The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


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Tochter aus gutem Haus, die seine Unsicherheit eindämmte und die extremen Schwankungen seiner Künstlernatur ausglich.

      Anfang Februar 1964, kurz nach einer heftigen Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe, sollte sich zeigen, dass die kunstvollen und legeren Aspekte des Musiker­daseins, die Townshend verkörperte, genauso wichtig waren wie Rogers Durchsetzungsvermögen und Tatkraft.

      John hatte in der Fernsehsendung „Thank Your Lucky Stars“ am 1. Februar eine irische Gruppe gesehen, die sich Johnny Devlin And The Detours nannte. Aufgeschreckt informierte er seine Bandkollegen. Pete hatte gerade damit begonnen, ein Detours-Logo für Poster und für die Präsentation der Demobänder zu entwerfen, aber wie John berichtete: „Die anderen Detours waren zu neunt und Iren; wir dachten, sie sind im Fernsehen aufgetreten, sie sind bekannter als wir; also können wir uns nicht länger The Detours nennen.“

      Nach ihrem nächsten Auftritt, am folgenden Freitag, also in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1964, fuhr Roger die anderen wie üblich nach Hause. Erste Station war Petes Wohnung in der Sunnyside Road. „Wir saßen Ewigkeiten im Transporter und versuchten, einen neuen Namen zu erfinden“, erzählt Roger.

      Pete schlug vor, seinen Mitbewohner Barnes in die Beratung einzubeziehen, und so saßen bald alle in der Kunststudentenbude, schlürften Kaffee und spielten Pingpong mit neuen Bandnamen. Pete und Barney stimulierten sich zusätzlich mit ihrer Lieblingsdroge Pot, woraufhin sie beseelt eine etwas abgehobene Meinungsführerschaft reklamierten. Zeuge Barnes erinnert sich:

      „Ich wollte einen Namen, der die Leute innehalten und überlegen ließ, damit sie sich an die Gruppe erinnerten. Die ersten beiden Namen, an die ich dachte,­ waren The Group und The Name. Pete kam mit The Hair daher. Ein anderer­ Vorschlag war No-One. Wir stellten uns Lou, den Ansager im Oldfield, vor, wie er uns ankündigte: ‚Und jetzt, Ladies und Gentlemen, die nächste Gruppe,­ sie heißt Die Gruppe‘. Aber schließlich dachte ich, dass The Who am besten funktionieren würde. Es ließ die Leute zweimal nachdenken, wenn sie es lasen, und es würde auf Plakaten gut aussehen, weil es so kurz war und deshalb groß gedruckt wurde. Und Lou hätte auch seinen Spaß damit, oder aber ein großes­ Problem. Wir kamen zu keiner Entscheidung in dieser Nacht, aber wir engten die Wahl ein auf entweder The Who oder The Hair.“

      Pete schlug zwar noch die Variante The Who And The Hair vor, war aber mit seiner Begeisterung darüber allein; den anderen klang dieser Kompromiss zu sehr nach Pub. Am nächsten Morgen holte Roger Pete ab, um bei Jim Marshall einige­ Verstärker für den Samstagabend auszuleihen. Barnes kam gerade die Treppe herab, wo Roger ihn stoppte und knapp ansprach: „The Who, oder?“ Damit war die Entscheidung gefallen.

      Christian Suchatzki erzählt eine leicht abgewandelte Version, wie The Who zu ihrem neuen Namen kamen: „Übereinstimmend ist, dass im Apartment im Beisein von Richard Barnes die Anwesenden ihre Vorschläge hinsichtlich des zukünfti­gen­ Bandnamens in die Runde warfen. Das Pot musste jedoch Barnes’ akustischer Wahrnehmung ziemlich zugesetzt haben, denn nach jedem Vorschlag fragte­ der in seinem Hörvermögen Beeinträchtige: ‚the who?‘ Bis dann schließlich seine kategorische Frage als neuer Bandname ernsthaft in Betracht gezogen wurde.“

      Zweierlei dürfen wir festhalten: Zum einen überrascht Pete im Marihuana­nebel als Visionär. Das Thema „Haar“ war damals äußerst kontrovers und wurde heiß diskutiert. Es war eigentlich klar, dass irgendwer diesen Begriff besetzen und damit Erfolg haben würde, wie es drei Jahre später das Musical Hair bewies. Es ist äußerst fraglich, ob es diese erfolgreiche Popoperette je gegeben hätte, wäre Petes Vorschlag angenommen worden. Hair wurde von seinen beiden Autoren, Gerome Ragni und James Rado, in den Jahren 1965 bis 1967 entwickelt und dann uraufgeführt. Zu dieser Zeit hatten The Who aber schon ihr erstes halbes Dutzend­ Hits veröffentlich – kaum denkbar also, dass ein gleichnamiges Musical daraufhin durchsetzbar gewesen wäre.

      Zweitens bestimmte Roger noch immer ziemlich uneingeschränkt über Wohl und Wehe der Band. Er hatte zielsicher jenen Begriff ausgewählt, der nicht von seinem bandinternen Konkurrenten stammte und der außerdem sachte darauf hinwies, was Rogers eigentliches Thema im Leben wie in der Musik war: Identität.

