The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


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wenn „Surf City“ oder „Surfin’ USA“ gespielt wurden – wobei Ron, der die PA bediente,­ stets dafür sorgte, dass dieses Mikro nicht eingeschaltet war.

      Keith durfte auch sein Schauspieltalent entfalten. Die Beachcombers eröffneten­ ihre Show mit einer Coverversion von „Little Egypt“, einem Hit der Coasters. Der Vorhang ging auf, und Keith, allein auf der Bühne, mit Fez auf dem Kopf und in einen orientalischen Umhang gewandet, trat vor und animierte das Publikum, sich genauso blödsinnig zu bewegen, wie es der Song vorgab, während die anderen­ Beachcombers heimlich an ihre Plätze gingen und zu spielen begannen.

      Ein andermal zückte Keith, als Ron sich während einer Ballade wieder einmal gestört fühlte und laut über ihn meckerte, plötzlich eine Pistole und brüllte: „Das genügt! Ich habe es satt, mich von dir anschreien zu lassen!“

      Der empörte Drummer drückte ab – und alle starrten entgeistert auf Keith und auf Ron, der aber nicht umfiel, obwohl der Schuss aus drei Meter Entfernung ihn schwerlich verfehlt haben konnte. Bis Keith sein übliches Grinsen zeigte: Es war eine Starterpistole gewesen, mit Platzpatronen geladen.

      Kurz darauf schnappte sich Ron den frechen Wicht, schleuderte ihn gegen den Bandtransporter und hob die Fäuste zum Schlag. Keith rappelte sich hoch, duckte­ sich und piepste: „Mach mich bloß nicht wütend.“

      Ron konnte gar nicht anders als lachen. Wie sollte man dem verrückten „Wease“ je böse sein?

      Und als Ron bei einer Probe für das Label Decca abgesägt werden sollte, weil man sich in den Zeiten der Beatlemanie angeblich keinen singenden Frontmann mehr erlauben konnte, bewies Keith Mut und Loyalität. Er trat als erster vor den Manager, der die Gruppe nur ohne Ron haben wollte, und erklärte: „Entweder alle oder keinen.“

      Decca entschied sich für keinen.

      Keith glaubte trotzdem an die Band. Sie waren gut, sie waren laut, immer mehr Leute kamen zu ihren Auftritten ins Oldfield Hotel oder ins White Hart in ­Harrow; es sprach sich herum, dass The Beachcombers etwas fürs Geld boten. Sie spielten in US-Militärbasen, für große Unternehmen wie Kodak, wo sie als beliebte­ Hausband galten, in Stadthallen mit größeren Bühnen; Druce verschaffte­ ihnen zunehmend bessere Engagements. Als die Hollies aus Manchester anreisten,­ buchte­ er die Beachcombers als Vorgruppe. Keith schaute sich den Auftritt der Hauptattraktion vom Bühnenrand genau an. Am Ende sagte er seinen Kollegen: „Sie sind nicht besser als wir. Wir sind mindestens ebenso gut.“

      Möglicherweise lag er damit richtig. Aber Ron, Norman, Tony und John glaubten­ nicht daran. „Man hat es natürlich immer im Hinterkopf, dass man es eines Tages schaffen könnte“, meint Tony. „Aber wir hatten alle Freundinnen, wir hatten gute Jobs, für die wir qualifiziert waren und die wir mochten. Keith hasste­ seine Arbeit. Wenn wir gesagt hätten, wir schmeißen unsere Arbeit hin und werden­ echte Profis, dann wäre es für ihn gewesen.“

      Und Norman ergänzt: „Hätten wir es bloß versucht. Aber wir waren eine Coverband. Wenn du wenigstens einen einzigen guten Song schreibst, kannst du Erfolg und damit Zeit haben, weitere Songs zu schreiben. Aber wir hatten diesen einen Song nicht.“

      John Schollar erzählt, dass die Beachcombers mehrere Versuche mit externen Songwritern unternommen hatten, aber das hatte nicht funktioniert. Sie mieteten­ ein kleines Kellerstudio in Harrow und nahmen Coverversionen erfolgreicher Songs auf, darunter „Poison Ivy“ und „I’m A Hog For You Baby“, doch niemand konnte etwas damit anfangen. Die Gruppe kam nicht weiter. Es fehlte an Originalität und am absoluten Willen, wirklich alles zu versuchen, um erfolgreich zu werden. „Dieses kleine Extra, diesen zusätzlichen Willen und den Hunger – das hatte von uns keiner“, bestätigt Ron, der Sänger, der Weihnachten 1963 lieber mit seiner Verlobten verbrachte, statt mit seiner Band, mit Georgie Fame und anderen­ bekannten Gruppen im Flamingo aufzutreten. „Am Ende verloren wir deswegen Keith.“

      Zuvor allerdings durften die Beachcombers ihren Jüngsten noch in die Grundlagen des Lebens als Rockstar einführen. Keith, der Bier nicht mochte und damals nie etwas trank, weil er fürchtete, sonst nicht akkurat Schlagzeug spielen zu können, erlebte zur Geburtstagsparty von Johns Freundin seinen ersten Vollrausch und kotzte auf dem Heimweg aus dem Bus, wobei er während der Party noch nüchtern genug gewesen war, um die Tulpen des entsetzten Hausherrn mitten im Sommer „einzufrieren“, indem er sie mit seinem Haarspray lackierte.

