The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


Скачать книгу
noch nicht volljährige Mutter seines Sohns im Regen stehen lassen konnte.

      Am 28. März 1964 wurde geheiratet, standesamtlich. Trauzeuge war sein Freund John Reader, der gelegentlich als Roadie für The Who aushalf. Unter den Gästen des Empfangs in Putney waren auch Johnny Kidd und seine Piraten­bande, mit denen sich Roger während ihrer gemeinsamen Auftritte angefreundet hatte. Doch trotz aller Bemühungen, der Pflichtheirat etwas Positives abzugewinnen, wollte sich keine rechte Feierlaune einstellen. Roger wusste, dass er noch kein guter Vater und Ehemann sein konnte. Seine Mutter sah das ähnlich. Sie mochte nicht erkennen, wie die hübsche, brave, stille Jacqueline mit der Rockwelt zurechtkommen sollte: „Sie war ein liebes Mädchen von nebenan und völlig fehl am Platz in dieser Szene. Das konnte nicht halten.“

      Das Paar bezog eine kleine Einzimmermietwohnung in Wandsworth; doch bereits einen Tag nach der Heirat, am Ostersonntag, war der frischgebackene Ehemann unterwegs zu einem Auftritt nach Brighton, wo es zur ersten legendären Schlacht zwischen Mods und Rockern kam. Das Leben eines zwanzigjährigen Popsängers vertrug sich schlecht mit der bürgerlichen Institution Ehe. „Tatsache ist, sobald du eine Gitarre in die Hand nimmst, sitzt da immer ein Vögelchen auf dem Griffbrett“, gestand Roger blumig seine Untreue. „Ich wollte Frauen, und ich wollte­ Geld, und Rock’n’Roll gab mir beides.“

      Nach Konzerten nächtigte Roger oft im Möbelwagen, den The Who als Transporter benutzten, damit er nicht hin- und herfahren musste, wenn er am Morgen in der Fabrik anzutreten hatte; es ist anzunehmen, dass das eine oder andere Vögelchen sein mobiles Nachtlager mit ihm teilte. Ein paar Monate schaffte er es halbwegs, die Fassade aufrecht zu erhalten und Jacqueline nicht allein zu lassen. Aber irgendwann blieb er ganz im Möbelwagen: „Ich wusste, wenn ich nicht frühzeitig­ von ihr wegging, würde ich mein ganzes Leben lang Blechschweißer in einer Fabrik sein. Ich musste mich zwischen meiner Ehe und der Band entscheiden.“

      Wie immer, wenn Roger vor einer Herzensentscheidung für oder gegen die Band stand, traf er die Wahl, auch wenn sie noch so schwer fiel, für die Band.

      Doug hingegen distanzierte sich zunehmend von der Gruppe. Es wirkte beinahe so, als benützte er seine schwangere Frau als Vorwand, um möglichst wenig Zeit mit der Band verbringen zu müssen. Lillian Sandom hasste The Who und speziell Pete, der sich ihr gegenüber wenig galant verhielt. Hinzu kam, dass sich Doug wesentlich vom neuen Publikum unterschied, das viel jünger war, andere Klamotten trug als er, Pillen schluckte, sich mit Rockern prügelte, aufgedonnerte Motorroller fuhr und seltsam autistische Tänze vor der Bühne zelebrierte – Pete und John hingegen fanden das alles recht aufregend.

      Doug hatte sich aber auch musikalisch von der Band entfernt – oder eher sie sich von ihm, denn mit dem neuen R&B-Material kam er nicht zurecht: „Sie ­fingen­ an, diesen ewigen Rauf-und-runter-Blues zu spielen, und ich hasste das.“

      Als Sponsor und Manager Helmut Gordon aus einem zufälligen Gespräch Dougs wahres Alter heraushörte, erhöhte sich der Druck auf den Schlagzeuger. Gordon hatte ehrgeizige Pläne mit der Band, und ein Drummer in den Dreißigern passte ihm gar nicht ins Konzept. Beharrlich war Gordon daran gegangen, seine Kontakte für die Gruppe nutzbar zu machen. Er arrangierte einen Auftritt im repräsentativen Stork Club, wo er sie einflussreichen Musikagenten und Impresarios vorstellte, unter anderem Arthur Howes, der als Tourpromoter mit den Beatles in Verbindung stand und eine gemeinsame Herbsttournee in Aussicht stellte.

      Weiterhin suchte Gordon, der Mann mit der Glatze, regelmäßig den Szenefriseur Jack Marks in der Edgware Road auf, dem man beste Beziehungen zu einigen­ Großen im Musikbusiness nachsagte. Einer seiner Kunden war der ­Produzent Tony Hatch, der erfolgreich unter anderem mit Petula Clark und den Searchers arbeitete; ein anderer war Chris Parmeinter, der als Talentsucher für das Plattenlabel Fontana besonders interessant wirkte. Jack, der Friseur, schwärmte­ dem jungen A&R-Mann von jener sagenhaften Band namens The Who so lange vor, bis Parmeinter zu einem Auftritt ins Oldfield Hotel kam – und sichtlich beeindruckt war. Nur nicht von ihrem Drummer.

