You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson
wie sie Lebensmittel lange einlagern konnte: Eine Kühltruhe war in der schwarzen Community wichtiger als ein Auto oder ein Fernseher. Es wurden große Portionen gekocht, eingefroren, wieder aufgetaut, gegessen. Oft kam immer wieder das Gleiche auf den Tisch: Pinto-Bohnen und Pinto-Suppe, Hühnchen, Hühnchen und noch mal Hühnchen, Eier-Sandwiches, Makrele mit Reis und so viel Spaghetti, dass ich heute noch keine Pasta mag. Aus Brausepulver machten wir uns Limonade. Wir bauten sogar selbst Gemüse an, denn Joseph hatte einen Schrebergarten in der Nähe und erntete Kartoffeln, Brechbohnen, Augenbohnen, Kohl, Rote Beete und Erdnüsse. Schon als kleine Kinder lernten wir, wie man säte und Stecklinge setzte, eine Reihe zog und darauf achtete, dass genug Abstand blieb, damit die Pflanzen gedeihen konnten. Wenn wir uns beschwerten, dass wir schmutzige Hände und Knie bekamen, und das taten wir oft, dann pflegte Joseph uns daran zu erinnern, dass er als Jugendlicher auf den Baumwollfeldern gearbeitet „und dabei jeden Tag dreihundert Pfund von dem Zeug gepflückt“ habe. Seiner Meinung nach war Mutter „die verdammt noch mal beste Köchin der ganzen Stadt“, und das Essen stand immer auf dem Tisch, wenn er zur Tür hereinkam. Sie halte das Haus perfekt in Ordnung, sagte er immer bewundernd. Alles war immer aufgeräumt und sauber. Deshalb sei sie, wie er meinte, die ideale Ehefrau.
Auch an Rebbie fand er in dieser Hinsicht nichts auszusetzen, denn sie übernahm schnell ebenfalls Hausfrauenpflichten – sie bereitete das Essen vor, kochte, machte sauber und achtete darauf, dass wir anderen unsere Aufgaben erledigten, wenn Mutter arbeitete. Rebbie war große Schwester und Kindermädchen in einer Person, und dementsprechend war sie streng, sanft, organisiert und kontrolliert. Meine stärkste Erinnerung an Rebbie ist, wie sie in der Küche steht und Kekse und kleine Kuchen für uns alle backt. Sie war außerdem das erste von uns Kindern, das „vielversprechende Ansätze“ zeigte, wie Joseph das nannte, als sie sich bei örtlichen Tanzwettbewerben anmeldete und gewann. Sie und Jackie traten manchmal auch als Paar an und räumten eine Reihe von Urkunden und Pokalen ab.
Mutter arbeitete unter der Woche, manchmal auch samstags oder in den Abendstunden, bei Sears an der Kasse. In diesem noblen Kaufhaus selbst einzukaufen, konnte sie sich nicht leisten. Und wenn sie es doch einmal tat, dann handelte es sich meist um Ratenkäufe, bei denen sie sich etwas mit einer Anzahlung sicherte und es dann erst später, wenn sie das Geld zusammenhatte, mit nach Hause nahm. Sears war für uns wie Harrods. Wir alle fanden es schrecklich, wenn wir sahen, wie Mutter Geld über den Tresen reichte und trotzdem mit leeren Händen nach Hause ging. Wir verstanden das einfach nicht. Für uns Kinder war das schwer, und wir beklagten uns häufig, Mutter hingegen nie. Sie biss sich weiter durch und vertraute auf Gott. Wenn sie einmal etwas Zeit hatte, dann las sie in der Bibel.
Mit zwei Jahren war sie an Kinderlähmung erkrankt und behielt davon eine Teillähmung zurück. Bis sie zehn war, hatte sie eine Beinschiene aus Holz tragen müssen. Ich weiß nicht viel darüber, wie schwer sie als Kind gelitten hat, aber sie wurde mehrfach operiert, versäumte viel Zeit in der Schule und behielt ein leichtes Humpeln zurück, weil eines ihrer Beine kürzer ist als das andere. Aber ich habe nie ein Wort der Klage von ihr gehört. Stattdessen pflegte sie zu sagen, dass sie dankbar sei, eine Krankheit überlebt zu haben, an der viele andere Menschen starben. Sie hatte davon geträumt, Schauspielerin zu werden, aber sie zeigte kein bisschen Verbitterung darüber, dass ihr das aufgrund der Erkrankung nicht mehr möglich war. Wegen der körperlichen Beeinträchtigungen wurde sie von anderen Kindern oft gehänselt, und daher war sie stets sehr unsicher und schüchtern. Bei einem der ersten Treffen mit Joseph, als die beiden eine Tanzveranstaltung besuchten und zu einem langsamen Lied schwoften, begann Mutter, damals neunzehn Jahre alt, zu zittern. „Was ist denn los, Katie?“, fragte Joseph.
„Alle starren uns an“, sagte sie und traute sich nicht einmal, den Kopf zu heben.
