The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
Das musste Pete, den Egozentriker, auf den Plan rufen. Wie ein musikalischer Dr. Frankenstein, der von seiner selbstgezüchteten Kreatur überrumpelt wird, versuchte er „seine“ Who zu zerstören, weil sie ihm zu banal, zu unecht, zu langweilig, zu unadäquat, zu unzeitgemäß geworden waren. Und Keith nahm den Ball begeistert auf. Er zerstörte aber nicht die Gruppe, sondern sich selbst. Er war „die verfluchte Seele dieser Band“, wie ihr Manager Stamp einmal sagte. Pete hingegen war ihr Gehirn. Er versuchte, in die Abläufe der Welt gestaltend einzugreifen, durchdrang ihre Versäumnisse, Eitelkeiten und Gemeinheiten – und zog sich zunehmend davon zurück. Keith stürzte sich mitten hinein. In die Versäumnisse, Missstände, Etikettierungen, Schweinereien; er sonnte und suhlte sich darin; er lebte die Dekadenz seiner Zeit und ging mit ihr unter.
Zwischen diesen beiden Extremen blieb die Band außergewöhnlich lebendig und wandelfähig. Verblüffenderweise wirkt Moons spiegelbildliche, undurchdachte Selbstinszenierung und Destruktion in der Nachschau oft genauso produktiv, fruchtbar, heilsam – und auf seltsame Weise sogar erzieherischer – als Petes scharfsinnige Thesen, Selbsterkenntnisse und artifizielle Schöpfungen. Roger, Pete und John waren zu allem bereit und hatten das erforderliche musikalische Talent. Aber ihnen fehlte jener zündende Funke, den nur ein verrückter Anarchist besitzt, der die Lunte zum Pulverfass selbst dann anzündet, wenn er auf dem Fass sitzt.
Das war Keith Moon; neben vielem anderen mehr. Ohne ihn hätte es die Bereitschaft zum Untergang nicht gegeben, und die ist unabdingbar, wenn man das Höchste dem Menschen Mögliche erlangen will. Vor allem in der Kunst, wo die Grenzen zur Person zerfließen, ja: zerfließen müssen, um das Ewiggültige zu erhaschen, braucht es oft radikale Selbstaufgabe, Selbstdurchdringung oder Selbstverherrlichung, die meist tragisch endet, wie viele Lebensgeschichten von Malern, Dichtern, Musikern beweisen. Am Eingang zum Olymp lauern Dämonen und dunkle Herrscher. Wer diese magischen Torwächter nicht fürchtet, sondern sie mit schrillem Humor und donnerndem Gepolter ins Höllenreich zurückkegelt, der mag einmal den Lorbeerkranz erringen.
Keiths stärkste Waffe blieb bis zum Ende sein Humor; beziehungsweise das, was er darunter verstand. Die ihm nahe standen, konnten zwar immer weniger darüber lachen, aber vor sich selbst hielt er diesen schrillen Humor aufrecht, selbst im größten Elend seiner Drogen- und Alkoholabhängigkeit. Für die Welt wurde er zum tragischen Held. Als lärmender, schöner Jüngling hatte er The Who zum Aufstieg verholfen. Seine Naivität schützte vor Schicksalsangst, seine reine, gottgegebene Spielfreude bewahrte ihn vor Hartherzigkeit und Erschöpfung. Er war der mitreißende Anarchist, bereit zum vorzeitigen Untergang und unheilbar davon überzeugt, dass ihm der Olymp bestimmt war. Keith glaubte sich unbesiegbar und hielt The Who für die mit Abstand beste Band der Welt, abgesehen von den seiner Meinung nach ohnehin unerreichbaren Beach Boys. So begannen sogar Roger, John und Pete sich darauf einzustellen, dass mit ihrem unerschrockenen Trommler eine mephistophelische Seele in die Band gefahren war, die The Who unsterblich machen würde.
Sie behielten Recht, was The Who betraf. Aber sie irrten sich in Bezug auf Keith Moon. Alle irrten sich; die Welt war ja noch so jung. Drogen und Alkohol bestärkten ihn immer fataler in seiner Selbstüberschätzung, und so grenzte es beinahe an ein Wunder, dass Keith so viele hoch veranlagte Hohepriester des Exzesses wie Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Jim Morrison um Jahre überlebte.
Die Ahnung von Keith Moons unvermeidlichem Untergang überschattet die bunten, perlenden Ereignisse der Vergangenheit. Damals allerdings viel weniger als heute. Wir können uns die an Verantwortungslosigkeit grenzende Freiheit jener Aufbruchszeit kaum mehr vorstellen. Umso kostbarer, dass ihre Erfahrungen in der Geschichte der Rockmusik so nachhaltig dokumentiert sind.
Bestaunen wir also nun die ersten sieben der vierzehn verrücktesten, erfüllendsten und kunstvollsten Jahre der großartigsten Rockband der Welt. Es waren maximale Jahre in jeder Hinsicht: Vier außergewöhnliche, einander nicht einmal sonderlich geneigte und sehr unterschiedliche junge Männer aus Nordwest-London, die das Glück hatten, ihr Talent und ihre Kraft zur richtigen Zeit am richtigen Ort erproben zu dürfen: The ’orrible ’Ooh!
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