Fantasy. Martin Hein

Fantasy - Martin Hein


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mehr über ihre Unpünktlichkeit auf. So sind sie halt einfach. Du kannst sie nicht bändigen. Du kannst sie höchstens ein Stück weit führen oder ihnen Tipps geben, was sie besser machen könnten. Dann schütteln sie sich, maulen ein bisschen rum, und meistens funktionieren sie dann doch.

      Freddy schreibt und komponiert die meisten Songtexte selbst. Aber mit jedem Jahr, in dem sie noch erfolgreicher wurden, bekamen sie auch vermehrt Songs von fremden Textern angeboten. Sie haben ja im Frühjahr 2017 bereits ihr achtes Studio-Album Bonnie & Clyde herausgebracht, und ich freue mich riesig für die beiden. Sie sind für mich echte Freunde, total loyal. Sie gehören auf jeden Fall zu meiner Familie.

      Juni 2017

      * * *

      Das „Heimspiel“ ist vorbei, wir trinken ein Bier und stoßen auf unser 20-jähriges Fantasy-Jubiläum an – und auf unsere großartigen Fans, die uns schon so lange auf dieser Reise begleiten.

      Wir sind uns bewusst, dass wir heute unseren Traum leben (dürfen). Musikalisch haben wir fast alles erreicht, was wir uns für unsere Karriere vornahmen. Wir stehen hier in Aspach auf der Bühne und sind uns an diesem lauen Sommerabend ganz sicher: Wir sind dort angekommen, wohin wir uns immer gewünscht haben – mehr als zwei Millionen verkaufte Tonträger, acht Studio-Alben, eigene Tournee, Fernsehauftritte und nun auch noch eine eigene Autobiografie.

      Uns fehlt nur noch der so begehrte wie wichtige Echo, der bedeutendste deutsche Musikpreis; wir waren bereits fünf Mal nominiert und mussten leider jedes Mal mit leeren Händen nach Hause gehen. Diese Trophäe eines Tages in Händen halten zu dürfen wäre ein denkwürdiges musikalisches Ereignis! Ein anderer Traum von uns ist, dass wir gerne am Samstagabend eine Unterhaltungsshow im Fernsehen präsentieren würden. Eine Mischung aus Florian Silbereisen, Carmen Nebel und Hape Kerkeling, mit Talk-Gästen, Musik und Spielen. Eben hundertprozentige Unterhaltung. Das wäre der Hit! Wir arbeiten jetzt nicht wie verrückt darauf hin, aber wenn sich irgendwann die Gelegenheit ergeben sollte, würden wir sicher nicht nein sagen. Es müsste ja nicht gleich bei ARD oder ZDF sein, vielleicht in einem kleineren Sender wie dem MDR, dort schaltet ja auch unsere Kernzielgruppe ein. Und da es in der Vergangenheit doch recht lange dauerte, bis wir auf der Bühne Erfolg hatten, wäre es schön, wenn wir noch vor Eintritt ins Rentenalter auch als TV-Moderatoren erfolgreich werden könnten. Wir sind offen für Anrufe …

      Martin Hein und Fredi Malinowski, Juli 2017

      Hinweis in eigener Sache

      Freddy März ist ein Künstlername.

      Wie der Titel schon sagt, ist dieses Buch der Wahrheit ­verpflichtet. Gleichwohl mussten zum Schutz einiger Personen zum Teil ­namentliche Veränderungen vorgenommen werden. Dadurch wird

      der grundsätzliche Wahrheitsgehalt jedoch nicht berührt.

      Kapitel 1:

      Martin kommt in Polen zur Welt

      Der 12. Januar 1971 war ein Dienstag. Um die Mittagszeit wurde ich an jenem kalten Wintertag in dem Dörfchen Dramatal in Schlesien (Polen) geboren. Der offizielle Name dieser kleinen Gemeinde lautet seit 1945 eigentlich Zbroslawice. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gehörten wir zu Deutschland, bevor wir dann unter polnische Verwaltung gestellt und der Woiwodschaft Schlesien eingegliedert wurden. Damals bekamen alle Gemeinden polnische Ortsnamen. Aber ich sage immer noch Dramatal, da ich das Wort Drama so schön passend für mich finde …

      Mein Heimatdorf liegt idyllisch am Ufer des Flusses Drama, umgeben von landwirtschaftlichen Flächen und waldbewachsenen Hügeln. Die nächsten größeren Städte sind Gleiwitz und Kattowitz, beide rund 25 Kilometer entfernt. Als ich ein Kind war, lebten rund 400 Menschen in Dramatal, heute sind es noch weniger, weil viele junge Leute in den Westen gegangen sind.

      Die ersten Jahre meiner Kindheit habe ich größtenteils bei meiner Oma Christa und meinem Opa Walter in der Ortschaft Zerniki verbracht, gemeinsam mit meinen Eltern (und meinem jüngeren Bruder) wohnte ich zeitweise sogar in ihrem kleinen Häuschen. Man muss sich unser Dorf als Rechteck vorstellen, in dem 60 Einfamilienhäuschen angeordnet waren. Alles Häuser von Bergleuten, die im Oberschlesischen Industriegebiet arbeiteten und denen ein solches Haus zugeteilt worden war, welches sie dann im Laufe der Jahrzehnte abbezahlen mussten. Unsere Region war schon damals das wichtigste Industriegebiet Polens und Zentrum des polnischen Steinkohlebergbaus und der Schwerindustrie.