      Rons Verlobungsfeier enthüllte, dass Keith inzwischen gelernt hatte, die jungen­ Mädchen zu pflücken, die wegen ihm zu den Gigs der Beachcombers kamen. Eine davon, vielleicht seine erste Lehrerin in Sachen Liebe, verschwand mit ihm im Schlafzimmer von Rons Vater, wo die beiden in eindeutiger Lage aufgestöbert wurden.

      Es war Anfang 1964, und die neue Zeit war angebrochen. Zwei Girls aus der Modszene tauchten bei jedem Konzert der Beachcombers auf; sie pressten sich an den Bühnenrand bis zum letzten Song, und dann rannten sie Keith hinterher, so dass der kaum zum Transporter durchkam. Die anderen Beachcombers waren für die beiden Luft.

      Keith, der keimende Star, veränderte sich. Als sich Ron in der Pause zwischen zwei Auftritten einmal müde fühlte, hielt Keith ihm eine Handvoll Pillen hin: ­„Versuch das mal, die machen dich wieder munter.“

      Ron sah sofort, dass es Purple Hearts waren, die Aufputschpillen der Mod­generation. Keith hatte schon länger begonnen, Tabletten zu nehmen, Wach­macher wie Koffein vor allem, aber auch Dexys, Dexedrine, die ihn entspannten und ihm erlaubten, seine Konzentration aufs Trommeln zu richten. Interessanterweise werden­ heute ähnliche Substanzen, selbstverständlich unter ärztlicher Aufsicht und entsprechend fachmännisch dosiert, zur Behandlung von Hyperaktivität und ADHS eingesetzt. Die in den Sechzigern so beliebten Dexys hatten freilich noch den Effekt, dass man sich wie Gott fühlte und keinen Schlaf mehr benötigte. Und wenn man am Morgen zur Arbeit musste, halfen die bunten Kapseln, den Tag zu überstehen.

      Die anderen Beachcombers hielten sich nach einem Gig lieber an ihrem Bier fest und gingen mit ihren Freundinnen nach Hause, während Keith die Nacht zum Tage machte und bis zum Morgen durchfeierte.

      „Wir waren eine sehr beliebte und anerkannte Band, die sich überall durchsetzte, wohin wir kamen. Wir brachten die meisten Häuser zum Kochen“, erinnert­ sich Ron. Aber Keith genügte das nicht.

      „Er war zu etwas Besonderem bestimmt“, sagt Tony. „Er wusste das.“

      „Er war der beste Drummer der Welt, sogar mit uns“, findet John.

      Das klingt ehrenhaft und plausibel, aber hier irrt der Gitarrist. Um wirklich der beste Schlagzeuger der Welt zu werden, brauchte Keith eine andere Band. Und das wusste er.

      12.: Endlich The Who: Ein Geldgeber – und ­Rockstars kennen keinen Schmerz

      „Seid ihr denn überhaupt gut?“

      Der Türklinkenfabrikant Helmut Gordon sucht eine Band, die ihn reich und berühmt machen kann

      „Wir hatten keine Roadies, das hab’ ich gemacht.“

      Roger Daltrey

      „Wenn du’s nicht auf die Reihe kriegst, bist du draußen!“

      Pete beschleunigt den Wechsel auf dem Schlagzeugerstuhl

      Doug Sandoms Schwägerin Rose arbeitete in einer kleinen Gießerei in Shepherd’s Bush. Ihr Chef, ein deutsch-jüdischer Geschäftsmann von über vierzig Jahren, der noch bei seiner Mutter wohnte, klein war und rund, fast haarlos auf dem Kopf, kreuzte gelegentlich in Sandoms Haus auf. Er hieß Helmut Gordon und war ­voller­ Elan, in die Fußstapfen von Brian Epstein zu treten, dem legendär gewordenen Entdecker der Beatles. Als er mitbekam, wie Doug sich einmal mit Rose über The Detours unterhielt, spitzte Gordon die Ohren: „Seid ihr denn überhaupt gut?“ fragte er plötzlich. Statt einer Antwort lud Doug ihn zu ihrem nächsten Auftritt im White Hart Hotel von Acton ein. Es war immer deutlicher geworden, dass die Detours einen richtigen Manager brauchten; nicht nur einen Touragenten wie Bob Druce, sondern­ einen Mann, der allein für sie arbeitete, der alle Fäden im Hintergrund sponn und bereit war, in die Karriere der Band zu investierten. Gordon war der erste Anwärter auf diesen


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