      Wer bin ich? Wer bist du? Wer steckt dahinter?

      Roger legte die Grenzen fest, auch zu Petes Vorteil. Denn unter ihrem gemeinsamen Leitmotiv – „Identität“ – entwickelte sich Roger als Interpret, Pete als Songwriter und die Band in ihrer Beziehung zum Publikum. The Who war damit ein verblüffend programmatischer Name. Die Formulierung und Erfahrung von Identität sollte The Who in den folgenden vierzehn Jahren so viel innere Stabilität eintragen, dass die Bandmitglieder alle persönlichen Differenzen überwanden und die am längsten ohne Unterbrechung zusammen spielende Besetzung der Rockgeschichte wurden. Und die wohl einmalige Anhängerschaft der Who-Fans basiert mit Sicherheit ebenfalls darauf, dass sie ihre Identität mit The Who und in deren Songs erfühlen.

      Die offizielle Taufe in The Who im Oldfield Hotel verlief laut Doug Sandoms Erinnerung wie erhofft: „Wir beendeten unser Set, und Lou nahm das Mikro und sagte: ‚Wer ist wieder hier nächste Woche?‘’ Und alle riefen: ‚Die Detours.‘ Und er fragte: ‚Die Wer?‘ Darauf alle: ‚The Detours.‘ Und er wieder: ‚The Who?‘ Und so weiter und so fort. Und zum Schluss hatte er es geschafft, dass es bei jedem angekommen war; aber sie kriegten es noch nicht richtig in den Kopf, es war ein zu seltsamer Name.“

      Nach allem, was wir heute wissen, spielten The Who erstmals unter ihrem neuen Namen am 20. Februar 1964 im Oldfield Hotel, und die Ansage von Lou lautete wörtlich: „Who’s up here next week?“

      Es war wirklich ein seltsamer Name. Ein sehr seltsamer. Aber er funktionierte.­ Barnes druckte an der Kunstschule die ersten Poster für die Auftritte im Railway Hotel jeden Dienstag, und „The Who“ prangte tatsächlich bald weithin sichtbar von den Wänden. Außerdem wurde mit Gordons finanzieller Hilfe eine kleine Anzeige im Melody Maker geschaltet, unterstützt auch von Marshalls Werbung, der natürlich The Who als Kunden nannte.

      Vor der Umsetzung der programmatischen Idee, die in ihren Trägern sicher erst halbbewusst geschlummert hatte, musste das kreative Spannungsfeld freilich noch viel komplexer und kunstvoller werden. Es gab zwar die krachenden Auseinandersetzungen zwischen Roger, dem Boss, der gleichwohl angreifbar war, und seinem entschlossenen Herausforderer Pete, der schon alle künftigen Waffen in Reichweite hielt und nur auf den geeigneten Moment zur Revolution zu warten schien – doch im Fußvolk fehlte der Enthusiasmus.

      John war unbestritten auf dem Weg, ein hervorragender, bahnbrechender Musiker zu werden, in emotionaler Hinsicht jedoch wirkte er viel zu ausgleichend, zu unkämpferisch, um den Erfolg um jeden Preis anzustreben. Er glättete die Wogen lieber, statt einen Sturm zu entfesseln, und er hielt sich aus jeder Konfrontation mit britischer Distinguiertheit heraus.

      Blieb noch Doug. Er hatte den ständigen, nervenaufreibenden Antagonismus zwischen Daltrey und Townshend, der sich an allen Fragen zur Musik und ihrer Umsetzung entzündete, genauso satt wie John, konnte sich aber nicht so einfach heraushalten wie der stoische Bassist, der seinen Spitznahmen „The Ox“ auch aus seiner Einhalt gebietenden, massiven Körperlichkeit bezog. Einen Stier reizte man nicht zu sehr; einen kleinen, zartgliedrigen, etwas miesepetrig dreinblickenden Schlagzeuger mit gegenläufiger Ambition schon eher.

      Doug konnte mit Rogers und Petes ehrgeizigen Jugendträumen von Ruhm und Reichtum nichts mehr anfangen. Seine Frau erwartete ein Kind, nächtelange ­Diskussionen um Klang und Note waren aus seiner Sicht fruchtlos. Er konnte sie freilich auch nicht beenden. Vielleicht litt er darunter besonders, dass er der Älteste und Erfahrenste, zugleich aber der Schwächste war, ein Zweiunddreißigjähriger ohne Autorität bei dem erst neunzehnjährigen Pete und bei Roger, der kurz nach der Umbenennung in The Who zwanzig geworden war.

      Pete stichelte gern über Dougs Rolle unter der Fuchtel seiner Frau, die naturgemäß kein Interesse hatte, ihren Ehemann sechs oder sieben Nächte pro Woche unter wildgewordenen sechzehnjährigen Mädchen verbringen zu lassen.

      Roger hielt sich dagegen bei diesem Thema merklich zurück, denn er kreuzte­ inzwischen selbst bedrohlich nahe am Hafen der Ehe. Seine um die Leibesmitte bereits recht füllig gewordene jugendliche Geliebte, die sechzehnjährige Jacqueline­ Rickman,


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