      Es ist nicht ganz klar, ob Gordon schon im Vorfeld gegen Doug intrigiert hatte; denn als die Band zu einem regulären Vorspieltermin auftauchte, den Gordon mit Parmeinter am 9. April in einem obskuren Restaurant in der Edgware Road vereinbart hatte, das „Zanzibar“ hieß und rundum mit Bambus ausgestattet war, kam es Doug vor, als habe der Produzent ihn augenblicks aufs Korn genommen: „Er wollte mich nicht mal mein eigenes Schlagzeug aufbauen lassen, sondern bestand darauf, dass ich ein altes Kit benutzte, das dort herumstand.“

      Parmeinter machte sich anschließend über den empörten Drummer lustig, und Pete war begeistert. Der Talentsucher hatte ihm soeben versichert, dass er toll im Fernsehen wirken werde, weil er so groß und dünn war.

      Doug fühlte sich allein gelassen. Die Band spielte drei Nummern, die Parmeinter für eine mögliche Single ins Auge gefasst hatte; eine Coverversion von „Here ’Tis“ kam seinen Vorstellungen offenbar am nächsten. Abschließend gab der gottgleiche Abgesandte der Plattenindustrie unmissverständlich kund, dass der Drummer aussortiert werden müsste, wenn die Band tatsächlich vorhabe, mit ihm ins Aufnahmestudio zu gehen. Vermutlich hatte er damit recht. Man muss aber leider­ festhalten, dass Pete aus lauter Angst, die lang ersehnte Chance zur Platten­aufnahme­ zu verlieren, jede Solidarität und Rücksichtnahme fallen ließ und den bemitleidenswerten Doug zusätzlich runtermachte. Angeblich schnauzte der hochfahrende Kunststudent in Richtung Sandom: „Reiß dich zusammen. Was ist los mit dir? Wenn du’s nicht hinkriegst, fliegst du aus der Gruppe!“

      Doug war erst schweigsam und wehrte sich nicht, als konnte er die unfassbare­ Reaktion seines Kollegen kaum glauben. Es war nicht lange her, da hatten sie vor einem Promoter in Willesden gespielt, der sie für eine ganze Serie von Auftritten buchen wollte – unter der Voraussetzung, dass der ihm unsympathische, ungelenke Gitarrist gefeuert wurde; aber Doug hatte sofort erklärt: „Alle oder keinen!“

      Doug zog sich einige Minuten zurück. Vermutlich überdachte er noch einmal, was er verlor, wenn er jetzt aufgab. Roger und John kamen zu ihm und versicherten ihm ihren Rückhalt, jeder wisse doch um Petes scharfes Mundwerk, er solle den langen Lästerer nicht so ernst nehmen, sie würden ihn nicht fallen lassen.

      Aber Doug brach sein Schweigen nur, um seinen Ausstieg zu verkünden. Sofort. Er ließ sich auch von John und Roger nicht mehr beschwatzen. Sie wollten ihn halten, schon weil feste Termine anstanden; doch Doug war klar, dass er nicht mehr in die Band passte. Vor einiger Zeit hatte Manager Gordon einen weiteren Experten und Insider angeschleppt, den PR-Berater Peter Meaden, der so ferne Vorstellungen von Image und der künftigen Strategie umriss, dass Doug sich wie auf einem fremden Planeten gefühlt hatte. – Nein, Townshends Charakter­losigkeit war nur der letzte, wenngleich ein schmerzhaft glühender Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das einzige Zugeständnis, zu dem Doug noch bereit war, betraf den Zeitpunkt seines Abgangs. Am Abend hatten sie noch einen weiteren wichtigen Termin im Studio S2 der BBC, wo sie für das Unterhaltungsprogramm angehört werden sollten, unter ihrem früheren Bandnamen The Detours übrigens, was eine Reihe von Missverständnissen nach sich zog.

      Darüber hinaus gab es noch eine Reihe von Auftrittsverpflichtungen, die der gutmütige Sandom zu erfüllen versprach, bis ein Nachfolger gefunden war. Dougs letzter offiziell erfasster Auftritt war am 13. April 1964 im 100 Club in der Oxford Street, und es ist nichts weiter darüber bekannt, als dass Pete ihm sagte, er habe jemanden, der seinen Platz einnehmen könnte; aber derjenige besäße kein Schlagzeug – ob Doug der Band wohl sein Kit ausleihen würde?

      „Und ich Blödmann sagte: ‚Ja, klar, kein Problem‘“, erzählt Doug.

      Es waren für vierzehn Jahre die letzten Worte, die er mit seinem ehemaligen Kollegen Pete Townshend wechselte.

      Teil 2 Maximum Years (1964 bis 1971)

      „Als wir Keith gefunden hatten, änderte sich alles komplett.“

      Pete Townshend

      „Originalität bedeutet normalerweise Erfolg.“

      Brian Jones über The Who

      „Wir konnten uns das erlauben. Wir konnten alles machen!“

      Roger


Скачать книгу