein oder eines schrecklichen, ungerechten Auswuchses von subtilem Rassismus in der Popkultur. Wo der Grund auch immer gelegen haben mag – ich wollte jedenfalls erfolgreich sein. Wenn sie sich nicht vor mir verneigten, so wie ich war, würde ich mich eben verwandeln und sie in ihrem eigenen Spiel schlagen.
R & B war hingen schwarz. The Temptations, die O’Jays und viele andere – glorreich schwarz.
Die Beatles, die Stones und Led Zeppelin und die anderen damaligen Rockstars hingegen waren alles junge, weiße und männliche Künstler, die eine bestimmte Ästhetik vertraten. Vom Aussehen her konnte ich mich nicht mit ihnen vergleichen, da ich nicht „so weiß“ war. Nicht wie ein Brite. Und so holte ich das Beste aus mir heraus. Ich ließ die Haare wachsen, lernte sie zu glätten und zu fönen und benutzte Haarspray. Das mache ich immer noch. Ich begann schrille Klamotten zu tragen, brachte mir das Songwriting selbst bei sowie das Gitarre- und Bassspiel.
Als wir 2012 in London auftraten, schaute Jimmy Page vorbei, um uns anzuchecken. Ungefähr ein Jahr später hielt ich mich