      Jedes Haus sah absolut gleich aus. Unseres, also das Haus meiner Großeltern, war wunderschön gelegen, da nach hinten raus der Wald, links und rechts Felder und nach vorn Hügel waren. Es gab eine große Straße, deshalb kannte jeder jeden. Vom Baby bis zur Oma waren mir alle Einwohner vertraut. Meist wohnten drei Generationen unter einem Dach. Wenn die Eltern also arbeiten gingen, waren immer die Alten da und passten auf die Kinder auf. Für mich als Dreikäsehoch war das absoluter Luxus. Noch heute durchflutet mich ein unheimlich wohliges Gefühl, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke. Wir waren natürlich nicht reich, eher arm, aber uns fehlte es an nichts, was wirklich wichtig war.

      Wollten wir Kinder etwas Süßes zum Naschen haben, rannten wir in Omas Garten. Er war voller Obstbäume und Gemüse. Das waren nicht die Süßigkeiten, wie sie die Kinder heute in Hülle und Fülle kennen. Aber für mich, meinen jüngeren Bruder und unsere Freunde waren Äpfel oder Beeren aus Omas Garten eine besondere Köstlichkeit. In unserem Dorf gab es nur einen einzigen Lebensmittelladen. Er lag im Zentrum, und wenn zum Beispiel eine Orangenlieferung kam, hat sich das in wenigen Minuten im ganzen Ort herumgesprochen. Alle rannten sofort hin und standen geduldig die nächsten zwei Stunden in einer Schlange an, um pro Familie zwei Orangen kaufen zu können. Mehr gab es nicht. Für uns war das allerdings absolut in Ordnung. Wir kannten es ja nicht anders. Wir waren glücklich, überhaupt in den Genuss von Zitrusfrüchten zu kommen. Das war dann für die ganze Familie ein riesiges Erlebnis. Meine Oma rief schon von weitem: „Maaartin! Guck mal, ich habe Orangen mitgebracht!“ Das war der Wahnsinn. Heute ist das selbstverständlich. Und doch sage ich aus tiefstem Herzen: Ich bin sehr, sehr glücklich aufgewachsen.

      Bis zu meinem dritten Lebensjahr haben wir zu Hause nur deutsch gesprochen. Meine Großeltern waren ja eigentlich Deutsche. Polnisch bzw. Schlesisch habe ich erst gelernt, als ich in den Kindergarten kam und mich mit Freunden, die kaum Deutsch konnten, zum Spielen traf. Schlesisch ist noch einmal etwas ganz anderes als Polnisch. In der Schule durften wir kein Schlesisch reden, das war verboten. Dort mussten wir Hochpolnisch sprechen.

      Als ich fünf Jahre alt war, kam mein Bruder Damian zur Welt. Meine Eltern Ursula und Anton waren ja noch verdammt jung. Meine Mama war 16, als sie mit mir schwanger wurde, mit 17 wurde sie dann Mutter. Mein Vater war bei meiner Geburt 24 und arbeitete als Bergmann. Sie kamen beide aus Zerniki, kannten sich bereits aus der Schule. Als meine Mutter schwanger war, bestanden meine beiden Omas darauf, dass sie sofort heirateten. Das musste man damals noch, damit es kein Getratsche unter den Nachbarn gab. Außerdem sind die Polen ja streng katholisch – und unser Dorf war es besonders. Wenn eine Familie sonntags nicht zur Kirche ging, wurde mit dem Finger auf sie gezeigt: „Guck dir die mal an. Was erlauben die sich vor Gott“ usw. Als 1978 der polnische Kardinal Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde, stand unser Dorf und natürlich ganz Polen Kopf. Es war das erste Mal, dass ein Pole Papst wurde. Ich bin mir sicher, dass jeder Einwohner des Landes vor Stolz platzte.

      Mein Vater bekam dann vom Bergbau eine eigene Wohnung für unsere Familie in einem Plattenbau zugewiesen, in der Stadt Sosnica, gut 15 Kilometer von meinen Großeltern entfernt. Was zunächst wie ein Glücksfall aussah, entpuppte sich leider recht schnell als Katastrophe. Wir wohnten direkt neben der Zeche in einer kleinen Wohnung, zwei Zimmer, Küche, Bad. Ich bin in dem Ort zunächst noch in den Kindergarten gegangen und kam dann nach wenigen Monaten in die Schule. Die Zustände in dem angeblich hochmodernen Plattenbau waren schlimm. Im Keller stand immer mindestens 15 Zentimeter Wasser. Überall sind Ratten herumgerannt.

      Zur Kommunion habe ich von meinen Eltern mein erstes Fahrrad geschenkt bekommen. Ich habe mich nicht getraut, es im Keller abzustellen, weil ich Angst vor den riesigen Ratten hatte. Stattdessen habe ich es jeden Morgen aus der dritten Etage nach unten getragen und abends wieder hochgeschleppt. Es einfach vor dem Haus abzustellen ging nicht,


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