The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


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Beachcombers gab ihm dazu reichlich Gelegenheit.

      Ihre erste Show war ein Engagement als Vorgruppe von Cliff Bennett & The Rebel Rousers, die Ex-Band seines Vorgängers Ricky Winters, im gut eingeführten Fender Club von Kenton. Angesichts der nicht einfachen Premiere fürchteten die anderen, dass Keith den beim Vorspielen bewiesenen Mut auf der Bühne vermissen­ lassen könnte; doch weit gefehlt. „Wir dürfen uns nicht zurücknehmen, bloß weil wir die Vorgruppe sind“ wies er seine erfahrenen Kollegen an. „Wir müssen hier alles geben. Wir müssen Eindruck hinterlassen.“ Und so spielte er dann auch.

      Der Erfolg gab ihm Recht. Das Publikum begann über den wilden Knaben hinter den Trommeln zu sprechen, kaum dass der Vorhang aufgegangen war. Schon nach dieser ersten Vorstellung kamen Leute zum nächsten Gig, nur um zu sehen, wie dieser in Gold gehüllte Knirps sein Schlagzeug verprügelte.

      Keith schlug von Anfang an härter, spektakulärer, ungewöhnlicher und rücksichtsloser auf seine Felle und Becken ein als alle anderen Drummer im Tourzirkus des Bob Druce. Seine Arme wirbelten wie nimmermüde Propeller über das silberblaue Premier, während er Grimmassen schnitt und wie ein Fechter in die Luft stieß, und unablässig wuchtete sein kleiner Fuß den gepolsterten Schlegel der Fußmaschine gegen die ächzende Membran der Basstrommel.

      Für seine neuen Mitmusiker war der unberechenbare Bühnensturm, der hinter ihnen mit ersten Note losbrach, nicht ganz einfach zu verdauen. Keith hatte in seine Becken zusätzlich lose Nieten eingearbeitet, die bei jedem Schlag sirrten und giftig nachschepperten, was vor allem den Sänger in der Ausübung seiner Kunst stark behinderte.

      Ron Chenery war ein Vokalist der alten Fünfzigerjahreschule. Er genoss es, bei sanften Balladen im Rampenlicht zu stehen und die Herzen der anwesenden Mädchen für ein späteres Stelldichein zu erweichen. Dieses Vorhaben versuchte Keith zu torpedieren. Er wollte selbst der Star der Band sein, und Ron musste zunehmend akzeptieren, dass er das auch wurde. Die kreischenden Girls der Sechziger wollten keinen vierundzwanzigjährigen Ingenieur mehr zum Objekt ihrer romantischen Verehrung. Aber ein verrückter, süßer Bengel, der offenbar nur Schlagzeugspielen, auffällige Klamotten und Blödsinn hinter seinen großen Haselmausaugen im Sinn hatte, der sollte doch offensichtlich keine Schwierigkeiten haben, die Mädchen wie reife Trauben zu pflücken.

      Von wegen, das Gegenteil war der Fall. Keith war furchtbar schüchtern und hatte, weit von seinem Surferideal – „two girls for every boy“ – entfernt, noch nicht einmal eine Freundin gehabt. Er nahm nach wie vor keine Drogen, kannte keinen Brandy und rauchte nur, um anzugeben.

      Vielleicht war die Zeit mit Ron, Norman, Tony und John aus diesem Grund die schönste seines Lebens – nahe an der Erfüllung, mit noch viel Spielraum nach oben, aber ohne die unkontrollierbaren Abgründe, die zehrenden, lastenden, ihn letztlich verschlingenden dunklen Tiefen des Ruhms. In seinem Ideal sah es wohl so aus, dass man die Drogen, den Alkohol und den Sex leichthin beherrschte und sich ihren lichten, das Musikerleben zusätzlich verschönernden Wirkungen freudig­ hingab, um anderntags genauso unbeschwert weitermachen zu können.

      Abhängigkeit, die Not, sich bei Bedarf schnell auf volle Leistung bringen zu müssen, danach nicht schlafen zu können, es sei denn mit Tabletten, um am näch­sten Morgen mit bleiernem Kopf aus dem Hotel zu taumeln, keine andere Hilfe greifbar als die kleinen, bunten Aufputschpillen in der Blechdose, um sich wieder in Form für den nächsten Auftritt zu bringen – all das kannte er noch nicht. Davor stand sein sonniger Tagtraum, dass es Genusssucht ohne Strafe gab, Ruhm ohne Preis, Hemmungslosigkeit ohne Reue. Allein das Schlagzeug und die Band sollten ihn zur Erfüllung führen; alles andere war nebensächlich. Keith glaubte an sich, und er glaubte an Ron, Norman, Tony und John, die ihn in seiner Entwicklung weiter voranbrachten als alle Bands zuvor.

      Dass umgekehrt auch The Beachcombers von Keiths Einfluss profitierten, beweist man am leichtesten, indem man jene zitiert, die eigentlich auf ihn schim­pfen müssten, nachdem er sie verlassen hatte. Aber noch heute schwärmen die ehemaligen Bandkollegen von ihrer Zeit mit Keith, die vielleicht nicht einfach, aber einfach die aufregendste in ihrem Leben gewesen war.