Er sah sich um und stellte fest, dass sie das einzige Paar auf der Tanzfläche waren. Andere Gäste zeigten auf sie und tuschelten hinter vorgehaltener Hand, vermutlich deswegen, weil Mutter ein kürzeres Bein hatte und deswegen einen Schuh mit einem Keil trug, um den Unterschied auszugleichen. Als Jugendliche hatte sie Partys und gesellschaftliche Anlässe gefürchtet, aber Joseph ignorierte die Blicke und sah die Sache positiv. „Wir haben jetzt doch richtig viel Platz, Katie“, sagte er. „Komm, wir tanzen weiter.“
Mutter war als Kind aus Alabama nach Indiana gekommen, weil Papa Prince sich um Arbeit in der Stahlindustrie bemühte. Sie hatte immer davon geträumt, eines Tages einen Musiker kennenzulernen, und Joseph, der Gitarre spielte, erfüllte diese Anforderung durchaus. Sie gingen ein Frühjahr und einen Sommer lang miteinander aus, bevor sie heirateten. Getroffen hatten sie sich auf der Straße – oder vielmehr, Mutter befand sich draußen auf der Straße, und Joseph saß im Haus am Fenster, als sie auf dem Fahrrad an ihm vorüberfuhr. Sie tauschten Blicke aus, und sie nahm noch eine Woche oder zwei dieselbe Strecke, bis Joseph sich endlich ein Herz fasste, nach draußen kam und sich vorstellte. Daraufhin verabredeten sie sich für ein erstes Treffen im Kino und später dann zu besagter Tanzveranstaltung. Katie Scruse, das Mädchen mit der goldenen Haut, das so schüchtern war, dass es sich nicht traute, anderen ins Gesicht zu sehen, verliebte sich in Joseph Jackson, den hageren, großmäuligen, charismatischen Arbeiter. Sie wurden im November 1949 von einem Friedensrichter getraut und kauften unser Elternhaus in Gary zum Preis von 8.500 Dollar. Einen Teil der Summe brachte Joseph durch seine Ersparnisse auf, den Rest lieh ihnen Mutters Stiefvater.
Aus den geplanten drei Kindern wurden vier, dann fünf und so weiter. Sie versuchten, das bisschen Geld, das Mutter verdiente, zu sparen, denn sie hoffte darauf, dass Joseph eines Tages ein zusätzliches Zimmer würde anbauen können, damit alle mehr Platz hätten. In meiner Kindheit lagen im Garten hinterm Haus einige Reihen Betonsteine aufgestapelt, die allein mit ihrer Gegenwart immer wieder mahnend daran erinnerten, dass meine Mutter gern ein größeres, besseres Haus gehabt hätte.
Die Erinnerung an unser kleines Haus ist für mich mit den verschiedensten Dingen verbunden. Dass es so beengt war, wir uns alle um Mutter scharten und uns ständig gegenseitig auf die Füße traten, machte es nicht gerade besonders gemütlich, aber es war ein Spiegel dessen, was meine Eltern ständig predigten: Zusammenhalten und Zusammenrücken. Ein so enger Verbund schafft Loyalität. Und aus Loyalität erwächst Stärke. Das wurde uns eingebläut. Deswegen wurden wir zu einer Einheit, die nur geschlossen vorging. Das konnten in Gary die wenigsten Familien von sich behaupten. Gary war eine Arbeiterstadt, die 1906 mit der Muskelkraft afroamerikanischer Einwanderer errichtet worden war, die auf den Sanddünen und dem Buschland im Nordwesten von Indiana einen wichtigen Standort der Stahlindustrie aus dem Boden stampften.
Die alten Männer erzählten gern, dass die Arbeitsmoral damals von Blut, Schweiß und harter Plackerei bestimmt wurde. Die Männer in Gary hatten keine Angst davor, Überstunden zu machen und sich abzurackern. „Wer wirklich hart arbeitet, der kommt auch voran“, sagte Joseph. „Man bekommt zurück, was man einzahlt.“ In den Augen seiner Vorväter hatte man etwas „geleistet“, wenn man eine gut bezahlte Arbeit und ein eigenes Haus vorweisen konnte, aber er wollte immer, dass wir einmal höhere Ziele verwirklichten als er. Niemand von uns bekam den typischen Spruch vieler Väter zu hören: „Hör auf mit der Tagträumerei und such dir einen richtigen Job!“ Nein. Unser Vater wollte, dass wir einen Traum hatten und dass wir ihn in die Tat umsetzten.
Etwa 90 Prozent der Bevölkerung von Gary und Umgebung fanden Arbeit bei Inland Steel, kurz „die Fabrik“ genannt, die eine halbe Autostunde entfernt im angrenzenden East Chicago lag. Joseph war dort Kranführer und transportierte Stahlträger von einem Ort zum anderen. Es war eine harte Arbeit in Schichten von acht oder zehn Stunden. Wenn er oben in seiner verglasten Kanzel saß, gingen seine Gedanken oft zurück zu seiner Kindheit in Durmott, einem Ort südlich von Little Rock in Arkansas. Als junger Mann hatte er sein Taschengeld für Kinobesuche ausgegeben und sich Stummfilme angesehen, und er hatte sich stets gesagt, dass er eines Tages der erste Schwarze sein werde, der in einem solchen Streifen auftrat. Schichtarbeit in der Fabrik kam diesem Traum nicht gerade nahe. Es war Sklavenarbeit, ganz in der Tradition dessen, was schwarze Männer vor ihm schon immer hatten leisten müssen. „Es geht darum, aufzusteigen, nicht darum, unten zu bleiben“, pflegte er zu sagen.
Nach seiner Ankunft in Indiana, noch bevor er Mutter kennenlernte, hatte er bei der Eisenbahn gearbeitet. Dann bekam er einen Job in einer Eisengießerei und bediente einen Dampfhammer in der Hitze eines großen Hochofens. „Hitze?