      „Er unternahm natürlich alles, um im Mittelpunkt zu stehen“, sagt Norman, dessen technisch anspruchsvolle Soli unter dem nachhaltig vibrierenden Echo der genieteten Becken mehr als einmal einen stillen Tod starben. „Er wollte auffallen und war sehr extrovertiert, aber man konnte ihm das nicht übelnehmen. Er arbeitete sehr hart daran, ein Entertainer zu werden. Viele Leute kamen bloß wegen ihm. Andere hielten ihn für einen aufgeblasenen Wicht, der sich für den Größen hält. Aber man musste so sein, wenn man weiterkommen wollte. Er kapierte das, und er hatte den Mut, es zu zeigen.“

      Kurz nach seinem ersten Auftritt druckte Keith auf seine Basstrommel einen kühnen Schriftzug: „I am the Greatest“.

      „Je mehr Leute das sahen und kommentierten, um so glücklicher war er“, erzählt Tony, der Bassist, mit dem Keith sich am besten verstand.

      Einmal hatten sie einen Auftritt vor gut tausend Zuschauern in Kent, und es gab keine Umkleideräume. So mussten sie sich in der Halle in ihre Bühnen­kostüme­ zwängen, Keith in seinen goldenen Astronautenanzug, die anderen in ihre gemäßigteren Bronze-Outfits. Die vier kupferbraunen Twens schlichen möglichst unauffällig zur Bühne, während Keith, ganz der goldene Surfer auf einer Woge der Begeisterung, die Gelegenheit beim Schopf packte und seine Basstrommel mit dem blasphemischen Selbstbekenntnis prahlerisch über dem Kopf schwenkte, damit nur jeder es sah und über ihn sprach.

      Bald forderte er von den anderen ähnlichen Einsatz auf dem Gebiet der Selbstdarstellung. „Schaut mich an: Ich klebe hinter meinem Schlagzeug und bin trotzdem sichtbarer als jeder von euch. Ihr müsst euch mehr bewegen, mehr auf euch aufmerksam machen.“

      Halbherzig befolgten die Älteren seine Anweisungen. Wenn es Keith zu brav auf der Bühne zuging, warf er mit Trommelstöcken nach ihnen. Oder er nahm Ron aufs Korn, wenn der wieder einmal zu einer Schnulze wie „Surrender“ ­ansetzte.­ Sanfte Beckenbegleitung oder die Marschtrommel mit dem Besen zu streicheln, wäre da die passende Begleitung für einen Drummer mit mehr Zurückhaltung gewesen. Doch Keith war kein zurückhaltender Drummer. Er wollte­ laut und aggressiv spielen. Er war so laut, dass einmal sogar sein großer Protegé im Oldfield Hotel, Lou Hunt, um Erbarmen flehte, weil der Barmann keine Bestellung mehr hörte: „Um Himmels Willen, spiel leiser!“ Keith war daraufhin schwer beleidigt und verkündete: „Ich kann nicht leise spielen, ich bin ein Rockschlagzeuger. Wenn ihr’s leiser wollt, holt euch eine Tanzkapelle.“

      Speziell Ron, der verdiente Senior der Beachcombers, den sein sechzehnjäh­riger Drummer bald in jeder Hinsicht in den Schatten stellte, auf bekannt charmante­ Weise zwar, aber gleichwohl ohne Gnade, geriet deswegen einige Male mit Keith aneinander. Die Leute wollten nun mal Schnulzen hören, und die Musiker wurden dafür bezahlt, die Wünsche ihres Publikums zu erfüllen, das zu einem großen Teil aus jungen Frauen und Männern bestand, die Balladen vor allem dazu nutzten, einander näher zu kommen.

      Keith verschloss sich diesen Argumenten und Klagen keineswegs; aber bald brach seine ungezügelte Natur wieder durch, und er veranstaltete einen kleinen Trommelwirbel mitten in Rons gefühlvollem Gesang, oder er drosch so heftig auf seine rasselnden Beckenschüsseln ein, dass die Leadgitarre im Blechinferno ­verschütt ging.

      Andererseits sprach der Erfolg für Keith. Er hatte mit Unterstützung von John und Tony, die ebenfalls erneuerungswillig waren, durchgesetzt, dass fetzigere, aktuelle R&B-Stücke wie „Come On“ die überholten Evergreens wie „La Bamba“ oder „Sweet Little Sixteen“ ersetzten. Alle spürten, dass eine neue, härtere Gangart in den Tanzsälen von London Einzug hielt und ein jüngeres, aggressiveres Publikum nach mehr verlangte, als hübsche Melodien zu einstudierten Tanzschritten zu hören. Eine andere Londoner Band, The Rolling Stones, mit dem Schlagzeuger Charlie Watts aus Keiths Nachbarviertel Kingsbury, hatten vorgemacht, wie man Erfolg hatte: Man musste die braven Anzüge ablegen, die Haare wachsen lassen, eine wilde Show auf der Bühne zelebrieren, eine Ahnung von Sex und dunkel wirkender Leidenschaft in die Köpfe der Zuschauer zaubern und alles andere für die Musik aufgeben.

      Keith hatte recht, wenn er das von seinen Bandkollegen verlangte. Aber sie waren zu alt dafür, zu gesetzt, vielleicht auch zu gebildet. Immerhin gelang


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